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Denke wie ein Dieb
(alte ATI-Ausgabe)
von
Thanissaro Bhikkhu
Übersetzung ins Deutsche von: (Info)
jb für ZzE
Alternative Übersetzung: noch keine vorhanden
Alternative Version: Neuausgabe 2018

Im Theravada ist das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler wie das eines Handwerksmeisters zu seinem Lehrling. Das Dhamma ist wie eine Fertigkeit, so wie Zimmern, Bogenschießen oder Kochen. Die Aufgabe des Lehrers ist, diese Fertigkeit nicht nur mit Worten und Beispielen weiter zu geben, auch benötigt der Schüler erzeugte Situationen um den Einfallsreichtum und die Kraft aus Beobachtung zu steigern und um geschickt zu werden. Die Aufgabe des Schülers liegt darin, einen vertrauenswürdigen Meister – jemanden, dessen Fähigkeiten gefestigt sind und dessen Intention vertraut werden kann – zu wählen und so wachsam wie möglich zu sein. Letztlich gibt es keinen Weg ein handfertiger Geselle zu werden, indem man passiv den Meister beobachtet oder lediglich seinen Anweisungen folgt. Du kannst der Verantwortung für deine eigenen Taten nicht entsagen. Du solltest beidem, deinen Handlungen und deren Resultaten zur selben Zeit, indem du Einfallsreichtum und Einsicht zum Korrigieren von Fehlern verwendest und um Hindernisse, die aufkommen, zu überstehen, Aufmerksamkeit schenken. Das erfordert die Kombination von Respekt zu deinem Lehrer gemeinsam mit dem Respekt gegenüber dem Prinzip von Ursache und Wirkung, wie sie durch deine Gedanken, Sprache und Handlungen aufkommen und erscheinen.

Kurz vor meiner Ordination sagte mein Lehrer, Ajahn Fuang Jotiko, zu mir: „Wenn du lernen willst, mußt du wie ein Dieb denken und herausfinden, wie du dein Wissen erstiehlst.” Und bald lernte ich, was er meinte. Während meiner ersten Jahre zusammen mit ihm hatte er niemanden, der sich um seine Bedürfnisse, wie seine Hütte zu reinigen, Wasser für sein Bad zu kochen und nach ihm zu sehen, wenn er krank war usw., annahm. Doch trotzdem ich ein Ausländer war, ärmlich in der thailändischen Sprache und wahrscheinlich der pöbelhafteste Barbare, den er je gesehen hatte, übernahm ich bald die Rolle als sein Diener. Anstelle von Erklärungen, wo Dinge platziert werden sollten oder wann diverse Aufgaben zu erledigen seien, überließ er es mir, dies selbst herauszufinden. Wenn ich durchblickte, würde er nichts sagten. Wenn ich es nicht tat, würde er mir meinen Fehler aufzeigen, aber dennoch nicht vollständig erklären, was falsch war. Ich musste selbst beobachten: Wo platziert er Dinge, wenn er seine Hütte in Ordnung brachte? Und ich musste dies aus dem Augenwinkel tun, denn wenn ich ihm zu deutlich zugesehen hätte, hätte er mich verjagt. Wie er auch sagte: „Wenn ich alles erklären muß, gewöhnst du dich daran, Dinge auf einem Tablett serviert zu bekommen. Und was willst du dann tun, wenn Probleme während deiner Meditation auftauchen und du keine Erfahrung hast, Dinge herauszufinden und selbst zu experimentieren?“

Ich schluckte meinen Stolz und lernte, meine Fehler als meine Lehrer zu nehmen. Zuvor konnte ich es nie tolerieren, im Unrecht zu sein. Doch als ich letztlich akzeptieren konnte, unrecht zu haben, begann ich die innere Quelle zu finden, um Dinge richtig einzupassen.

Noch immer war das Thema, den Respekt auszubalancieren, ein Problem. Ajahn Fuang war erstaunlich charakterfest, weise und mitfühlend und ich konnte seiner Intention mir gegenüber immer vertrauen. Als Ergebnis daraus fühlte ich enormen Respekt vor ihm. Nichtsdestotrotz war er ein menschliches Wesen mit menschlichen Schwächen. Aufgrund dessen, daß meine christliche Erziehung mir gelehrt hatte, lediglich vermeintlich unfehlbaren Wesen ultimativen Respekt zu erweisen, stellte ich mich bei Gelegenheiten, bei denen Ajahn Fuang etwas weniger perfekt war, oft ungeschickt an. Zugleich wusste ich nicht annähernd, was ich mit meinem tiefsitzenden Charakterzug von Unabhängigkeit tun sollte. Als mir dann eines Tages, aus dem blauen Himmel heraus, Ajahn Fuang eine Geschichte über die Zeit, als er eine Meinungsverschiedenheit mit seinem eigenen Lehrer Ajahn Lee Dhammadharo hatte, erzählte.

Dem Ende seines Lebens näher kommend, hatte Ajahn Lee ein Kloster in einem Mangrovensumpf am Stadtrand von Bangkok zu errichten. Die unterstützenden Laien wollten eine Ordinationshalle, welche das erste permanente Bauwerk dieses Klosters sein sollte. Als die Fundamente gerichtet wurden, platzierten sie eine Betonkammer unter dem Platz, an dem die Buddhastatue situiert werden sollte und füllten sie mit heiligen Objekten: Buddharelikten, Buddhastatuen, Amuletten, Stücken von Schriften und weiterem. Traditionell blickt in Thailand die Buddhastatue nach Osten - die Richtung in der Buddha zum Zeitpunkt seines Erwachens blickte – sodaß die Kammer unter der westlichen Hälfte, dort wo die Hauptbuddhastatue versetzt werden sollte, errichtet wurde. Doch auf halben Weg der Bauarbeiten änderte Ajahn Lee seine Meinung und entschied die Buddhastatue an der Ostseite des Bauwerkes, nach Westen blickend, aufzustellen. Auch wenn er niemals eine Erklärung für seinen unüblichen Zug gab, waren sich seine Schüler in der Interpretation, was er damit zeigen möchte, einig: Das Dhamma ging in den Westen.

Noch bevor das Bauwerk fertig war, bemerkte jeder, daß die Kammer nicht länger mit der Vorgabe der Statue zusammen paßte. Das bedeutete, dass die Leute, die das Gebäude durch das Westtor betreten, über die heiligen Objekte in der Kammer steigen würden, welches ein strenges thailändisches Tabu überschreiten würde. So sagte Ajahn Lee eines Tages zu Ajahn Fuang: „Hol die Mönche zusammen und bewegt die Kammer auf die andere Seite des Bauwerkes.“ Ajahn Fuang dachte für sich: „Die Kammer ist auf gutem Untergrund errichtet und der Bereich um die Ordinierungshalle dagegen nichts als Schlamm.“ Dennoch wußte er, daß, wenn er sagen würde, daß sie nicht versetzt werden könne, Ajahn Lee antworten würde: „Wenn ihr nicht die Überzeugung habt, es zu tun, finde ich jemand anderen, der es tut.“ So brachte Ajahn Fuang am nächsten Morgen alle gut gebauten Mönche und Novizen im Kloster unter dem Bauwerk zusammen, um mit Seilen die Kammer auf die Ostseite hinüber zu ziehen. Sie arbeiteten den ganzen Tag und konnten sie dennoch keinen Zentimeter vom Fleck rühren.

Nun war die Zeit, eine Meinung auszudrücken und eine alternative Lösung für das Problem zu unterbreiten. Ajahn Fuang ging an diesem Abend zu Ajahn Lee und sagte: „Was ist, wenn wir eine neue Kammer unter der Buddhastatue errichten, die Originalkammer öffnen, die heiligen Objekte aus ihr heraus nehmen und diese in die neue Kammer schließen?“ Ajahn Lee gab ihm mit einem Nicken ein Zeichen und das Problem war gelöst.

„Und das,“ schloß Ajahn Fuang ab, „ist wie man Respekt gegenüber seinem Lehrer zeigt.“