Heutzutage müssen sich alle Hauptreligionen der Welt einer zweifachen Herausforderung stellen. Auf der einen Seite steht die Herausforderung der Säkularisierung, einer weltumspannenden Entwicklung, welche gegen die ältesten Festen des Geheiligten anstürmt und alles menschliche Streben auf das Jenseitige hin zu einer leeren Geste abstempelt, ergreifend zwar, aber ohne jeglichen Sinn. Auf der anderen Seite steht die Begegnung der großen Religionen untereinander. Durch das Verschmelzen der entlegensten Nationen und Kulturen zu einer einzigen globalen Gemeinschaft wurden die Repräsentanten des geistigen Suchens der Menschheit in einer Begegnung von bisher ungeahnter Intimität zusammengebracht, einer Begegnung von solcher Nähe, dass für ein Zurückweichen kein Raum bleibt. So kommt es, dass jede der Hauptreligionen zu ein und derselben Zeit sich im Amphitheater der Weltmeinung nicht nur allen übrigen Weltreligionen gegenübergestellt sieht, sondern genauso auch der gewaltigen Anzahl an Personen, die alle Behauptungen, die Große Antwort zu besitzen, mit einem skeptischen Stirnrunzeln quittieren oder einem gleichgültigen Gähnen abtun.
Unter diesen Umständen muss jede Religion, die mehr bleiben möchte als ein Überrest aus den Kindertagen der Menschheit, in der Lage sein, sich mit beiden Seiten dieser Herausforderung auf überzeugende und sinnvolle Weise auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite muss sie die anschwellende Flut der Säkularisierung eindämmen, indem sie das intuitive Wissen am Leben erhält, dass keine noch so umfassende technische Herrschaft über die uns umgebende Natur, kein noch so hoher Erfüllungsgrad bei der Befriedigung der weltlichen Bedürfnisse der Menschheit, der menschlichen Seele vollständige Ruhe schenken können, jenen Durst nach Wahrheit und Bedeutung zu stillen vermögen, der über die Grenzen der Sicherung des unmittelbaren Lebensbedarfs hinausreicht. Auf der anderen Seite muss jede Religion eine Möglichkeit finden, die miteinander in Konflikt stehenden Aussagen der verschiedenen Religionen über unseren Platz im Gesamtbild des Seins und über den Schlüssel zu unserer Rettung zu entwirren. Eine Religion muss gleichzeitig ihren grundlegenden Prinzipien treu bleiben und dennoch in der Lage sein, auf die frappierenden Unterschiede zwischen den eigenen Aussagen und denen anderer Glaubensrichtungen einzugehen, und zwar auf sowohl ehrliche als auch bescheidene, sowohl klarsichtige als auch unaufdringliche Weise.
In diesem kurzen Aufsatz möchte ich die Umrisse einer angemessenen buddhistischen Antwort auf die zweite Herausforderung skizzieren. Da der Buddhismus schon immer von sich behauptet hat, den "mittleren Weg" zur Lösung der intellektuellen und ethischen Widersprüche des Geisteslebens darzustellen, dürfen wir den Schlüssel zur gegenwärtigen Problematik darin sehen, dass es die Lösung zu finden gilt, die dem mittleren Weg am besten entspricht. Es wurde schon oft darauf hingewiesen, dass der mittlere Weg keinen Kompromiss zwischen den Extremen darstellt, sondern eine Möglichkeit ist, beide zu übersteigen und damit die Fallgruben zu vermeiden, in welche die Extreme jeweils führen. Wenn wir also nach dem richtigen buddhistischen Ansatz bei der Lösung des Problems unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse suchen, ist es daher wohl angebracht, zunächst die beiden Extreme aufzuzeigen, welche der mittlere Weg vermeiden muss.
Das erste Extrem wäre ein Rückzug in den Fundamentalismus, also die Aneignung einer aggressiven Behauptungsstrategie in Bezug auf den eigenen Glauben, verbunden mit einem missionarischen Eifer gegenüber denjenigen, die noch außerhalb des von einem selbst gewählten Kreises religiöser Mitstreiter stehen. Während diese Antwort auf die Herausforderung der Vielfalt in den Reihen der großen monotheistischen Religionen, Christentum und Islam, alarmierende Ausmaße angenommen hat, liegt es dem Buddhismus fern, in diese Richtung zu tendieren, weil die ethischen Grundzüge des Dhamma natürlicherweise eine Haltung wohlwollender Toleranz gegenüber anderen Religionen und deren Nachfolgern hervorbringen. Obwohl es keine Garantie dafür gibt, dass nicht auch aus den eigenen Reihen des Buddhismus ein militanter Fundamentalismus erwachsen könnte, bieten aber Buddhas Lehren für eine solche bösartige Entwicklung keinerlei rechtfertigende Grundlage, noch nicht einmal ansatzweise.
Für Buddhisten stellt eher das zweite Extrem eine verführerische Alternative dar. Dieses Extrem, welches Toleranz mit der Preisgabe der eigenen Integrität erkauft, könnte man die These des spirituellen Universalismus nennen: die Ansicht, dass alle großen Religionen in ihrem Kern im wesentlichen dieselbe Wahrheit bergen, lediglich in ein unterschiedliches Gewand gekleidet. Eine solche These ließe sich selbstverständlich in Bezug auf die formalen Glaubensinhalte der Hauptreligionen nicht aufrecht erhalten, die sich ja so stark unterscheiden, dass es der äußersten Kunst des Wörterverbiegens bedürfte, um sie miteinander in Einklang zu bringen. Die universalistische Position wird stattdessen auf einem Umweg erreicht. Ihre Verfechter argumentieren, dass man unterscheiden müsse zwischen dem äußeren Erscheinungsbild einer Religion -- ihren expliziten Glaubenssätzen und exoterischen Bräuchen -- und ihrem inneren Kern erfahrungsmäßiger Verwirklichung. Auf der Grundlage dieser Unterscheidung, so beharren sie, werde man entdecken, dass hinter den deutlich unterschiedlichen Erscheinungsbildern der großen Religionen diese aber in ihrem Herzen -- in Bezug auf die spirituellen Erfahrungen, aus denen sie erwachsen, und das letztendliche Ziel, zu dem sie hinführen -- im Grunde genommen identisch seien. Solchermaßen würden sich die Hauptreligionen einfach nur insofern unterscheiden, als sie unterschiedliche Möglichkeiten, unterschiedliche Mittel darstellten, um zur selben befreienden Erfahrung zu gelangen, die man unterschiedslos mit "Erleuchtung", "Erlösung" oder "Einssein mit Gott" bezeichnen könne, da in diesen Ausdrücken lediglich unterschiedliche Aspekte des gleichen Ziels hervorgehoben würden. Gemäß eines berühmten Spruchs hieße das: den Berg hinauf führen viele Straßen, aber das Mondlicht am Gipfel ist immer dasselbe. Aus dieser Sichtweise wäre die Buddhalehre nur eine weitere Variante jener "Philosophia Perennis", welche jeder ausgereiften Antwort auf das spirituelle Streben zugrunde liege. Wohl möge sie sich durch ihre elegante Einfachheit, Klarheit und Direktheit auszeichnen; aber eine einzigartige und nirgends sonst zu findende Wahrheit beherberge sie nicht.
Auf den ersten Blick könnte es einem so erscheinen, als wäre die Aneignung einer solchen Sichtweise ein unverzichtbarer Schritt in Richtung auf religiöse Toleranz, und das Beharren darauf, dass die Unterschiede bei den gelehrten Glaubensinhalten nicht nur rein verbaler Natur, sondern echt und wesentlich seien, mag einem geradezu erscheinen, als grenze es an Bigotterie. So mag es vorkommen, dass Leute, deren Hinwendung zum Buddhismus als Reaktion auf die doktrinäre Engstirnigkeit monotheistischer Religionen entstanden ist, in einer solchen — so sanften und gefälligen — Sichtweise eine willkommene Gegenposition gegenüber dem für solche Religionen typischen Anspruch auf privilegierten Zugang zur Wahrheit entdecken. Jedoch würde es sich bei unvoreingenommenem Studium der Lehrreden des Buddha ganz eindeutig erweisen, dass die universalistische These nicht die Billigung des Erwachten selbst hat. Im Gegenteil verkündet der Buddha wiederholt, dass der Weg zum höchsten Ziel des heiligen Lebens nur in seiner eigenen Lehre gewiesen werde, und folglich, dass das Erreichen dieses Ziels — die endgültige Befreiung vom Leiden — nur aus seiner eigenen Lehrgemeinschaft heraus erlangt werden könne. Das am besten bekannte Beispiel für diese Behauptung ist die Aussage, die der Buddha am Vorabend seines Eingehens ins Parinibbana machte, dass es nur in seiner eigenen Lehrgemeinschaft die vier Grade erleuchteter Nachfolger gäbe, und dass es in anderen Sekten keine wahren Asketen gäbe, welche die Ebenen der Befreiung erreicht hätten.
Des Buddhas Beschränkung der endgültigen Befreiung auf seine eigene Lehrgemeinschaft entspringt nicht aus engstirnigem Dogmatismus oder aus mangelndem gutem Willen, sondern gründet sich auf einer absolut präzisen Feststellung dessen, was das letztendliche Ziel ist, und der Mittel, deren Anwendung es bedarf, um es zu erreichen. Dieses Ziel ist weder ein ewiges Weiterleben nach dem Tode in irgendeinem Himmel oder in einem nebulös konzipierten Zustand spiritueller Erleuchtung, sondern das Nibbana-Element ohne verbleibenden Überrest, die Befreiung vom ständig wiederholten Kreislauf von Geburt und Tod. Dieses Ziel wird bewirkt durch die völlige Zerstörung der Geistesbefleckungen — Gier, Hass und Verblendung — bis ganz hinab zu den allerfeinsten Winkeln, an denen sie sich verbergen. Das Auslöschen der Befleckungen kann nur durch Einsicht in das wahre Wesen der Erscheinungen erreicht werden, das heißt, dass das Erreichen des Nibbana von der aus unmittelbarer Erfahrung stammenden Einsicht abhängt, dass alle bedingten Erscheinungen, innere wie äußere, von den "drei Daseinsmerkmalen" geprägt sind: Unbeständigkeit, Leidhaftigkeit und Nicht-Ich-heit. Als Basis für seine Behauptung, dass seine Lehre das einzige Mittel zur endgültigen Befreiung vom Leiden bietet, betont der Buddha, dass das Wissen um die wahre Natur der Erscheinungen nur durch seine Lehre in voller Genauigkeit und Vollständigkeit vermittelt wird. Das kommt, theoretisch, daher, dass sich die Prinzipien, welche dieses Wissen definieren, nur in seiner Lehre finden, weil sie in entscheidendem Gegensatz zu den Grundannahmen anderer Glaubensbekenntnisse stehen, und praktisch bedeutet es, dass nur diese Lehre in voller Reinheit und Vollendung die Mittel enthüllt, mittels deren dieses befreiende Wissen in unmittelbarer persönlicher Erfahrung entwickelt werden kann. Bei diesen Mitteln handelt es sich um den Edlen Achtfachen Weg, ein umfassendes ganzheitliches Schulungssystem für den Geist, das außerhalb der Lehrgemeinschaft eines Vollkommen Erwachten nicht zu finden ist.
Erstaunlicherweise hat diese Ausschließlichkeitshaltung des Buddhismus in Bezug auf die Aussichten, die endgültige Befreiung zu erreichen, niemals eine Politik der Intoleranz auf Seiten von Buddhisten gegenüber den Anhängern anderer Religionen hervorgebracht. Im Gegenteil hat der Buddhismus in seiner langen Geschichte stets tiefgehende Toleranz und herzliches Wohlwollen für die vielen Religionen gezeigt, mit denen er in Berührung gekommen ist. Diese Toleranz hat er zusammen mit der tiefen Überzeugung aufrecht erhalten, dass die Lehre des Buddha den einzigen und unübertrefflichen Weg zur Befreiung von den Übeln, die dem bedingten Dasein innewohnen, bietet. Was den Buddhismus betrifft, wird religiöse Toleranz nicht dadurch erzielt, dass man alle Religionen auf einen gemeinsamen Nenner reduziert, und auch nicht dadurch, dass man substantielle Unterschiede im Denken und Tun als Zufälligkeiten der historischen Entwicklung wegerklärt. Aus buddhistischer Sicht wäre es überhaupt kein Ausdruck echter Toleranz, würde man Toleranz vom Übertünchen unterschiedlicher Auffassungen abhängig machen; denn eine solche Herangehensweise kann Unterschiede nur "tolerieren", indem sie diese soweit verwässert, dass sie keinen Unterschied mehr ausmachen. Wahre Toleranz im Religionsleben bedeutet die Fähigkeit, Unterschiede als echt und grundsätzlich, ja sogar tiefgreifend und unüberbrückbar, anzuerkennen und dennoch gleichzeitig das Recht derjenigen, die einer anderen Religion als der eigenen (oder überhaupt keiner Religion) folgen, zu respektieren, dieses auch weiterhin ohne Anfeindung, Benachteiligung oder Behinderung tun zu können.
Buddhistische Toleranz entspringt der Anerkenntnis, dass das Naturell und die spirituellen Bedürfnisse menschlicher Wesen bei weitem zu verschieden sind, um durch eine einzige Lehre vollständig abgedeckt werden zu können, so dass diese unterschiedlichen Bedürfnisse natürlicherweise ihren Ausdruck in einer breiten Palette an religiösen Gestaltungsformen finden. Die nicht-buddhistischen Systeme werden ihre Anhänger nicht zum letztendlichen Ziel der Buddhalehre führen können, aber das haben sie ja auch von Anfang an nie behauptet. Was den Buddhismus betrifft, folgt aus der Akzeptanz der Vorstellung des anfanglosen Kreislaufs der Wiedergeburten, dass es völlig unrealistisch wäre zu erwarten, dass sich mehr als nur eine geringe Anzahl von Leuten zu einem spirituellen Weg, der auf die völlige Befreiung hinzielt, hingezogen fühlen werden. Die überwältigende Mehrheit, darunter selbst jene, die Erlösung aus der irdischen Not suchen, wird das Ziel verfolgen, sich innerhalb des Kreislaufs eine günstige Daseinsform zu verschaffen, und mag sich dabei sogar fälschlicherweise vorstellen, dass dies das letztendliche Ziel der religiösen Suche sei.
Soweit eine Religion einwandfreie ethische Prinzipien vertritt und bis zu einem gewissen Grad die Entwicklung heilsamer Eigenschaften wie Liebe, Großzügigkeit, Entsagung und Mitgefühl fördern kann, verdient sie in diesem Punkt die Billigung von Buddhisten. Die Befürwortung solcher Prinzipien durch Religionen außerhalb des Buddhismus wird ebenfalls für eine Wiedergeburt in den glücklichen Daseinsbereichen — den Reichen himmlischer und göttlicher Wesen — förderlich sein. Der Buddhismus behauptet keineswegs, den alleinigen Zugang zu diesen Reichen zu haben, sondern vertritt die Ansicht, dass die Wege dorthin in vielen der großen spirituellen Traditionen der Menschheit mit unterschiedlicher Klarheit gewiesen worden sind. Während ein Buddhist den Glaubensstrukturen anderer Religionen insoweit widersprechen wird, als sie von der Lehre des Buddha abweichen, wird er sie insoweit anerkennen, als sie Tugenden und Verhaltensmaßstäbe aufstellen, welche die spirituelle Entwicklung und das harmonische Zusammenleben menschlicher Wesen untereinander und im Einklang mit der Welt fördern.