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J 432
{Sutta: J iii 513|J 432|J 432} {Vaṇṇanā: atta. J 432|atta. J 432}
Die Erzählung von dem der Fußspuren kundigen jungen Brahmanen
432
Padakusalamanava-Jataka (Padakusalamāṇavajātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

Den Patala, den hochgeschickten

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen Knaben. Dieser nämlich, der Sohn eines Gutsbesitzers zu Savatthi, war schon im Alter von sieben Jahren der Fußspuren kundig. Da dachte sein Vater: „Ich will ihn auf die Probe stellen“, und ging, ohne dass jener es wusste, in das Haus eines Freundes. Der Knabe fragte gar nicht, wohin er gegangen sei, sondern ging den Eindrücken seiner Füße nach und kam so zu seinem Vater. Eines Tages fragte ihn nun sein Vater: „Mein Sohn, wie hast du, obwohl ich dich nichts davon wissen ließ, herausgebracht, wohin ich gegangen sei?“ Der Knabe antwortete: „Vater, ich kenne deine Fußspur, ich bin der Fußspuren kundig.“

Um ihn nochmals auf die Probe zu stellen, verließ der Vater nach dem Frühmahle sein Haus und ging in das Haus seines nächsten Nachbarn hinein. Von da betrat er ein zweites und von diesem dritten Haus kehrte er wieder in sein eignes Haus zurück. Von hier ging er nach dem Nordtore der Stadt, verließ die Stadt und begab sich, indem er die Stadt links ließ, nach dem Jetavana, wo er den Meister ehrfurchtsvoll begrüßte und sich niedersetzte, um die Predigt anzuhören.

Der Knabe fragte: „Wo ist mein Vater?“ Als er zur Antwort erhielt: „Wir wissen es nicht“, ging er unter Beobachtung der Fußspuren in das Haus des nächsten Nachbarn und so weiter auf dem Wege, den sein Vater genommen, bis er nach dem Jetavana kam, wo er den Meister ehrfurchtsvoll begrüßte und sich neben seinen Vater stellte. Als sein Vater ihn fragte: „Mein Sohn, wie hast du gemerkt, dass ich hierher gegangen bin?“, antwortete er: „Ich merkte auf die Fußspuren und bin durch die Beobachtung der Spuren hierher gekommen.“

Da fragte der Meister: „Was sagst du da, Laienbruder?“ Dieser erwiderte: „Herr, dieser Knabe ist der Fußspuren kundig. Ich bin, um ihn auf die Probe zu stellen, auf diese Weise hierher gekommen; er aber folgte mir, ohne mich im Hause gesehen zu haben, durch die Beobachtung meiner Spur hierher nach.“ Da sprach der Meister: „Nicht wunderbar, o Laienbruder, ist dies Erkennen der Spuren auf der Erde; in der Vorzeit aber erkannten Weise auch in der Luft die Spuren.“ Nach diesen Worten erzählte er auf die Bitte von jenem folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

[§B]

Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, verfehlte sich dessen erste Gemahlin. Vom König darüber befragt, schwur sie: „Wenn ich mich gegen Euch verfehlt habe, will ich eine Dämonin mit immer weinendem Antlitz [1] werden.“ Nach ihrem Tode wurde sie wirklich eine am Fuß des Gebirges hausende Dämonin mit immer weinendem Antlitz. Sie wohnte dort in einer Felsenhöhle; sie packte die Leute, die durch den großen Wald die Straße von Osten nach Westen zogen, und fraß sie auf. Nachdem sie drei Jahre lang dem Gotte Vessavana[2] gedient, erhielt sie von ihm die Erlaubnis, alle Menschen in einem Gebiet von dreißig Yojanas Länge und fünf Yojanas Breite aufzufressen.

Eines Tages betrat ein wohlhabender, begüterter Brahmane von großer Schönheit, umgeben von vielen Leuten, diese Straße. Als ihn die Dämonin sah, lachte sie vor Freude und sprang auf ihn zu; seine Begleiter aber liefen davon. Mit Windesschnelle kam sie heran, erfasste den Brahmanen und ließ ihn sich auf ihren Rücken legen. Während sie aber in ihre Höhle zurückkehrte, empfand sie die Berührung des Mannes; aus sinnlicher Lust fasste sie Liebe zu ihm und fraß ihn nicht, sondern machte ihn zu ihrem Gatten. Voll Eintracht lebten sie miteinander. Wenn von da an die Dämonin Menschen fing, nahm sie ihnen auch Gewänder, Reis, Sesam u. dgl. ab und setzte ihrem Gatten Speise von verschiedenartigem, höchstem Wohlgeschmack vor, während sie selbst das Menschenfleisch verzehrte. Aus Furcht, er möchte davonlaufen, verschloss sie aber, wenn sie fortging, den Eingang zur Höhle zuerst mit einem großen Steine und dann erst entfernte sie sich.

Während sie aber so in Eintracht lebten, starb der Bodhisattva in seiner letzten Existenz und nahm durch den Brahmanen im Leibe der Dämonin seine Wiedergeburt. Nachdem sie nach Ablauf von zehn Monaten ihren Sohn geboren, wurde sie von starker Liebe zu ihrem Sohne und zu dem Brahmanen erfüllt und ernährte sie beide. Als dann in der Folgezeit der Sohn herangewachsen war, tat sie den Sohn mit seinem Vater in die Höhle und verschloss sie, wenn sie fortging.

Als aber eines Tages der Bodhisattva merkte, dass sie fortgegangen war, entfernte er den Stein und ließ seinen Vater hinaus. Da kam die Dämonin zurück und fragte: „Wer hat den Stein entfernt?“ Da aber ihr Sohn antwortete: „Mutter, ich habe ihn entfernt; wir können doch nicht im Dunkeln bleiben“, erwiderte sie nichts aus Liebe zu ihrem Sohne.

Eines Tages fragte nun der Bodhisattva seinen Vater: „Vater, meine Mutter hat ein anderes Antlitz als Ihr; was ist daran schuld?“ Jener antwortete: „Mein Sohn, deine Mutter ist eine Dämonin, die sich von Menschenfleisch nährt; wir beide aber sind Menschen.“ Der Knabe fragte weiter: „Wenn es sich so verhält, warum bleiben wir hier? Komm, wir wollen uns in das Bereich der Menschen begeben.“ Doch der Vater erwiderte: „Mein Sohn, wenn wir davonlaufen, wird deine Mutter uns beide töten.“

Der Bodhisattva aber versetzte: „Fürchte dich nicht, Vater; meine Aufgabe soll es sein, dass du in das Bereich der Menschen zurückkehrst.“ So tröstete er seinen Vater. Am nächsten Tage, als die Mutter sich entfernt hatte, nahm er seinen Vater mit sich und entfloh. Als die Dämonin bei ihrer Rückkehr die beiden nicht fand, sprang sie mit Windeseile davon und holte sie ein. Sie rief: „O Brahmane, warum läufst du davon? Woran fehlt es dir hier?“ Er erwiderte: „Liebe, zürne mir nicht! Dein Sohn hat mich mit sich genommen und ist entflohen.“ Aus Liebe zu ihrem Sohne entgegnete die Dämonin nichts, sondern tröstete sie und nahm sie wieder in ihre Wohnung mit. Als sie nach einigen Tagen wieder davonliefen, brachte sie dieselben auf die nämliche Weise zurück.

Da dachte der Bodhisattva bei sich: „Meine Mutter muss ein abgegrenztes Gebiet besitzen. Wie, wenn ich sie nun nach der Grenze des von ihr beherrschten Gebietes fragen würde? Dann würde ich darüber hinausgehen und so entkommen.“ Als er eines Tages neben seiner Mutter saß, sagte er: „Mutter, was einer Mutter gehört, das kommt dann den Kindern zu. Teile mir die Begrenzung des dir gehörigen Gebietes mit!“ Darauf nannte sie ihm für alle Himmelsrichtungen die Kennzeichen an Bergen u. dgl. und schilderte ihm, dass ihr Gebiet dreißig Yojanas lang und fünf Yojanas breit sei. Dann sagte sie zu ihrem Sohne: „Dies Gebiet von dieser Ausdehnung merke dir, mein Sohn!“

Als nun zwei oder drei Tage vergangen waren und die Mutter sich gerade in den Wald begeben hatte, ließ er seinen Vater auf seine Schulter steigen, sprang nach den von seiner Mutter gegebenen Andeutungen mit Windeseile voran und gelangte an das Flussufer, das die Grenzen bildete. Da die Dämonin sie bei ihrer Rückkehr nicht fand, folgte sie ihnen. Der Bodhisattva aber hob seinen Vater auf und ging in die Mitte des Flusses. Nun kam die Dämonin an das Ufer des Flusses. Da sie merkte, dass jene ihr Gebiet überschritten hatten, blieb sie stehen und rief: „Mein Sohn, nimm deinen Vater mit und komme. Was habe ich für eine Schuld? Was bekommt ihr nicht durch mich? Kehre zurück, Gebieter!“ So bat sie ihren Sohn und ihren Gatten. Darauf ging der Brahmane wieder über den Fluss.

Sie fuhr fort, ihren Sohn zu bitten, und rief: „Mein Sohn, tue nicht so; kehre um.“ Er aber erwiderte: „Mutter, wir sind Menschen, du bist eine Dämonin; wir können nicht beständig bei dir wohnen bleiben.“ „Willst du also nicht zurückkehren, mein Sohn?“, fragte nochmals die Mutter. „Nein, Mutter“, war die Antwort. Darauf sprach sie: „Wenn du nicht zurückkehren willst — in der Welt der Menschen ist nämlich das Leben schwer, und wenn einer keine Kunst versteht, kann er nicht leben —, so wisse: Ich besitze die Kenntnis eines Weisheitskleinods; durch dessen Macht ist man im Stande, auch noch nach zwölf Jahren eine Spur zu verfolgen. Dies wird dir deinen Lebensunterhalt verdienen; höre, mein Sohn, diesen unschätzbaren Zauberspruch!“ So lehrte sie, obwohl von der Fülle des Leides überwältigt, in ihrer Mutterliebe ihren Sohn den Zauberspruch.

Der Bodhisattva bezeigte im Flusse stehend seiner Mutter seine Ehrfurcht, legte die Hände nach Schildkrötenart zusammen und nahm den Zauberspruch entgegen. Dann grüßte er seine Mutter und rief: „Gehet jetzt, Mutter!“ Sie aber versetzte: „Mein Sohn, wenn du nicht zurückkehrst, muss ich sterben.“ Zugleich schlug sich die Dämonin auf die Brust und sogleich zersprang ihr infolge ihres Mutterschmerzes ihr Herz; sie starb und fiel auf der Stelle zu Boden. Als der Bodhisattva merkte, dass sie tot war, rief er seinen Vater herbei, ging zu seiner Mutter hin, errichtete einen Scheiterhaufen und verbrannte ihren Leichnam. Hierauf löschte er das Feuer aus, erwies ihr mit Blumen von mannigfaltigen Farben Verehrung, weinte und klagte. —

Hierauf begab er sich nach Benares und ließ dem Könige melden: „Ein junger Brahmane steht vor der Türe, der der Fußspuren kundig ist.“ Auf die Aufforderung des Königs, er solle kommen, ging er hinein und begrüßte ihn ehrfurchtsvoll. Als der König ihn fragte: „Mein Sohn, was für eine Kunst kennst du?“, erwiderte er: „O Fürst, ich kann einen Schatz, der vor zwölf Jahren weggenommen wurde, durch Verfolgung der Spur wiedererhalten.“ Darauf sprach der König: „Sei also mein Diener.“ Der Bodhisattva versetzte: „Wenn ich täglich tausend Geldstücke erhalte, werde ich dir dienen.“ „Gut, Lieber, diene mir“, antwortete der König und ließ ihm jeden Tag tausend Geldstücke geben.

Eines Tages aber sprach der Hauspriester zum Könige: „O Großkönig, weil dieser junge Brahmane durch die Macht seiner Kunst noch keinen Erfolg erzielt hat, wissen wir nicht, ob er wirklich die Kunst besitzt oder nicht. Wir wollen ihn einmal auf die Probe stellen.“ Der König gab seine Einwilligung. Darauf gaben die beiden den Leuten, die die verschiedenen Juwelen bewachten, einen Wink [3], nahmen ein kostbares Kleinod fort und stiegen vom Palast herunter. Nachdem sie dreimal um den Palast des Königs herumgetappt, legten sie eine Leiter an und stiegen über die Mauer ins Freie. Sie begaben sich in die Gerichtshalle und setzten sich dort nieder; dann kehrten sie zurück, legten wieder die Leiter an und stiegen über die Mauer hinüber in den Palast [4]. Dann begaben sie sich an das Ufer des Lotosteiches, umwandelten den Lotosteich dreimal von rechts, stiegen hinein und legten den Schatz in dem Lotosteiche nieder. Hierauf stiegen sie wieder in den Palast hinauf.

Am nächsten Tage entstand ein großes Geschrei: „Aus dem königlichen Palaste hat man ein Kleinod entwendet.“ Der König tat, als wisse er von nichts, ließ den Bodhisattva zu sich rufen und sprach zu ihm: „Lieber, aus dem königlichen Palaste ist ein Juwelenschatz entwendet worden; man muss ihm nachspüren.“ Der Bodhisattva erwiderte: „O Großkönig, für mich, der ich im Stande bin, nach Ablauf von zwölf Jahren einen gestohlenen Schatz herbeizubringen, indem ich den Spuren der Diebe folge, ist es nichts Wunderbares, den heute Nacht gestohlenen Schatz zur Stelle zu schaffen. Ich werde ihn herbeibringen; seid unbesorgt.“ „Bringe mir ihn also zurück“, antwortete der König. Der Bodhisattva versetzte: „Gut, o Fürst.“ Er bezeigte seiner Mutter Verehrung, sagte den Zauberspruch her und sprach dann, im Thronsaale stehend: „O Großkönig, es ist die Spur von zwei Dieben vorhanden.“ Darauf ging er in Verfolgung der Spur des Königs und des Hauspriesters in das Schlafgemach des Königs hinein, verließ es wieder, stieg vom Palaste herunter, umschritt dreimal den Königspalast und kam immer in Verfolgung der Spur in die Nähe der Mauer. An der Mauer blieb er stehen und sagte: „O Großkönig, an dieser Stelle hat sich die Spur von der Mauer gelöst und befindet sich in der Luft; gebt mir eine Leiter!“ Diese Leiter ließ er anlegen, stieg über die Mauer hinab und ging, immer der Spur nachgehend, in die Gerichtshalle; dann kehrte er nach dem königlichen Palaste zurück, ließ wieder die Leiter anlegen, stieg über die Mauer hinüber und ging nach dem Lotosteiche hin. Diesen umwandelte er dreimal von rechts und mit den Worten: „O Großkönig, die Diebe sind in diesen Lotosteich hinab gestiegen“, holte er das Kleinod hervor, wie wenn er es selbst dort niedergelegt hätte. Er gab es dem Könige und fügte hinzu: „O Großkönig, diese beiden Diebe sind hochangesehene, große Diebe; auf diesem Wege sind sie in den königlichen Palast hinaufgestiegen.“

Befriedigt und erfreut schnippte die Volksmenge mit den Fingern und die Gewänder flogen in der Luft umher. Da dachte der König: „Dieser junge Brahmane ist nur der Spur nachgegangen und kennt nur den Ort, wo Diebe ihr Gut niederlegen, glaube ich; die Diebe fangen aber kann er nicht.“ Und er sprach zu ihm: „Du hast uns jetzt den von den Dieben weggenommenen Schatz gebracht; wirst du aber auch im Stande sein, die Diebe festzunehmen und uns auszuliefern?“ Der Bodhisattva antwortete: „O Großkönig, hier sind ja die Diebe, nicht fern von hier.“ Der König fragte; weiter: „Wer ist es, wer?“ Jener erwiderte: „O Großkönig, wer es wünscht, der soll der Dieb sein. Nachdem Ihr Euren Schatz wieder erhieltet, was braucht Ihr da die Diebe? Fraget nicht!“ Doch der König fuhr fort: „Lieber, ich gebe dir jeden Tag tausend Geldstücke; nimm die Diebe gefangen und gib sie mir!“ Der Bodhisattva versetzte: „O Großkönig, nachdem der Besitz da ist, was sollen da die Diebe?“ Doch der König antwortete: „Auch nach dem Besitze müssen wir die Diebe erhalten.“

Darauf sprach der Bodhisattva: „Darum werde ich Euch, o Großkönig, nicht sagen: ‘Dies da sind die Diebe’, sondern ich werde Euch eine alte Begebenheit aus der Vergangenheit erzählen; wenn Ihr verständig seid, so merkt Ihr die Sache.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit:

„O Großkönig, ehedem wohnte unweit von Benares in einem Dorfe am Flussufer ein Tänzer namens Patala. Eines Tages zog dieser mit seiner Gattin nach Benares, wo er durch sein Tanzen und Singen sich Geld verdiente. Nach Beendigung des Festes ließ er sie viel Branntwein und Reisbrei mitnehmen und kehrte nach seinem Dorfe zurück. Als er nun an das Flussufer kam und die neuen Wasserfluten daherfließen sah, setzte er sich nieder und trank Branntwein. In seinem Rausche rief er, da er sich über seine eigene Kraft nicht im Klaren war: ‘Ich werde, meine große Laute am Halse befestigt, zu Fuß den Fluss überschreiten.’ Und er nahm seine Gattin bei der Hand und stieg in den Fluss hinein. Durch die Löcher der Laute aber drang das Wasser, so dass ihn seine Laute in das Wasser herunterdrückte. Als nun seine Gattin bemerkte, dass er hinuntersank, ließ sie ihn los, stieg aus dem Wasser heraus und stellte sich an das Ufer. — Der Tänzer Patala tauchte einmal auf und einmal wieder unter, und weil er Wasser schluckte, schwoll ihm sein Bauch auf. Da dachte seine Gattin: ‘Mein Gatte wird hier sterben; ich will ihn bitten, mir ein Lied zu sagen, dass ich es inmitten des Volkes singe und mir dadurch den Unterhalt erwerbe.’ Daher sagte sie zu ihm: ‘Gebieter, du gehst im Wasser unter; lehre mich ein Lied, mit dem ich meinen Unterhalt erwerben kann.’ Und sie sprach folgende Strophe:

[§1] ‘Den hochgeschickten, süßen Sänger, den Patala entführt der Ganges. Der du dahintreibst, Heil sei dir; o sing mir noch ein kleines Lied!’

Doch der Tänzer Patala erwiderte ihr: ‘Liebe, wie soll ich dir ein Lied sagen? Jetzt bringt mich ja das Wasser um, das viel Volks zum Heile gereicht.’ Und er sprach folgende Strophe:

[§2] ‘Womit den Unglücklichen man, womit den Kranken man besprengt, in dessen Mitte muss ich sterben; statt Hilfe bringt es mir Gefahr.’“

Nachdem der Bodhisattva diese Strophe vorgetragen, fügte er hinzu: „O Großkönig, wie das Wasser für viele Leute eine Hilfe ist, so auch die Könige; doch wenn von ihnen eine Gefahr kommt, wer wird diese Not dann abwehren können?“ Und er schloss mit den Worten: „O Großkönig, diese Sache ist verborgen; ich aber habe sie so erzählt, dass sie die Weisen verstehen können. Merke es, o Großkönig!“

Doch der König erwiderte: „Lieber, eine so verborgene Rede verstehe ich nicht; nimm die Diebe gefangen und gib sie mir in die Hand!“ Da versetzte der Bodhisattva: „Darum, o Großkönig, höre wenigstens Folgendes und verstehe es!“ Und er erzählte ihm eine andere Geschichte.

„O Fürst, früher holte einmal in einem Dorf am Tore von Benares ein Töpfer Ton, um Gefäße daraus zu verfertigen. Er holte ihn immer an derselben Stelle und hatte deshalb innerhalb einer Berghöhle ein großes Loch gegraben. Während er aber eines Tages Ton holte, erhob sich zur Unzeit ein Sturm und entsandte einen starken Regen. Das Wasser breitete sich über den Rand des Loches aus und brachte ihn zum Einstürzen, so dass dem Töpfer der Kopf zerschmettert wurde. Jammernd sprach er folgende Strophe:

[§3] ‘Was alle Samen aufgehn lässt, worauf der Menschen Wohl beruht, das drückt mir jetzt den Schädel ein; statt Hilfe bringt es mir Gefahr.’“

Der Bodhisattva fuhr fort: „O Fürst, wie die Mutter Erde, die allen Menschen Nutzen bringt, dem Töpfer das Haupt zerschmetterte, ebenso ist es mit einem Völkerfürsten, der wie die Mutter Erde für die ganze Welt das Heil bedeutet. Wenn er eine Räuberei begeht, wer wird ihn da abwehren können? Du wirst doch im Stande sein, o Großkönig, den in dieser Verhüllung genannten Dieb zu erkennen!“ Der König aber antwortete: „Lieber, ich will keine Verhüllung; liefere mir den Dieb aus mit den Worten: ‘Dies ist der Dieb’, und gib ihn mir!“

Um aber den König zu beschützen, sagte der Bodhisattva nicht: „Du bist der Dieb“, sondern er erzählte eine weitere Begebenheit aus der Vergangenheit.

„O Großkönig, ehemals brannte in eben dieser Stadt das Haus eines Mannes. Dieser befahl einem anderen, er solle hineingehen und die Habe heraustragen. Als dieser aber hineingegangen war und die Schätze heraustragen wollte, stürzte die Haustüre ein. Vom Rauch erblindet konnte er den Ausgang nicht finden und sprach drinnen stehend, da ihn des Feuers Leid traf, jammernd folgende Strophe:

[§4] ‘Womit man alle Speisen kocht, womit die Kälte man vertreibt, das brennt mir jetzt die Glieder mein; statt Hilfe bringt es mir Gefahr.’“

Der Bodhisattva fügte hinzu: „Dem Feuer gleich, das vielen Leuten eine Hilfe ist, hat ein Mann den Juwelenschatz weggenommen; frage mich nicht nach dem Diebe.“ Doch der König blieb dabei, er solle ihm den Dieb nennen. Aber noch immer sagte jener nicht: „Du bist der Dieb“, sondern er erzählte eine weitere Geschichte.

„O Fürst, ehedem aß einmal in dieser selben Stadt ein Mann zu viel. Da er es nicht verdauen konnte, wurde er von Schmerz überwältigt und sprach jammernd folgende Strophe:

[§5] ‘Die Speise da, mit der sich nähren der Krieger und Brahmanen viel, die Speise hat mich krank gemacht; statt Hilfe bringt sie mir Gefahr.’“

Dann fuhr er fort: „O Großkönig, der Speise vergleichbar hat ein Mann, der viel Volks eine Hilfe ist, den Schatz gestohlen. Nachdem du ihn wiedererhalten, was fragst du noch nach dem Diebe?“ Doch der König antwortete: „Lieber, wenn du es kannst, so liefere mir den Dieb aus.“ Um den König aber zu belehren, erzählte der Bodhisattva noch eine andere Geschichte.

„O Großkönig, in dieser selben Stadt erhob sich ehemals ein Sturm und zerschmetterte einem Manne die Glieder; jammernd sprach dieser folgende Strophe:

[§6] ‘Im letzten Monate des Sommers, da sehnen sich nach Sturm die Weisen und jetzt zerschlägt er mir die Glieder; statt Hilfe bringt er mir Gefahr.’“

Der Bodhisattva schloss mit den Worten: „So, o Großkönig, entstand aus etwas, das Hilfe bringt, eine Gefahr; verstehe doch den Zusammenhang!“ Der König aber blieb bei seinem Verlangen, er solle ihm den Dieb nennen. Um ihn zu belehren, erzählte darauf der Bodhisattva noch eine Geschichte.

„O Fürst, ehedem stand am Abhang des Himalaya ein großer Baum mit ausgebreitetem Laubdach; der war die Wohnung von vielen tausend Vögeln. Von ihm rieben sich zwei Zweige aneinander. Dadurch entstand Rauch und Feuerfunken fielen hernieder. Als dies der Anführer der Vögel sah, sprach er folgende Strophe [auch in Jātaka 36]:

[§7] ‘Der Baum, in dem wir Vögel wohnten, er selber zündet Feuer an. Ihr Vögel, fliegt anderswohin; statt Hilfe bringt er uns Gefahr.’“

Der Bodhisattva fügte hinzu: „Wie nämlich, o Fürst, der Baum für die Vögel eine Zuflucht war, so ist es der König für viele Leute. Wenn er Räubereien begeht, wer wird ihn da abwehren können? Verstehe, o Fürst!“ Doch der König sagte immer wieder: „Lieber, nenne mir den Dieb.“ Jener aber erzählte ihm noch folgende Geschichte:

„O Großkönig, in einem Dorfe des Landes Kasi befand sich auf der Westseite des Hauses einer edlen Familie ein Fluss, der voll war von wilden Krokodilen. Diese Familie besaß einen einzigen Sohn, der nach dem Tode seines Vaters seine Mutter pflegte. Ihm führte seine Mutter, wenn auch gegen seinen Willen, eine Tochter aus gutem Hause als Gattin zu. Diese behandelte in der ersten Zeit ihre Schwiegermutter liebevoll; später aber, als ihre Söhne und Töchter heranwuchsen, bekam sie Lust, dieselbe zu beseitigen. Ihre eigene Mutter aber lebte auch in diesem Hause. — Bei ihrem Gatten erzählte sie mannigfache Fehler seiner Mutter, verleumdete sie und sagte: ‘Ich kann deine Mutter nicht ernähren; töte sie.’ Doch ihr Gatte erwiderte: ‘Der Tod eines Menschen ist etwas Arges; wie soll ich sie töten?’ Die Frau antwortete: ‘Wenn sie im Schlafe liegt, wollen wir sie mit ihrem Bett nehmen und in den Krokodilfluss werfen; dann werden sie die Krokodile töten.’ ‘Wo schläft aber deine Mutter?’, fragte er. ‘Sie schläft neben der deinen’, war die Antwort. Darauf sprach der Mann: ‘Gehe also hin, befestige an dem Bette, auf dem sie liegt, einen Strick und mache ein Zeichen daran.’ Sie tat so und sagte: ‘Ich habe das Zeichen angebracht.’ Der andere versetzte: ‘Warte noch ein wenig, die Leute sollen derweilen schlafen’, und er legte sich nieder, als ob er schliefe. Er ging aber hin und befestigte den Strick am Bette der Mutter seiner Frau; dann weckte er seine Frau auf und die beiden gingen hin, hoben jene samt ihrem Bette auf und warfen sie in den Fluss. Hier zerrissen sie die Krokodile und fraßen sie auf. — Als die Frau am andern Tage merkte, dass ihre Mutter verwechselt worden war, sagte sie: ‘Gebieter, meine Mutter ist ja getötet worden; jetzt wollen wir aber deine Mutter auch umbringen.’ Da ihr Gatte seine Zustimmung erklärte, fügte sie hinzu: ‘Wir wollen auf dem Leichenfelde einen Scheiterhaufen errichten, sie ins Feuer werfen und so ums Leben bringen.’ Als die Mutter schlief, verbrachten sie die beiden nach dem Leichenfelde und stellten das Bett hin. Da fragte der Mann seine Gattin: ‘Hast du Feuer mitgenommen?’ ‘Ich habe es vergessen, Gebieter’, war die Antwort. ‘Gehe also hin und hole es.’ Doch sie erwiderte: ‘Gebieter, ich getraue mich nicht zu gehen, und auch wenn du gehst, werde ich nicht hier bleiben können. Wir wollen zusammengehen.’ — Als sie aber beide weggegangen waren, erwachte die Alte infolge des kalten Windes. Sie merkte, dass sie sich auf dem Leichenfelde befand, und überlegte: ‘Die beiden wollen mich töten; sie sind fort gegangen, um Feuer zu holen, aber sie kennen nicht meine Stärke!’ Damit legte sie einen Leichnam auf das Bett und deckte ihn oben mit einem Gewande zu; sie selbst lief davon und flüchtete sich in eine Felsenhöhle. Nachdem aber die beiden andern das Feuer herbeigebracht hatten, verbrannten sie den Leichnam in der Meinung, es sei die Alte, und entfernten sich wieder. — Ein Dieb aber hatte in jener Felshöhle einen Schatz versteckt. Als er herbeikam, um ihn zu holen, und die Alte sah, dachte er: ‘Es wird eine Dämonin sein; mein Schatz ist von Geistern in Besitz genommen worden’, und er brachte einen Geisterarzt herbei. Der Arzt sagte seinen Zauberspruch her und ging in die Höhle hinein. Doch die Alte sprach zu ihm: ‘Ich bin keine Dämonin; komm, wir beide wollen diesen Schatz verbrauchen.’ ‘Wie soll ich dir glauben?’, fragte der andere. Sie erwiderte: ‘Lege deine Zunge auf meine Zunge.’ Jener tat so. Da biss sie ihn in die Zunge und riss einen Teil davon ab, dass er zu Boden fiel. Der Geisterarzt rief: ‘Sicherlich ist es eine Dämonin’, und jammernd mit seiner von Blut triefenden Zunge lief er davon. — Am nächsten Tage zog die Alte ein reines Gewand an, nahm den aus mancherlei Juwelen bestehenden Schatz mit sich und ging in ihr Haus. Als ihre Schwiegertochter sie sah, fragte sie: ‘Mutter, wo hast du dies erhalten?’ Sie antwortete: ‘Meine Tochter, wer sich auf diesem Leichenfelde auf einem Scheiterhaufen aus Holz verbrennen lässt, der erhält solche Dinge.’ Die Junge fragte weiter: ‘Mutter, kann auch ich solches bekommen?’ ‘Wenn du es machst wie ich, wirst du es erhalten.’ Aus Habgier nach dem Schmucke und dem Schatz ließ sich nun die Junge dort verbrennen, ohne ihrem Manne etwas davon zu sagen. Als sie am nächsten Tage ihr Mann nicht fand, sagte er: ‘Mutter, ist denn nicht in dieser Zeit deine Schwiegertochter gekommen?’ Sie aber jagte ihm Schrecken ein mit den Worten: ‘Holla, du Bösewicht, kommen denn etwa die Toten zurück?’ Und sie sprach folgende Strophe:

[§8] ‘Die ich voll Freude hierher führte, geschmückt mit Kränzen, sandelduftend, die treibt mich aus dem Haus heraus; statt Hilfe bringt sie mir Gefahr.’“

Dann fuhr der Bodhisattva fort: „O Großkönig, wie die Schwiegertochter für die Schwiegermutter, so ist der König für viel Volks die Zuflucht. Wenn von dort Gefahr kommt, was kann man da tun? Verstehe doch, o Fürst!“ Dieser aber erwiderte: „Lieber, ich verstehe deine alten Geschichten nicht; nenne mir den Dieb!“ Der Bodhisattva aber dachte: „Ich will den König behüten“, und erzählte nochmals eine Geschichte.

„O Fürst, ehemals erhielt in dieser Stadt ein Mann, der darum gebetet hatte, einen Sohn. Als dieser geboren war, war er voll Freude und Jubel, dass er einen Sohn erhalten, und zog ihn auf. Als dieser herangewachsen war, gab er ihm ein Weib. In der Folgezeit aber wurde er alt und konnte nicht mehr seine Arbeit verrichten. Da sagte sein Sohn zu ihm: ‘Du kannst keine Arbeit mehr tun; gehe fort von hier’, und trieb ihn aus dem Hause. Mit Mühe und Not erwarb sich der Alte seinen Unterhalt durch Betteln und sprach dabei jammernd folgende Strophe:

[§9] ‘Bei dem ich der Geburt mich freute, nach dessen Dasein ich verlangte, der treibt mich aus dem Haus heraus; statt Hilfe bringt er mir Gefahr.’“

Der Bodhisattva fügte hinzu: „O Großkönig, wie ein Vater, der alt geworden ist, von seinem kräftigen Sohne behütet werden muss, so ist auch ein ganzes Land von seinem Könige zu beschirmen. Wenn hier eine Gefahr entsteht, so ist sie von dem alle Wesen behütenden Könige entstanden. Aus diesem Grunde erkenne doch, dass der und der der Dieb ist, o Fürst.“ Der König aber erwiderte: „Lieber, ich weiß nicht den Grund oder den Nichtgrund. Nenne mir den Dieb oder du wirst selbst als Dieb behandelt.“ So drängte der König immer wieder den jungen Brahmanen.

Da sprach dieser zu ihm: „Wünscht Ihr also wirklich, o Großkönig, dass der Dieb genannt werde?“ „Ja, Lieber“, antwortete der König. „So werde ich also inmitten der Versammlung verkünden: Der und der ist der Dieb!“ „Tue so, Lieber.“

Als der Bodhisattva diese seine Worte vernahm, dachte er: „Dieser König lässt sich selbst nicht beschirmen; jetzt werde ich den Dieb nennen.“ Und er wandte sich an die versammelte Volksmenge und sprach folgende Strophen:

[§10] „Anhören mögen mich die Städter und die vom Land sich hier versammelt: Was Wasser war, das ward zum Feuer; was Frieden brachte, bringt Gefahr. [§11] Der König plündert aus sein Reich, ihm hilft der Hauspriester-Brahmane. Seid für euch selbst wohl auf der Hut; statt Hilfe bringt er uns Gefahr!“

Als aber die Leute seine Worte hörten, dachten sie bei sich: „Dieser König, der doch ein Schirmer sein soll, hat auf einen andern die Schuld kommen lassen; er hat selbst seinen Schatz in dem Lotosteiche verborgen und lässt nun nach dem Diebe suchen. Damit er von nun an nicht noch einmal seine Räubereien begehen kann, wollen wir diesen bösen König töten!“ Sie nahmen Stöcke, Keulen u. dgl. in die Hand und schlugen dortselbst den König und seinen Hauspriester, bis sie tot waren. Dann erteilten sie dem Bodhisattva die Weihe und setzten ihn auf den Thron.

[§C]

Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen, fügte er hinzu: „Nicht wunderbar, o Laienbruder, ist es, wenn man auf der Erde die Fußspuren findet; die Weisen der Vorzeit fanden selbst in der Luft die Spuren.“ Nachdem er sodann die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten (am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber gelangten der Laienbruder sowohl wie sein Sohn zur Frucht der Bekehrung): „Damals war der Vater Kassapa, der der Fußspuren kundige junge Brahmane aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem der Fußspuren kundigen jungen Brahmanen

Anmerkungen:

1.
Eine Handschrift hat „assamukhi“ statt „assumukhi“; dies bedeutet: „mit einem Pferdegesicht“ [1a]. Neil hat diese Lesart akzeptiert.
1a.
Für diese Lesart spricht die weiter unten folgende Aussage ihres Sohnes, dass sie ein anderes Antlitz als sein menschlicher Vater hat.
2.
Der Fürst der Dämonen.
3.
Sollte nicht eher „adatva“ statt „datva“ zu lesen sein, also „ohne ihnen einen Wink zu geben“? Vgl. den weiteren Verlauf der Erzählung.
4.
„antopure“ wird wohl dasselbe sein wie „antepure“; Neils Übersetzung „city“ passt nicht zum Folgenden.
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