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Die Grenzen vorantreiben
Verlangen und Vorstellungskraft auf dem buddhistischen Weg
von
Thanissaro Bhikkhu
Übersetzung ins Deutsche von: (Info)
Lothar Schenk
Alternative Übersetzung: noch keine vorhanden
Alternative Formate: [book icon] Ein Druckversion finden sie in dem Buch: Reinheit des Herzens.

Alle Erscheinungen, sagte der Buddha einmal, wurzeln im Begehren, im Verlangen. Alles, was wir denken, sagen oder tun — jedes Erlebnis — rührt vom Verlangen her. Selbst wir sind aus Verlangen entstanden. Aus Verlangen nach Dasein sind wir in dieses Leben wiedergeboren worden. Ob bewusst oder unbewusst, definiert unser vielfältiges Verlangen ständig neu, was wir zu sein vermeinen. Verlangen bestimmt, wie wir unseren Platz im Wirkungsgeflecht von Raum und Zeit einnehmen. Das Einzige, was nicht im Verlangen wurzelt, ist Nirvana, denn es ist das Ende aller Erscheinungen und liegt sogar jenseits dessen, was der Buddha mit dem Wort "Alles" bezeichnete. Aber der Weg, der uns zum Nirvana bringt, wurzelt im Verlangen — in tauglichem Verlangen. Der Weg zur Befreiung treibt die Grenzen tauglichen Verlangens immer weiter voran, um herauszufinden, wie weit diese gehen können.

Die Vorstellung eines tauglichen Verlangens mag sich seltsam anhören, aber ein mündiger Geist folgt intuitiv jenem Verlangen, das er als tauglich ansieht, und lässt jenes fallen, das ihm dies nicht zu sein scheint. Die Grundlage bildet bei jedem das Verlangen nach Glück. Jedes andere Verlangen stellt eine Strategie dar, um dieses Glück zu erlangen. Man möchte einen iPod, einen Sexualpartner oder ein Erlebnis inneren Friedens haben, weil man glaubt, dass einen das glücklich machen wird. Da es sich um eine Strategie handelt, folgt solch ein sekundäres Verlangen einem Muster. Es erwächst aus einem diffusen Gefühl des Mangels und der Beschränkung; es verwendet unser Beobachtungsvermögen, um die Ursache der Beschränkung zu identifizieren; und es nutzt unsere schöpferischen Vorstellungskräfte, um eine Lösung dafür zu ersinnen.

Aber trotz des gemeinsamen Musters ist nicht ein Verlangen wie das andere. Jedes beinhaltet eine andere Auffassung davon, was im Leben fehlt, und geht auch mit einer anderen Vorstellung davon einher, was die Lösung sein sollte. Das Verlangen nach einem belegten Brötchen rührt von der Wahrnehmung eines körperlichen Hungergefühls her und schlägt ein Roggenbrötchen mit Schweizer Käse als Lösung vor. Das Verlangen, einen Berg zu besteigen, stellt einen anderen Satz von Hungergefühlen in den Mittelpunkt — nach Leistungserfüllung, Begeisterungsseligkeit, Selbstmeisterung — und folgt einem anderen Leitbild von Zufriedenheit. Welches Verlangen auch vorliegen mag, wenn die Lösung tatsächlich zum Glücklichsein führt, dann handelt es sich um ein taugliches Verlangen. Im umgekehrten Fall ist es das nicht. Jedoch führt ein scheinbar taugliches Verlangen möglicherweise nur zu einem falschen, vorübergehenden Glücksgefühl, das den Aufwand, den es mit sich bringt, nicht wert ist. Also fängt Weisheit als Meta-Verlangen an: zu lernen, wie man taugliches und untaugliches Verlangen als das erkennt, was es jeweils tatsächlich ist.

Untaugliches Verlangen kann auf vielfältige Weise Leiden hervorrufen. Manchmal zielt es auf Unmögliches ab: nicht alt werden, nicht sterben. Manchmal dreht es sich um Möglichkeiten, die unlautere Mittel erfordern, um sie wahr zu machen, — so etwa, wenn man lügt und betrügt, um im Berufsleben weiterzukommen. Oder das Glücksgefühl, wenn man das Ziel erreicht hat, hält nicht an. Sogar der Gipfel des Mount Everest kann eine Enttäuschung sein. Aber selbst wenn er es nicht sein sollte, kann man nicht ewig da oben bleiben. Ist man wieder gegangen, bleiben einem nur Erinnerungen, die sich verändern und verblassen. Und wenn man etwas Gemeines oder Verletzendes getan hat, um dorthin zu kommen, dann kann die Erinnerung daran einem die Freude aus den Erinnerungen an den Gipfel vergällen.

Darüber hinaus ziehen unterschiedliche Verlangen oft in entgegengesetzte Richtungen. Das Verlangen nach Sex kann beispielsweise dem Verlangen nach Ruhe und Frieden im Weg stehen. Tatsächlich sind es die Widersprüche darin, worauf sich unser vielfältiges Verlangen jeweils richtet, die uns darauf aufmerksam werden lassen, wie schmerzlich Verlangen sein kann. Dieser Umstand hat auch dem einzelnen Verlangen beigebracht, wie es sich äußern muss, mit welchen Verlockungen, Argumenten oder Drohgebärden es agieren muss, um an die Macht zu kommen. Wenn es sich bei einem Verlangen um ein taugliches Verlangen handelt, dann heißt das noch lange nicht, dass es sein Anliegen besser vertreten kann als ein untaugliches Verlangen, denn diese können oft besonders kompromisslos, lautstark und einschmeichelnd daherkommen, um zu erreichen, was sie wollen. Das bedeutet, dass auch die Weisheit lernen muss, strategisch zu operieren und taugliches Verlangen zu stärken, damit es auch vor weniger tauglichem Verlangen Gehör findet. Auf diese Weise können unterschiedliche Verlangen dazu erzogen werden, gemeinsam auf größeres Glück hinzuarbeiten. Denn so funktioniert ein mündiger, gesunder Geist: er führt nicht so sehr einen Dialog zwischen Vernunft und Verlangen, sondern zwischen verantwortungsvollem Verlangen und unverantwortlichem Verlangen.

Aber selbst in einem mündigen Geist ergibt der Dialog oft Kompromisse, die nicht wirklich zum Herzen dringen: kurze Augenblicke sinnlicher Befriedigung, flüchtige Eindrücke spirituellen Friedens, nichts wirklich Zufriedenstellendes, nichts Ganzes. Manche verlieren die Geduld mit Kompromissen, verweigern gewissenhaftem Verlangen das Gehör und wenden sich Ansprüchen auf sofortige Wunscherfüllung zu — soviel Sex, Macht, Geld, wie sie nur zusammenraffen können. Aber wenn der Amoklauf der Wunscherfüllung sich schließlich gelegt hat, kann es mehr als ein Leben erfordern, um den Schaden wieder gutzumachen. Andere bemühen sich wiederum, so gut es geht mit den Kompromissen zwischen unterschiedlichem Verlangen zurechtzukommen, und versuchen, ein gewisses Maß an Frieden dadurch zu erlangen, dass sie nicht nach dem vermeintlich Unmöglichen greifen. Aber auch dieser Frieden beruht darauf, dass man vor der Wahrheit, die allem Verlangen zugrunde liegt, die Ohren verschließt: dass ein Leben endloser Begrenztheit nicht erträglich ist.

Beide Arten von Menschen gleichen sich darin, dass sie von der Annahme ausgehen, wahres, unbegrenztes Glück sei unerreichbar. Ihr Vorstellungsvermögen ist so verkrüppelt, dass sie sich nicht einmal ansatzweise vorstellen können, wie wahres, unbegrenztes Glück in diesem Leben aussehen würde.

Das Besondere am Buddha war, dass er seine Erwartungen niemals nach unten korrigierte. Er stellte sich ein über alles hinausgehendes Glücklichsein vor – so frei von jeglicher Beschränkung und jeglichem Mangel, dass es keine Notwendigkeit für irgendein weiteres Verlangen übrig ließ – und räumte dann seinem Verlangen nach diesem Glück als seinem höchsten Schatz die oberste Priorität ein. Indem er jedes andere Verlangen in ein Zwiegespräch damit brachte, erforschte er verschiedenartige Strategien, bis er eine fand, die es erlaubte, tatsächlich jenes unbegrenzte Ziel zu erreichen. Diese Strategie wurde zu seiner grundlegendsten Lehre: die vier edlen Wahrheiten.

Wenn wir uns die vier edlen Wahrheiten betrachten, ist den meisten von uns nicht klar, dass alle vier vom Verlangen handeln. Man lehrt uns, dass der Buddha dem Verlangen nur eine Rolle zugewiesen habe — als Ursache des Leidens. Weil er sagt, die Ursache des Leidens sei aufzugeben, hört es sich so an, als würde er dem Verlangen und seinen konstruktiven Begleitern – Kreativität, Vorstellungskraft und Hoffnung – jegliche positive Rolle absprechen. Diese Auffassung geht allerdings in zwei wesentlichen Punkten fehl.

Der erste Punkt ist, dass diese vier Wahrheiten die Grunddynamik des Verlangens nach dessen eigenen Regeln ansprechen: Wahrnehmung von Mangel und Beschränkung, Vorstellung einer Lösung, und Vorgehensstrategie zu deren Erreichen. Die erste Wahrheit belehrt uns über den grundlegenden Mangel, die grundlegende Beschränkung in unserem Leben – das Festhalten, welches Leiden ausmacht –, während die zweite Wahrheit auf die Arten von Verlangen hinweist, die zum Festhalten führen: Verlangen nach Sinnlichkeit, nach Werden und nach Vernichtung. Die dritte Wahrheit erweitert unser Vorstellungsvermögen dahingehend, dass es die Möglichkeit umfasst, dass sich das Festhalten vollkommen überwinden lässt. Die vierte Wahrheit, der Weg zum Ende des Leidens, zeigt, wie man strategisch vorgeht, um das Festhalten zu überwinden, indem man seine Ursache aufgibt.

Der zweite Punkt, der oft übersehen wird, ist der, dass die edlen Wahrheiten dem Verlangen zwei Rollen zuweisen, je nachdem, ob es tauglich ist oder nicht. Untaugliches Verlangen ist die Ursache von Leiden; taugliches Verlangen bildet einen Teil des Weges zu seinem Aufhören. Taugliches Verlangen entfernt untaugliches Verlangen, nicht indem es dieses unterdrückt, sondern indem es ein immer höheres Maß an Zufriedenheit und Wohlergehen schafft, so dass untauglichem Verlangen die Grundlage entzogen wird. Diese Vorgehensstrategie des tauglichen Verlangens offenbart sich im Wegfaktor der rechten Anstrengung:

Was ist rechte Anstrengung? Da ruft ein Mönch (womit hier jeder Meditierende gemeint ist) Verlangen hervor, strebt es an, erweckt Ausdauer, erhält seine Entschlossenheit aufrecht und führt sie aus, um noch nicht entstandene böse, untaugliche Gemütszustände nicht entstehen zu lassen... um bereits entstandene böse, untaugliche Gemütszustände aufzugeben ... um noch nicht entstandene taugliche Gemütszustände entstehen zu lassen ... um bereits entstandene taugliche Gemütszustände fortdauern, unverwirrt bestehen, anwachsen, sich voll entfalten, sich entwickeln und zur Reife kommen zu lassen. Das wird rechte Anstrengung genannt.

DN 22

Wie man dieser Darstellung entnehmen kann, sind Verlangen, Ausdauer und Entschlossenheit die ausschlaggebenden Elemente, um untaugliche Gemütszustände durch taugliche zu ersetzen. Verlangen gibt der rechten Anstrengung ihre ursprüngliche Antriebskraft und Zielrichtung, während Ausdauer sie mit Durchhaltevermögen versieht. Entschlossenheit ist der komplexeste der drei Faktoren. Das hier verwendete Pali-Wort, citta, bedeutet auch "Geist" oder "Herz", und in diesem Kontext bedeutet es, dass man mit ganzem Herzen bei der Sache ist: mit dem vollen Einfühlungs-, Denk-, Unterscheidungs- und Erfindungsvermögen, das einem zur Verfügung steht. Der Geist soll in dieser Angelegenheit nicht gespalten sein; alle seine Kräfte sollen harmonisch in eine Richtung wirken.

Diese drei Eigenschaften — Verlangen, Ausdauer und Entschlossenheit — liegen jedem Versuch zugrunde, eine erlernbare Fähigkeit zu meistern. Wenn man sich also daran begibt, den achtfachen Weg zu gehen, ist es von Nutzen, sich vor Augen zu führen, wie man diese Eigenschaften schon früher beim Erlernen von Fähigkeiten eingesetzt hat. Der Buddha weist auf diesen Umstand durch vielfältige Vergleiche von demjenigen, der den Weg geht, mit einem Handwerksmeister hin — Musiker, Schreiner, Chirurg, Akrobat, Koch. Wie bei jeder erlernbaren Fähigkeit geht auch die Entwicklung des achtfachen Weges in vielen Schritten vor sich, von denen jedoch vier besonders hervorstechen.

Der erste besteht darin, dass man seine Erfindungsgabe benutzt, um den Chor der inneren Stimmen abzuwehren, die einen davon abbringen wollen, sich überhaupt erst um die Fähigkeit zu tauglichem Verhalten zu bemühen. Diese Stimmen sind wie gewiefte Rechtsanwälte, die stark verwurzelte Interessen vertreten: all unsere vielfältigen untauglichen Verlangen, die sich bedroht sehen. Man muss bereit sein, schnell und geistesgegenwärtig auf ihre Argumente zu reagieren, denn sie können von allen Seiten kommen und sich ehrlich und weise gebärden, obwohl sie es nicht sind. Hier sind einige der Argumente, welche diese Stimmen möglicherweise vorbringen, zusammen mit einigen wirkungsvollen Antworten darauf:

Der Versuch, sein Verlangen auf diese Weise zu manipulieren, ist unnatürlich. Tatsächlich manipuliert ihr ja schon die ganze Zeit euer Verlangen, indem ihr einem Verlangen vor dem anderen den Vorzug gebt, also könnt ihr genau so gut lernen, wie man es auf taugliche Weise macht. Und da draußen gibt es ohnehin schon genug Leute, die nur zu gerne euer Verlangen für euch manipulieren — denkt an all die Werbeanzeigen, die um eure Aufmerksamkeit buhlen, — also ist es besser, das Manipulieren in vertrauenswürdigere Hände zu legen: eure eigenen.

Der Versuch, sein Verlangen zu ändern, stellt einen Angriff auf unser eigentliches Selbst dar. Dieses Argument zieht nur, wenn man seinem Selbstgefühl — das eigentlich nur eine Sammelkiste voll verschiedener Verlangen ist — größere Festigkeit beimisst als ihm tatsächlich zukommt. Ihr könnt dieses Argument umkehren, indem ihr zunächst bemerkt, dass euer "Selbst" ein sich ständig veränderndes Bündel von Strategien darstellt, um Glücklichsein zu erlangen, und euch dann klarmacht, dass ihr es genauso gut in eine Richtung lenken könnt, die mit größerer Wahrscheinlichkeit zu wahrem Glück führt.

Die gedankliche Einteilung in "taugliches" und "untaugliches" Verlangen ist dualistisch und wertend. Ihr wollt doch auch nicht, dass nicht-dualistische KFZ-Mechaniker euer Auto reparieren oder nicht-dualistische Chirurgen euer Gehirn operieren. Ihr wollt jemand, der zwischen dem, was tauglich ist, und dem, was es nicht ist, unterscheiden kann. Wenn euch wirklich etwas an eurem Glücklichsein liegt, dann verlangt ihr doch wohl dieselbe Art von Unterscheidungsvermögen bei der Person, die dafür die Verantwortung trägt: euch selbst.

Es ist zu zielorientiert. Akzeptiere die Dinge einfach so wie sie in der Gegenwart sind. Jedes Verlangen lässt euch wissen, dass die Dinge in der Gegenwart begrenzt und mangelhaft sind. Entweder man akzeptiert das Verlangen, oder man akzeptiert den Mangel. Beides gleichzeitig zu akzeptieren würde keinem der beiden eine reale Existenz zuerkennen. Der Versuch, friedvoll in der Spannung zwischen beiden zu verharren — auf einem "Weg ohne Begierde", um beides loszuwerden — ist das, was der Buddha als begrenzten Gleichmut bezeichnete, und was ein Meister der thailändischen Waldtradition den Gleichmut einer Kuh nannte.

Es ist ohnehin aussichtslos, solch einer göttlichen und geheimnisvollen Macht widerstehen zu wollen. Als unwiderstehlich und geheimnisvoll erscheint uns das Verlangen nur, weil wir unseren eigenen Geist nicht kennen. Und wo wären wir heute, hätten wir immer alles, was wir nicht verstehen, einfach als "göttliche" oder "kosmische" Kräfte bezeichnet?

Sich mit dem vielfältigen untauglichen Verlangen auseinanderzusetzen ist zu mühsam. Überlegt doch, was die Alternative ist: ein endloses Hin- und Herwandern von einem Satz von Beschränkungen zum nächsten, immer auf der Suche nach Glück, um doch immer wieder feststellen zu müssen, dass es einem entgleitet, sich momentan wieder und wieder nach einem bestimmten Verlangen richtend, um sich im nächsten Augenblick schon einem anderen Verlangen zuzuwenden. Die rechte Anstrengung gibt einem wenigstens einen festen Standpunkt. Sie fügt dem chaotischen Durcheinander nicht ein noch anspruchsvolleres Verlangen hinzu, sondern bietet eine Möglichkeit, das Durcheinander in Ordnung zu bringen. Und der Weg des Buddha hält die Hoffnung auf ein unbegrenztes Glücklichsein offen, dem während des Voranschreitens auf dem Weg immer feiner und zuverlässiger werdende Stufen des Glücklichseins vorausgehen. Kurz: die Alternative, die er anbietet, ist tatsächlich die erfreulichere und auch mit weniger Mühe verbunden.

Habt ihr diese Stimmen erst zur Ruhe gebracht, besteht der nächste Schritt darin, dass ihr die Verantwortung für eure Handlungen und deren Folgen übernehmt. Das erfordert, dass ihr bereit seid, aus euren Fehlern zu lernen. Vor einigen Jahren machte ein Soziologe eine Studie über Studenten, die einen neurochirurgischen Kurs belegt hatten, um herauszufinden, welche Faktoren diejenigen, die den Kurs erfolgreich absolvierten, von denen unterschieden, die scheiterten. Am Ende stellte er fest, dass zwei Fragen in seinem Fragebogen auf den entscheidenden Unterschied hinwiesen. Diese Fragen an die Studenten lauteten: "Machen Sie manchmal Fehler? Wenn ja, was ist der schlimmste Fehler, den Sie je gemacht haben?" Diejenigen, die scheiterten, antworteten unweigerlich, dass sie selten Fehler machten, oder aber sie schoben ihre Fehler auf Umstände, die außerhalb ihres Einflussbereichs lagen. Die Studenten, die den Kurs erfolgreich abschlossen, gaben nicht nur häufige Fehler zu, sondern erklärten von sich aus auch genau, was sie tun würden, um diese Fehler in Zukunft nicht zu wiederholen.

Der Buddha ermutigte in seiner ersten Unterweisung für seinen Sohn Rahula zu derselben mündigen Haltung. Er sagte Rahula, er solle vor dem Handeln sein Augenmerk auf seine Absichten richten, und, sowohl während er sie ausführte als auch nachdem er sie ausgeführt hatte, auf die Folgen seiner Handlungen. Sollte Rahula sehen, dass seine Absichten zu Schaden für ihn selbst oder Andere führen würden, dann solle er nicht nach ihnen handeln. Sollte er sehen, dass seine Gedanken, Worte oder Taten tatsächlich Schaden hervorriefen, dann solle er damit aufhören und den Entschluss fassen, sie nicht zu wiederholen, ohne dabei jedoch in Gewissensbisse zu verfallen. Sollte er andererseits keine schädlichen Folgen aus seinen Handlungen erwachsen sehen, dann solle er sich über seinen Fortschritt auf dem Weg freuen und diese Freude dazu verwenden, um seine weitere Übungspraxis zu nähren.

Obwohl der Buddha diese Unterweisung an ein siebenjähriges Kind richtete, gilt das von ihr gezeichnete Muster für jede Stufe der Übungspraxis. Der ganze Weg zum Erwachen besteht darin, stets bei dem Verlangen zu bleiben, immer das Tauglichste, das Geschickteste zu tun; indem sich eure Auffassung von "tauglich" verfeinert, kommt es entsprechend zur Weiterentwicklung. Wenn ihr aufgrund eines untauglichen Verlangens handelt, dann übernehmt die Verantwortung für die Folgen und verwendet sie, um das betreffende Verlangen wissen zu lassen, wo es in die Irre gegangen ist. Obwohl manches Verlangen bemerkenswert stur sein kann, haben sie alle ein gemeinsames Ziel — Glücklichsein — und das kann als gemeinsame Grundlage für einen effektiven Dialog dienen: wenn ein Verlangen nicht wirklich zum Glücklichsein führt, dann widerspricht es damit seinem Daseinszweck.

Die beste Art, dieser Argumentation Gewicht zu verleihen, besteht darin, immer wieder den Faden vom einzelnen Verlangen zu den daraus entstehenden Handlungen zu verfolgen, und dann von diesen Handlungen zu deren Folgen. Wenn das Verlangen auf ein Glück gerichtet war, das für Andere Leiden hervorrief, dann achtet darauf, wie deren entsprechendes Verlangen nach Glück sie dazu führt, das von euch gesuchte Glück zu untergraben. Wenn das Verlangen auf ein Glück gerichtet war, das auf Dingen aufbaut, die altern, krank werden, sterben oder verloren gehen können, dann achtet darauf, wie dieser Umstand die Voraussetzung dafür schafft, dass ihr zu Fall kommt. Dann macht euch klar, dass das Ungemach, das daraus erwächst, dass man aufgrund solchen Verlangens handelt, allgemeingültig ist. Es ist nicht nur bei euch so. Jedermann, der aufgrund dieses Verlangens gehandelt hat, jetzt handelt oder handeln wird, hat in der Vergangenheit gelitten, leidet eben jetzt und wird in Zukunft leiden. Es führt kein Weg daran vorbei.

Solche Überlegungen helfen, die Neigung zu der Frage "Warum ich?" abzuschwächen, welche das Leiden verschlimmert und dazu führt, dass man um so heftiger an dem es verursachenden Verlangen festhält. Sie helfen auch, zwei wichtige Geisteshaltungen zu entwickeln, die taugliches Verlangen stärker werden lassen: ein Gefühl der Betroffenheit (samvega) über die Universalität des Leidens, und eine Haltung ständiger Wachsamkeit (appamada) um zu verhindern, dass man von dieser bestimmten Art des Verlangens noch einmal hinters Licht geführt wird.

Doch das vielfältige untaugliche Verlangen weicht tatsächlich erst dann zurück, wenn man zeigen kann, dass anderes, weniger problematisches Verlangen wirklich ein größeres Glücklichsein hervorbringen kann. Genau deswegen betont der Buddha, wie wichtig es ist, den Lohn, den ein tugendhaftes, großzügiges Leben mit sich bringt, schätzen zu lernen: die Freude, das Glück anderer zu fördern, und das Würde und festen Halt gebende Gefühl des eigenen Wertes, das entsteht, wenn man das zwar Schwierigere, aber Richtige tut. Aus diesem Grund stellt sein Weg auch freudvolle, erfrischende Zustände innerer Sammlung in den Mittelpunkt. Indem ihr euch diese Erfrischung in eurer eigenen Medtation erschließt, erhaltet ihr einen unmittelbaren, ins Mark gehenden Beweis dafür, dass der Buddha kein Miesmacher war. Das von ihm empfohlene Verlangen bringt tatsächlich ein Glücklichsein hervor, das einem die Stärke verleihen kann, weiterhin den Weg des Tauglichen zu wählen.

Das ist der nächste Schritt: geduldig und beharrlich bei dem Verlangen zu bleiben, in jeder Lage das Taugliche zu tun. Das ist nicht allein Sache der schieren Willenskraft. Wie jeder gute Sporttrainer einem sagen wird, sind viele Übungsstunden nicht unbedingt eine Garantie für den Erfolg. Man muss Ausdauer mit Zielstrebigkeit kombinieren: Einfühlungs-, Unterscheidungs-, Erfindungsvermögen. Haltet eure Augen dafür offen, wie ihr etwas noch effektiver machen könnt. Versucht, in dem, was ihr tut, Muster zu erkennen. Und bringt gleichzeitig etwas Spielerisches und Abwechslung in eure Übungspraxis ein, damit die Plateaus nicht langweilig werden und die Rückschläge euch nicht entmutigen.

Der Buddha weist in seinen Meditationsanweisungen auf ähnliche Punkte hin. Habt ihr einen Sammlungszustand gemeistert, sollt ihr untersuchen, wo er noch Elemente von unbehaglicher Anspannung enthält. Dann schaut nach, welchem Muster diese Anspannung folgt: was tut ihr, das sie verursacht? Findet Möglichkeiten, den Geist zu erfreuen, wenn er einen Tiefpunkt hat, ihn von seinen Beschränkungen zu befreien, ihn zu festigen, wenn er unruhig wird. Indem ihr so lernt, mit den Herausforderungen der Meditation fertig zu werden, werdet ihr auch mit schwer erkennbaren Mustern von Ursache und Wirkung im Geist vertraut.

Hat man dann diese Muster gemeistert, besteht der vierte Schritt darin, ihre Grenzen voranzutreiben. Wiederum ist das nicht einfach eine Angelegenheit vermehrter Anstrengung. Es ist mehr ein Wiederentfachen eurer Vorstellungskraft, um die unerwarteten Schleichwege von Ursache und Wirkung zu erforschen. Ein berühmter Cellist sagte einmal, am meisten Spaß habe er bei einem Konzert gehabt, bei dem eine Saite an seinem Cello riss und er sich entschloss, das Stück, das er spielte, mit den restlichen Saiten zu Ende zu spielen, indem er seinen Fingersatz auf der Stelle anpasste. Die offensichtlichsten Saiten bei der Meditation sind die Techniken, mit denen man Ruhe und Einsicht wachsen lässt, aber noch interessanter sind die Annahmen, die der Suche nach geschicktem, tauglichem Handeln zugrunde liegen: über Mangel, Strategie, Zwiesprache, euer Selbstgefühl. Könnt ihr lernen, ohne sie auszukommen? In eurer Meditation werdet ihr an einen Punkt gelangen, wo die einzige Möglichkeit zu noch größerem Glücklichsein darin besteht, diese Annahmen zu hinterfragen. Und das führt zu einigen faszinierenden Paradoxen: Wenn Verlangen aus einem Gefühl des Mangels oder der Begrenztheit erwächst, was geschieht mit dem Verlangen, wenn es ein Glücklichsein hervorbringt, das überhaupt keinen Mangel, überhaupt keine Begrenztheit mehr kennt? Wie ist es, kein Verlangen mehr zu benötigen? Was geschieht dann mit eurem inneren Zwiegespräch, eurem Selbstgefühl? Und wenn Verlangen bestimmt, wie ihr euren Platz in Raum und Zeit einnehmt, was geschieht mit Raum und Zeit, wenn kein Verlangen mehr da ist?

Der Buddha ermutigte zu solchen Erkundungen, indem er die erwachte Person als so undefiniert und schrankenlos beschrieb, dass sie im gegenwärtigen Leben nicht zu lokalisieren sei oder nach diesem Leben als existent, nichtexistent, keines davon oder beides beschrieben werden könne. Das mag sich wie ein abstraktes und unerreichbares Ziel anhören, aber der Buddha demonstrierte dessen menschliches Gesicht am Beispiel seiner eigenen Person. Nachdem er die Grenzen von Ursache und Wirkung hinter sich gelassen hatte, war er immer noch in der Lage, bewundernswert in diesem Leben innerhalb dieser Grenzen zu funktionieren, wobei er selbst unter den schwierigsten Umständen glücklich blieb und voller Mitgefühl Menschen jeglicher Art unterwies. Und es gibt sein Zeugnis, dass nicht nur Mönche und Nonnen, sondern auch Laienanhänger — sogar Kinder — ihr taugliches Verlangen soweit entwickelt hatten, dass sie ebenfalls den Geschmack des Erwachens gekostet hatten.

Also stellt euch das vor. Und hört auf jedes Verlangen, das euch in diese Richtung führen möchte, denn das ist euer Weg zu wahrem Glücklichsein.