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J 362
{Sutta: J iii 195|J 362|J 362} {Vaṇṇanā: atta. J 362|atta. J 362}
Die Erzählung von der Tugenduntersuchung
362
Silavimamsa-Jataka (Sīlavīmaṃsajātakaṃ) [1]
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

Ist Tugend mehr wert oder Weisheit

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen Brahmanen, der die Tugend auf ihren Wert geprüft hatte. Da nämlich der König dachte: „Dieser ist mit Tugend erfüllt“, erhob er ihn über die übrigen Brahmanen und sah ihn gern. Nun dachte dieser bei sich: „Erhebt mich der König über die übrigen Brahmanen und sieht er mich gern, weil er mich für tugendhaft hält oder weil er meint, ich sei voll Gelehrsamkeit? Ich will untersuchen, ob die Tugend oder die Gelehrsamkeit mehr wert ist.“ Eines Tages nahm er von der Geldplatte des Schatzmeisters ein Kahapana. Aus Ehrfurcht sagte der Schatzmeister nichts. Beim dritten Male aber rief er: „Dies ist einer, der von Raub lebt“, ließ ihn festnehmen und führte ihn vor den König. Als dieser fragte: „Was hat er getan?“, antwortete er: „Er plündert das Vermögen des Königs.“ „Ist dies denn wahr, Brahmane?“, fragte der König weiter. Dieser erwiderte: „Nein, o Großkönig, ich plündere nicht dein Vermögen. Ich war aber in Zweifel, ob die Tugend mehr wert sei oder die Gelehrsamkeit. Um nun zu untersuchen, welches von diesen beiden den Vorzug verdiene, nahm ich dreimal ein Kahapana. Darauf ließ mich dieser Mann festnehmen und führte mich zu Euch. Jetzt habe ich erkannt, dass die Tugend größeren Wert besitzt als die Gelehrsamkeit. Ich will nicht mehr im Hause wohnen bleiben, ich möchte die Welt verlassen.“ Nachdem er die Erlaubnis, Mönch zu werden, erhalten hatte, begab er sich, ohne sich auch nur nach dem Tore seines Hauses umzusehen, nach dem Jetavana und bat den Meister um Aufnahme in den Orden. Der Meister ließ ihm die Aufnahme und die Weihe erteilen. Nicht lange nach seiner Weihe aber erlangte jener die übernatürliche Einsicht und gelangte so zur höchsten Frucht [2].

In der Lehrhalle aber begannen einmal die Mönche folgendes Gespräch: „Freund, der Brahmane ist, als er die Tugend auf ihren Wert untersuchte, Mönch geworden, hat die übernatürliche Einsicht erlangt und ist der höchsten Frucht teilhaftig geworden.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, hat dieser so getan; früher untersuchten auch Weise die Tugend auf ihren Wert, verließen darauf die Welt und betätigten ihre Rettung [3].“ Nach diesen Worte erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

[§B]

Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva in einer Brahmanenfamilie seine Wiedergeburt. Nachdem er herangewachsen war und zu Takkasilā alle Wissenschaften erlernt hatte, kehrte er nach Benares zurück und besuchte den König. Der König übertrug ihm die Hauspriesterstelle. Er beobachtete aber die fünf Gebote. Der König ehrte ihn wegen seiner Tugendfülle und sah ihn gern.

Einst dachte der Bodhisattva: „Ehrt mich der König und sieht er mich gern wegen meiner Tugend oder meiner Wissensfülle?“

[§D]

usw. wie in der Erzählung aus der Gegenwart.

Nachdem aber hier der Brahmane gesagt hatte: „Jetzt habe ich den Vorzug der Tugend vor der Wissenschaft erkannt“, sprach er folgende fünf Strophen:

[§1] „Ist Tugend mehr wert oder Weisheit, darob war ich im Ungewissen. Mehr wert als Weisheit ist die Tugend; darüber ist mir jetzt kein Zweifel. [§2] Eitel sind Abstammung und Schönheit; die Tugend ist allein das Höchste. Wenn einer ist der Tugend voll, so braucht er keine Wissenschaft. [§3] Ein Fürst, der nach Unrechtem strebt, ein Bürger [4], der das Unrecht liebt, wenn sie die Welt verlassen haben, so stürzen beide sie ins Unglück. [§4] Doch Fürsten wie Brahmanen, Bürger, Sudras, Candalas, Pukkusas [5], wenn hier in Tugend sie gewandelt, so werden sie im Himmel gleich. [§5] Nicht nützt das Wissen für die Zukunft, nicht Abstammung und nicht Verwandtschaft, die eigne reine Tugend ist es, die für die Zukunft führt zum Glück.“ —

Nachdem das große Wesen so den Vorzug der Tugend geschildert, bat es den König um Erlaubnis, die Welt zu verlassen, und zog noch am selben Tage nach dem Himalaya. Hier betätigte er die Weltflucht der Weisen, erreichte die Erkenntnisse und die Vollkommenheiten und gelangte dann in die Brahma-Welt.

[§C]

Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Der Mann, der damals die Tugend auf ihren Wert untersuchte und die Weltflucht der Weisen ausführte, war ich.“

Ende der Erzählung von Tugenduntersuchung

Anmerkungen:

1.
Vgl. oben Jātaka 330 Anm. 1, wo die andern Parallelen zu dieser Erzählung angeführt sind. [Nämlich im Jātaka 86 und im Jātaka 290.]
2.
Nämlich zur Heiligkeit.
3.
Die Rettung und Zuflucht in dem Meer der Wiedergeburten ist die Erreichung der Heiligkeit, die zum Nirvana führt.
4.
Wörtlich: ein Angehöriger der dritten Kaste (Skt.„vaisya“).
5.
Dies sind die Namen für die Angehörigen der untersten Kasten.
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