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J 438
{Sutta: J iii 542|J 438|J 438} {Vaṇṇanā: atta. J 438|atta. J 438}
Die Erzählung von dem Rebhuhn
438
Tittira-Jataka (Daddarajātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

Der die drei Jungen aufgefressen

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf den Mordversuch des Devadatta. —

Zu dieser Zeit nämlich begannen die Mönche in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Ach, Freund, Devadatta ist schamlos und unedel. Er hat sich mit Ajatasattu zusammengetan und wendet nun, den völlig Erleuchteten, den Träger der höchsten Tugend, zu ermorden, verschiedene Mittel an, wie das Aussenden von Bogenschützen, das Herabwerfen eines Felsblockes und das Loslassen des Elefanten Nalagiri [1].“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon bemühte sich Devadatta, mich zu ermorden; jetzt aber vermochte er mir nicht einmal Furcht einzuflößen.“ Nach diesen Worten erzählte er auf ihre Bitten folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

[§B]

Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, unterrichtete ein weitberühmter Lehrer zu Benares fünfhundert junge Brahmanen in der Wissenschaft. Da dachte er: „Solange ich hier weile, bin ich gehindert; auch bei den jungen Brahmanen bleibt das Wissen nicht haften. Ich will in eine Waldgegend des Himalaya ziehen, dort wohnen und unterrichten.“ Er sagte es seinen Schülern, ließ sie Sesamkörner, Reiskörner, Öl u. dgl. mitnehmen und zog in den Wald. Unweit von der Straße erbaute er sich eine Laubhütte und nahm dort Wohnung. Auch die jungen Brahmanen errichteten sich ein jeder seine Laubhütte. Die Verwandten der Jünglinge schickten Reis und andere Nahrungsmittel dorthin; auch die Bewohner des Landes dachten: „Der weitberühmte Lehrer wohnt im Walde an dem und dem Orte und lässt dort die Wissenschaft erlernen“, und sie brachten ihm ebenfalls Nahrungsmittel. Diejenigen, die in diese Wildnis kamen, spendeten Gaben und ein Mann schenkte ihnen, damit sie Milch trinken könnten, eine Kuh mit ihrem Kalbe.

In der Nähe der Laubhütte des Lehrers aber wohnte ein Rieseneidechsenweibchen mit seinen zwei Jungen; auch ein Löwe und ein Tiger kamen herbei, um ihm aufzuwarten. Ferner weilte dort auch beständig ein Rebhuhn; dieses hörte zu, wenn der Lehrer den jungen Brahmanen die heiligen Sprüche vorsagte, und erlernte auf diese Weise die drei Veden [2]. Die jungen Brahmanen aber waren sehr vertraut mit ihm.

In der Folgezeit aber starb der Lehrer, bevor noch die jungen Brahmanen die Wissenschaft vollständig erlernt hatten. Die Jünglinge verbrannten seinen Leichnam und errichteten ein Monument aus Sand darüber, das sie mit mancherlei Blumen verehrten. Dabei weinten und klagten sie. Da fragte sie das Rebhuhn: „Warum weint ihr?“ Sie antworteten: „Unser Lehrer ist gestorben, bevor wir die Wissenschaft ganz erlernt; deshalb weinen wir.“ Doch das Rebhuhn sagte: „Wenn es sich so verhält, so seid unbekümmert; ich werde euch die Wissenschaft lehren.“ „Wie sollst du dies wissen?“, versetzten jene. Aber das Rebhuhn fuhr fort: „Ich habe zugehört, wenn euch euer Lehrer vortrug, und so machte ich mir die drei Veden zu eigen.“ Da riefen die jungen Brahmanen: „So lasse uns sehen, ob du sie dir zu eigen gemacht hast.“ Das Rebhuhn erwiderte: „Höret nur zu“, und es sagte ihnen gerade die verwickeltsten Stellen her, als wenn es einen Fluss von der Spitze des Berges herabfließen ließe.

Darüber waren die jungen Brahmanen hocherfreut und sie erlernten nun bei dem Rebhuhn die Wissenschaft. Dies aber trat an die Stelle des weitberühmten Lehrers und unterrichtete sie in der Wissenschaft. Die jungen Brahmanen machten ihm einen goldenen Käfig und befestigten darüber einen Vorhang; auf goldener Platte setzten sie ihm Honigkörner und andere derartige Speisen vor, verehrten es mit verschiedenfarbigen Blumen und erwiesen ihm große Ehrung. Dass aber das Rebhuhn im Walde die fünfhundert jungen Brahmanen in der Wissenschaft unterrichtete, wurde auf dem ganzen Jambu-Erdteil bekannt. —

Damals rief man auf dem Jambu-Erdteil ein großes Fest aus, das einer Volksversammlung auf einer Bergspitze glich. Die Eltern der jungen Brahmanen schickten ihnen Botschaft, sie sollten kommen und das Fest sich anschauen. Die jungen Brahmanen berichteten dies dem Rebhuhn; sie übertrugen die Bewachung des weisen Rebhuhns und der ganzen Einsiedelei der Rieseneidechse und gingen fort, ein jeder in seine Stadt.

Da kam ein mitleidsloser [3] falscher Asket, der allenthalben umherging, an diesen Ort. Als ihn die Rieseneidechse sah, begann sie ein liebevolles Gespräch mit ihm und sagte: „An dem und dem Orte sind Reiskörner, an dem und dem Öl u. dgl; koche dir Reisbrei und iss!“ Darauf ging sie fort, um sich Futter zu suchen. Jener kochte sich am Morgen den Reisbrei, tötete die beiden Jungen der Rieseneidechse, machte sich eine Sauce davon und verzehrte dies. Am Mittag brachte er das weise Rebhuhn und das Kalb um und aß sie auf; und als er am Abend die Kuh kommen sah, tötete er auch sie und verzehrte ihr Fleisch. Dann legte er sich am Fuße eines Baumes nieder und versank schnarchend in Schlaf.

Als am Abend die Rieseneidechse zurückkehrte und ihre Jungen nicht fand, ging sie umher und suchte nach ihnen. Eine Baumgottheit sah, wie die Rieseneidechse ihre Jungen nicht fand und darüber in Angst war. Durch ihre göttliche Macht stellte sie sich in eine Öffnung des Baumes und sagte: „Du Rieseneidechse, zittere nicht! Dieser Bösewicht da hat deine Jungen getötet sowie auch das Rebhuhn, das Kalb und die Kuh. Beiße ihn in den Hals und bringe ihn so ums Leben!“ Und sie anredend sprach die Gottheit folgende erste Strophe:

[§1] „Der dir die Jungen aufgefressen, obwohl du ihn gespeist, die braven, dem schlage deinen Zahn ins Fleisch; nicht lebend soll er dir entkommen.“

Darauf sprach die Rieseneidechse die folgenden beiden Strophen:

[§2] „Ein blut'ger Mörder ist der Mann, befleckt wie einer Amme Kleid; ich finde keinen Fleck an ihm, wo ich den Zahn eingraben könnte. [§3] Wenn ungenügsam ist ein Mann, der immer nur das Leere sieht, gibt man ihm auch die ganze Welt, man könnt' ihn nicht befriedigen [4].“

Nach diesen Worten sagte die Rieseneidechse: „Wenn er aufwacht, könnte er auch mich noch auffressen“; und sie lief fort, um ihr Leben zu schützen. —

Der Löwe und der Tiger aber waren auch mit dem Rebhuhn befreundet. Manchmal kamen sie und besuchten das Rebhuhn, manchmal kam dieses zu ihnen, verkündigte ihnen die Wahrheit und kehrte dann wieder zurück. An diesem Tage aber sprach der Löwe zum Tiger: „Lieber, schon lange haben wir das Rebhuhn nicht mehr gesehen; heute sind es sieben oder acht Tage. Gehe hin und sieh, wie es ihm geht.“ Der Tiger stimmte ein und kam an den Ort, als die Rieseneidechse schon davongelaufen war. Da sah er den Bösewicht schlafen. In seinen Flechten hingen noch die Federn des Rebhuhns und man sah die Knochen der Kuh und des Kalbes.

Als der Tiger dies alles bemerkte und in dem goldenen Käfig das Rebhuhn nicht sah, dachte er: „Dieser böse Mann wird sie getötet haben“; er stieß an ihn mit seiner Tatze und weckte ihn so auf. Als der Mann den Tiger sah, wurde er mit Furcht erfüllt. Der Tiger fragte er ihn darauf: „Hast du diese Tiere getötet und verzehrt?“ „Ich habe sie nicht getötet und auch nicht verzehrt“, war die Antwort. Doch der Tiger erwiderte: „Du Bösewicht, wenn du sie nicht getötet hast, wer sollte sie dann sonst töten? Gestehe es! Wenn du es nicht gestehst, bist du verloren.“ Von Todesfurcht erfüllt sagte jener: „Ja, Gebieter, ich habe die Jungen der Rieseneidechse, das Kalb und die Kuh getötet und aufgegessen; das Rebhuhn aber habe ich nicht getötet.“

Obwohl dieser aber viel redete, glaubte ihm der Tiger nicht, sondern fragte ihn: „Woher bist du gekommen?“ Der Mann antwortete: „Herr, indem ich den Kaufleuten im Königreiche Kalinga ihre Waren fortschaffte, um mir den Unterhalt zu erwerben, und mit ähnlichen derartigen Beschäftigungen bin ich hierher gekommen.“ Nachdem er so dem Tiger all seine Arbeiten erzählt, die er verrichtet, sagte dieser: „Du Bösewicht, wenn du das Rebhuhn nicht getötet hast, wer sollte es denn sonst töten? Komm, ich will dich zum Löwen, zum König der Tiere führen.“ Und er ließ ihn vorangehen und führte ihn hin, ihm Furcht einflößend.

Als nun der Löwe sah, wie der Tigerkönig jenen herbeiführte, sprach er, indem er den Tiger fragte, folgende vierte Strophe:

[§4] „Warum kommst du, Subahu [5], voller Eile zu mir heran mit dem Brahmanenjüngling? Was willst du Nützliches mit ihm beginnen? Erzähl es mir, der ich dich darnach frage.“

Da dies der Tiger hörte, sprach er folgende fünfte Strophe:

[§5] „Das Rebhuhn, das dein Freund war, dieses gute, hat heute er getötet, wie ich glaube. Da ich gehört, was dieser Mann sonst tut, glaub ich nicht, dass das Rebhuhn noch am Leben.“

Darauf sprach der Löwe folgende sechste Strophe:

[§6] „Was ist es, das der Mann hier sonst begangen, was seiner Handlungsweise könnt' entsprechen? Was hörtest du von ihm für ein Geständnis, dass du ihn in Verdacht hast ob des Rebhuhns?“

Um ihm dies zu verkünden, sprach der Tiger die folgenden übrigen Strophen:

[§7] „Kalinga-Land durchzog er, Handel treibend, mit einem Stock ging er belebte Straßen; mit Akrobaten ging er und warf Schlingen, mit Knüppeln kämpft' er auch in der Versammlung. [§8] Die Vögel fing er, maß die Pfosten ab [6], Augen verdarb er [7], gab das Frommsein auf; Verbrechern wusch das Blut er ab zur Nachtzeit, verbrannt sind ihm die Hände von Almosen [8]. [§9] Dies, hört' ich, sind die Taten, die er früher beging und die zu seinem Treiben passen. Auch sieht ein Stück der Federn man an ihm; die Kuh er tötet', — warum nicht das Rebhuhn?“

Darauf fragte der Löwe den Mann: „Hast du das weise Rebhuhn getötet?“ „Ja, Herr“, war die Antwort. Als aber der Löwe hörte, dass er die Wahrheit sagte, wollte er ihn loslassen; doch der Tigerkönig rief: „Er verdient den Tod, der Böse!“ Er tötete ihn auf der Stelle mit seinen Zähnen, grub eine Grube und warf ihn hinein. Als aber die jungen Brahmanen kamen und das weise Rebhuhn nicht mehr fanden, da weinten und klagten sie und zogen fort.

[§A2]

Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen, fügte er hinzu: „So, ihr Mönche, war Devadatta auch früher schon auf meine Ermordung bedacht.“

[§C]

Dann verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war der Asket Devadatta, die Rieseneidechse war Kisagotami, der Tiger war Mogallāna, der Löwe Sāriputta, der weitberühmte Lehrer war Kassapa, das weise Rebhuhn aber war ich.“

Ende der Erzählung vom Rebhuhn

Anmerkungen:

1.
Vgl. „Leben des Buddha“, S. 172-180.
2.
Aus dem Auswendiglernen der Veden bestand die ganze Wissenschaft
3.
Die Lesart ist zweifelhaft. Vielleicht hat Morris recht, der „nigantho“ liest, also „ein nackter Asket“.
4.
Dies ist auch die Strophe des Jātaka 72.
5.
Auf Deutsch: „der Starkarmige“.
6.
Gemeint sind die Pfosten, an denen die gefangenen Elefanten angebunden werden.
7.
Er gab sich als Arzt aus und machte dadurch seine Patienten blind.
8.
Er nahm die Almosenspeise zu gierig entgegen, solange sie noch heiß war.
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