„Du sitzt allein“
[§A]Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen unzufriedenen Mönch.
[§D]Die Begebenheit wird im Kusa-Jātaka [1] erzählt werden. —
Als aber der Meister jenen Mönch angeredet und gefragt hatte: „Ist es wahr, Mönch, dass du unzufrieden bist?“, und dieser zur Antwort gab: „Es ist wahr, Herr“, sprach der Meister weiter: „O Mönch, warum bist du durch die Macht der Begierde mit dieser so zum Heile führenden Lehre unzufrieden geworden? Die Weisen der Vorzeit, die in der prächtigen, zwölf Yojanas im Umkreis messenden Stadt Surundhana die Herrschaft führten und mit einem den Göttermädchen an Schönheit gleichenden Weibe siebenhundert Jahre lang in einem Gemache wohnten, missbrauchten ihre Sinne nicht und sahen es in sinnlicher Begierde nicht einmal an.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.
Ehedem herrschte im Reiche Kasi in der Stadt Surundhana der König von Kasi; dieser hatte keinen Sohn und keine Tochter. Er sagte aber zu seinen Gattinnen: „Wünscht euch Söhne!“ Damals verließ der Bodhisattva die Brahmawelt und nahm im Schoße der ersten Gemahlin des Königs seine Wiedergeburt. Da er aber durch seine Geburt das Herz vieler Menschen erfreute, gab man ihm den Namen Udayabhadda (= Ursprung des Glücks). Als der Prinz das Alter erreicht hatte, dass er gehen konnte, verließ ein anderes Wesen die Brahmawelt und nahm seine Wiedergeburt als ein Mädchen im Schoße einer anderen Gemahlin des Königs; ihr gab man ebenfalls den Namen Udayabhadda [2].
Als der Prinz herangewachsen war, erreichte er die Vollendung in allen Künsten. Er führte aber von Natur aus einen heiligen Wandel; selbst im Traume kannte er keine Betätigung der Unreinheit und sein Herz war nicht an die Lust gefesselt. Der König weihte seinen Sohn zu seinem Nachfolger und gab den Auftrag, ihm Tänzerinnen zu besorgen. Der Bodhisattva aber wies ihn zurück mit den Worten: „Mich verlangt nicht nach dem Thron; mein Herz ist nicht an die Lüste gefesselt.“ Als er jedoch immer aufs Neue darum angegangen wurde, ließ er eine Frauengestalt aus rotem Golde machen und schickte sie seinen Eltern mit der Nachricht: „Wenn ich eine solche Frau erhalte, werde ich den Thron besteigen.“ Diese ließen das goldene Bild auf dem ganzen Jambu-Erdteil herumtragen. Als sie aber ein solches Weib nicht fanden, schmückten sie Udayabhadda und stellten sie daneben; da übertraf sie das goldene Bild an Schönheit. Darauf machten sie gegen den Willen der beiden seine Stiefschwester, die Prinzessin Udayabhadda, zu seiner ersten Gemahlin und erteilten dem Bodhisattva die Königsweihe. Die beiden aber führten ihren reinen Wandel weiter.
In der Folgezeit bestieg der Bodhisattva nach dem Tode seiner Eltern den Thron. Obwohl jetzt die beiden in einem Gemache wohnten, missbrauchten sie ihre Sinne nicht und schauten einander in sinnlicher Lust nicht einmal an. Sie machten aber folgenden Vertrag: „Wer von uns zuerst stirbt, der soll von dem Orte, an den er gekommen ist, zurückkehren und dem anderen melden, er sei an dem und dem Orte wiedergeboren.“
Der Bodhisattva aber starb siebenhundert Jahre, nachdem er zum König geweiht worden war. Kein anderer wurde König, sondern es galt nur der Wille der Udayabhadda und die Minister führten die Verwaltung des Reiches. — Der Bodhisattva hatte im Himmel der dreiunddreißig Götter die Würde des Gottes Sakka erhalten und vermochte infolge der Größe seiner Ehrung sich sieben Tage lang nicht daran zu erinnern. Nach Ablauf von siebenhundert Jahren nach menschlicher Berechnung sann er darüber nach und dachte: „Ich will die Königstocher Udayabhadda durch Geld auf die Probe stellen und sie den Löwenruf ausstoßen lassen [3]; dann werde ich sie in der Wahrheit unterweisen, meinen Vertrag auflösen und hierher zurückkehren.“
Damals aber währte das Leben der Menschen zehntausend Jahre. An diesem Tage hatte sich nun die Königstocher zur Nachtzeit bei wohlverschlossenen Türen, vor die eine Wache gestellt war, auf der Fläche des siebenten Stockwerkes ihres Palastes in ihrem reich geschmückten königlichen Schlafgemach allein unbeweglich niedergesetzt, indem sie über die Tugend eine Betrachtung anstellte. Da kam Gott Sakka mit einer goldenen Schüssel, die mit Goldmünzen gefüllt war, herbei und wurde in ihrem Schlafgemache sichtbar. Ihr zur Seite tretend begann er ein Gespräch mit ihr und sprach dabei folgende erste Strophe:
Darauf sprach die Königstochter folgende zwei Strophen:
Hierauf sprach Sakka folgende vierte Strophe:
Als dies die Königstochter hörte, sprach sie folgende fünfte Strophe:
Als er diesen ihren Löwenruf vernommen, stellte er sich, als bleibe er nicht und gehe fort; unsichtbar aber blieb er dort. Am nächsten Tage hatte er eine mit Goldmünzen gefüllte silberne Schüssel bei sich und er sprach, indem er sie anredete, folgende sechste Strophe:
Da dachte die Königstochter bei sich: „Dieser wird, wenn er sich mit mir unterhalten darf, immer wieder kommen; ich werde jetzt nicht mehr mit ihm reden.“ Und sie erwiderte nichts. Als nun Sakka merkte, dass sie nichts mehr entgegnete, machte er sich wieder unsichtbar und blieb dort.
Am nächsten Tage kam er mit einer eisernen Schüssel, die mit Kahapanas gefüllt war, herbei und sagte: „Liebe, erfreue mich durch Liebesgenuss; ich will dir diese mit Kahapanas gefüllte eiserne Schüssel dafür geben.“ Als ihn die Königstochter sah, sprach sie folgende siebente Strophe:
Als dies der Bodhisattva hörte, antwortete er: „Liebe Königstochter, ich bin ein erfahrener Kaufmann; für Unnützes verliere ich kein Geld. Wenn du an Jugendblüte oder an Schönheit wachsen würdest, dann würde auch ich immer ein vergrößertes Geschenk herbeibringen. Du aber nimmst immer ab, darum lasse auch ich immer das Geld abnehmen.“ Und er sprach folgende drei Strophen:
Darauf sprach die Königstochter folgende andere Strophe:
Um ihr dies zu erklären, sprach Sakka folgende Strophe:
Als sie so von der Herrlichkeit der Götterwelt hörte, fragte sie nach dem Weg, der dorthin führe, und sprach folgende weitere Strophe:
Um ihr dies auseinander zu setzen, sprach Sakka folgende weitere Strophe:
Als die Königstochter seine Worte vernommen, sprach sie hierauf, um ihn zu preisen, folgende weitere Strophe:
Darauf sprach der Bodhisattva folgende weitere Strophe:
Aufatmend entgegnete die Königstochter: „Herr, du bist der König Udayabhadda“; mit einem Strom von Tränen fügte sie hinzu: „Ich kann ohne dich nicht bleiben; belehre mich, dass ich bei dir bleiben kann.“ Und sie sprach folgende weitere Strophe:
Um sie zu unterweisen, sprach der Bodhisattva folgende vier Strophen:
So gab ihr der Bodhisattva eine Ermahnung. Sie aber, befriedigt von der Erklärung der Wahrheit, sprach, um ihn zu preisen, folgende Schlussstrophe:
Nachdem ihr der Bodhisattva diese Ermahnung gegeben hatte, kehrte er an seinen Wohnort zurück. Jene aber übergab am nächsten Tage ihren Ministern die Regierung und betätigte in ihrer eigenen Stadt in einem anmutigen Parke die Weltflucht der Weisen. Nachdem sie heiligen Wandel geübt hatte, wurde sie am Ende ihres Lebens im Himmel der dreiunddreißig Götter als Dienerin des Bodhisattva wiedergeboren.
Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jātaka (am Ende der Wahrheitsverkündigung aber gelangte jener unzufriedene Mönch zur Frucht der Bekehrung) mit folgenden Worten: „Damals war die Königstochter die Mutter Rāhulas [7], Sakka aber war ich.“
Ende der Erzählung von Udaya