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J 302
{Sutta: J iii 012|J 302|J 302} {Vaṇṇanā: atta. J 302|atta. J 302}
Die Erzählung von dem großen Reiter
302
Mahaassaroha-Jataka (Mahāassārohajātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

Wer denen schenkt, die nichts verdienen

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf den Thera Ananda.

[§D]

Die Erzählung aus der Geschichte ist schon oben ausgeführt [1].

Als aber der Meister gesagt hatte: „Auch in der Vorzeit taten Weise so, weil ihnen geholfen worden war“, erzählte er auch hier folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

[§B]

Ehedem war der Bodhisattva der König von Benares. Er führte in Gerechtigkeit und Billigkeit die Regierung; er spendete Almosen und beobachtete die Gebote. Einmal dachte er: „Ich will das abgefallene Grenzland wieder unterwerfen“, und zog umgeben von seinem Heere und seinen Elefanten dorthin. Er wurde aber besiegt, bestieg sein Pferd und entfloh. Dabei gelangte er in ein Grenzdorf. Dort wohnten dreißig Leute, die dem Könige dienten. Am Morgen versammelten sie sich inmitten des Dorfes und besorgten die Dorfgeschäfte.

In diesem Augenblick kam der König, auf seinem gewappneten Pferde sitzend und mit allem Schmuck geziert, durch das Dorftor in das Dorf hinein. Jene dachten: „Wer ist jetzt dies?“, und voll Furcht liefen sie davon und flüchteten sich ein jeder in sein Haus. Einer aber begab sich nicht in sein Haus, sondern er ging dem Könige entgegen und fragte ihn: „Der König ist nach der Grenze gezogen; bist du ein Mann des Königs oder ein Abtrünniger?“ Der König erwiderte: „Ich bin ein Mann des Königs, Lieber.“ „Komm also“, versetzte der andere und führte den König in sein Haus. Er ließ ihn auf seiner Bank Platz nehmen und sagte seiner Frau: „Komm, Liebe, wasche dem Freund die Füße!“ Nachdem er ihm von seiner Frau die Füße hatte waschen lassen, gab er ihm ein seinen Verhältnissen entsprechendes Mahl und machte dann mit den Worten: „Ruht Euch einen Augenblick aus“, ein Lager zurecht. Der König legte sich nieder. Darauf löste der andere dem Pferde die Rüstung, ließ es auf und ab gehen, gab ihm Wasser zu trinken, rieb seinen Rücken mit Sesamöl und gab ihm Gras.

Als er so drei oder vier Tage den König gepflegt hatte und dieser ihm sagte: „Ich will wieder gehen, Freund“, erwies er dem König und seinem Rosse wieder alle Dienste, die zu erweisen sind. Als der König gegessen hatte und im Begriff war fortzugehen, sagte er: „Mein Freund, ich heiße der große Reiter [1a]; in der Mitte der Stadt befindet sich mein Haus. Wenn du wegen irgend eines Geschäftes in die Stadt kommst, so bleibe am Südtore stehen und frage den Torwächter: ,In welchem Hause wohnt der große Reiter?' Dann nimm den Torwächter mit dir und komme in unser Haus.“ Nach diesen Worten zog er fort.

Als aber das Heer den König nicht gefunden, hatte es außerhalb der Stadt ein befestigtes Lager geschlagen und wartete dort. Da es den König sah, ging es ihm entgegen und umringte ihn. — Beim Betreten der Stadt blieb der König unter dem Tore stehen und ließ den Torwächter rufen. Zu diesem sprach er, nachdem er die Volksmenge hatte zurücktreten lassen: „Lieber, ein Grenzdorfbewohner wird kommen, um mich zu besuchen. Er wird dich fragen, wo das Haus des großen Reiters ist. Nimm du ihn an der Hand und führe ihn vor mein Antlitz; dann wirst du tausend Geldstücke erhalten.“ Jener aber kam nicht. Als er nicht kam, ließ der König für sein Heimatdorf die Steuern vermehren. Aber auch als die Steuern vermehrt wurden, kam jener nicht. Auf diese Weise ließ er noch ein zweites und drittes Mal die Steuern vermehren; aber jener kam noch immer nicht.

Da versammelten sich die Dorfbewohner und sagten zu ihm: „Edler, seitdem dein Reiter gekommen ist, werden wir durch Steuern bedrückt, dass wir unser Haupt nicht mehr erheben können. Gehe, sage dies deinem großen Reiter und lass ihn uns die Steuern erlassen.“ Jener erwiderte: „Gut, ich will gehen. Ich kann aber nicht mit leeren Händen dorthin kommen. Mein Freund hat zwei Knaben. Für diese, sowie für seine Gattin und für meinen Freund selbst richtet Unterkleider, Oberkleider und Schmucksachen her!“ „Gut, wir wollen sie herrichten“, versetzten die anderen und sie machten das ganze Geschenk zurecht.

Er nahm dies sowie aus seinem Hause einen gebackenen Kuchen mit und ging. Als er an das Südtor kam, fragte er den Torwächter: „Mein Lieber, wo ist das Haus des großen Reiters?“ Dieser antwortete: „Komm, ich will es dir zeigen.“ Er nahm ihn an der Hand, ging an das Tor des Königspalastes und ließ melden, der Torwächter sei mit dem Grenzdorfbewohner gekommen. Als dies der König hörte, erhob er sich von seinem Sitze und sagte: „Mein Freund und die mit ihm kamen sollen hereinkommen.“ Er ging ihm entgegen, umarmte ihn, als er ihn sah, und fragte: „Sind meine Freundin und die Knaben gesund?“ Dann nahm er ihn bei der Hand, stieg in seinen Thronsaal hinauf und hieß ihn unter dem weißen Sonnenschirm auf dem königlichen Throne sich niedersetzen. Hierauf rief er seine erste Gemahlin herbei und sagte ihr: „Liebe, wasche meinem Freund die Füße!“ Sie wusch ihm die Füße. Der König goss aus einer goldenen Schüssel Wasser darauf. Nachdem die Königin ihm die Füße gewaschen, rieb sie dieselben mit wohlriechendem Öle ein.

Darauf fragte der König: „Nun, Freund, hast du etwas zu essen bei dir?“ Jener erwiderte: „Ja“, und holte aus dem Korbe die Kuchen. Der König legte sie auf eine goldene Platte und gab, um ihn zu ehren, mit den Worten: „Esset, was mein Freund mitgebracht hat“, der Königin und den Ministern davon; er selbst aß auch von dem Kuchen. Darauf zeigte ihm der andere auch noch die übrigen Geschenke. Um es anzunehmen, zog der König seine Kasi-Gewänder [2] aus und legte das von jenem gebrachte Gewänderpaar an. Auch die Königin legte ihre kostbaren Gewänder und ihre Schmucksachen ab, zog das von ihm gebrachte Kleid an und zierte sich mit seinem Schmuck. Nachdem ihn dann der König ein eines Königs würdiges Mahl hatte verzehren lassen, gab er einem Minister den Auftrag: „Gehe, lasse seinen Bart behandeln auf dieselbe Art wie bei mir, lasse ihn baden, gib ihm ein Kasi-Gewand, das hunderttausend wert ist, schmücke ihn mit königlichem Schmucke und bringe ihn dann wieder zu mir.“ Jener tat also.

Darauf ließ der König in der Stadt die Trommel herumgehen und versammelte seine Minister um sich. Er ließ in der Mitte des weißen Sonnenschirmes eine Schnur von echtem Scharlach anbringen [3] und gab jenem die Hälfte eines Königreichs. Von da an speisten, tranken und schliefen sie zusammen; ihre Freundschaft war fest und von niemand zu zerstören. Der König ließ auch die Frau und die Kinder seines Freundes zu sich kommen, ließ ihnen in der Stadt einen Palast erbauen und schenkte ihnen diesen. So führten sie friedlich und einträchtig die Regierung.

Die Minister aber wurden zornig und sprachen zu dem Sohne des Königs: „Prinz, der König hat einem Hausvater [4] die Hälfte seines Reiches gegeben; er isst, trinkt und schläft mit ihm zusammen und lässt seinen Kindern Verehrung erweisen. Wir wissen nicht, was jener dem König Gutes getan hat. Was tut der König? Wir sind beschämt. Erzähle es dem König.“ — Der Prinz stimmte zu mit dem Worte: „Gut“, erzählte dem Könige die ganze Angelegenheit und sagte: „Tue nicht so, großer König!“

Doch der König erwiderte: „Mein Sohn, als ich im Kampfe besiegt war, wo weilte ich da? Wisst ihr es?“ „Wir wissen es nicht, Fürst.“ „Nachdem ich im Hause dieses Mannes weilend gesund geworden war, kehrte ich zurück und übernahm wieder die Regierung. Warum soll ich dem, der mir so geholfen, keine Auszeichnung zuteil werden lassen?“ Nach diesen Worten belehrte der Bodhisattva seinen Sohn, dass, wer denen gibt, die es nicht verdienen, und dem nichts gibt, der die Gabe verdient, im Unglück keine Hilfe bekommt, und sprach folgende Strophen:

[§1] „Wer denen gibt, die nichts verdienen, die Würd'gen aber nicht beschenkt, der findet, wenn in Not und Unglück er einst gerät, wohl keinen Freund. [§2] Wer nichts gibt den nicht Würdigen und die beschenkt, die es verdienen, der findet, wenn in Not und Unglück er einst gerät, doch einen Freund. [§3] Verdienst, das in Vereinigung im Glück sich zeigt, wird durch das Unrechttun, durch Trug zerstört; doch was man Edlen und Gerechten hat erwiesen, trägt große Frucht, ist es auch noch so klein. [§4] Wer früher Gutes hat getan, der hat ein schweres Werk vollbracht; ob er's noch später tut, ob nicht, stets ist er größter Ehre würdig.“

Als sie aber dies hörten, sagten weder die Minister noch der Prinz mehr etwas.

[§C]

Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war der Grenzdorfbewohner Ananda, der König von Benares aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem großen Reiter

Anmerkungen:

1.
Nämlich im Jātaka 157.
1a.
Auf Pali: „mahaassaroha“, jedoch klein geschrieben, d.h. nicht als Eigenname, sondern als Bezeichnung.
2.
Kasi ist der Name für feine Baumwollstoffe, die in Benares, das ja auch Kasi heißt, hergestellt wurden.
3.
Er teilt also auch das Symbol der Königswürde, den weißen Sonnenschirm, in zwei Teile.
4.
Es ärgert sie am meisten, dass ein Angehöriger der dritten Kaste so ausgezeichnet wird.
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