Im ländlichen Indien, so sagte man mir, gibt es Leute, die sich ein paar zusätzliche Rupien damit verdienen, dass sie Affen fangen und zähmen, um sie als Haustiere zu verkaufen. Mittels Versuch und Irrtum wurden im Laufe der Jahre verschiedene Möglichkeiten ersonnen, um diese Primaten einzufangen, aber als einfachste Methode gilt wohl der Affentopf. Der Fallensteller befestigt auf einer Lichtung ein kurzes Stück Seil oder eine dünne Kette an einem Pflock oder einem Baumstumpf. Am anderen Ende bringt er einen kleinen Topf an, und zwar einen mit einem recht engen Hals. In den Topf wirft er ein paar Nüsse und verstreut noch einige in der Nachbarschaft auf dem Boden. Dann versteckt er sich in der Nähe und legt sich auf die Lauer.
Bald taucht ein Rudel Affen auf und kommt zum Schmaus herab. Es dauert nicht lange, bis einer von ihnen den Inhalt des Topfes entdeckt. Die Hand hineinzustecken gelingt ihm ganz leicht, aber hat er erst einmal den verlockenden Bissen gepackt, bekommt er trotz äußerster Anstrengungen die geballte Faust nicht mehr durch die enge Öffnung heraus. Vor lauter Angst und Panik veranstaltet der gefangene Affe einen Höllenlärm, was den Jäger mitsamt Netz und Käfig auf den Plan ruft. Und trotz der bekannten Affenschläue ist damit sein Schicksal besiegelt.
Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als sei der Dorfbewohner der Fallensteller, der Topf mit dem Köder seine Falle, und der arme Affe sein Opfer. Sicher dürfte der Dorfbewohner das genauso sehen, und der unglückliche Affe, könnte er sprechen, würde vermutlich zustimmen. Bei genauerem Hinsehen enthüllt sich einem allerdings noch eine andere Sichtweise. Der Dorfbewohner ist kein Fallensteller und der Topf ist auch keine Falle, denn es gibt ja garnichts, was den Affen festhält. Er könnte ganz leicht seine Hand aus dem Topf ziehen und zu seinen Artgenossen in die Freiheit der Baumwipfel zurückkehren, wenn er einfach die Nüsse loslassen würde. Wenn er nur loslassen würde!
Der Affe in unserer Geschichte ahnt nicht, dass er ganz allein von seinem Geist festgehalten wird. Er hat ein paar Nüsse gefunden. Gier — unvernünftiges, gedankenloses Begehren — ist in ihm aufgestiegen. Obwohl der Dschungel von Früchten, Nüssen und sonstiger Nahrung nur so strotzt, erzwingt ein konditioniertes Verhaltensmuster von ihm, dass er die hier auch noch haben muss. Das einzige, was ihn festhält, was ihn am Loslassen hindert und davon abhält, zu erkennen, wie lachhaft seine missliche Lage eigentlich ist, und wie leicht er sich aus ihr befreien könnte, ist seine verengte Geistesverfassung.
Bevor wir uns jetzt aber zu irgendwelchen hämischen Bemerkungen über den Affen und dessen Intelligenz, oder das offensichtliche Fehlen derselben, hinreißen lassen und uns zu unseren weitaus überlegenen Verstandeskräften beglückwünschen, betrachten wir uns lieber, wo wir selbst in dieser Sache stehen.
Diese Sache mit dem Loslassen ist nämlich für Affe und Mensch gleichermaßen ganz einfach und trotzdem ganz schwierig. Wir stecken beide in derselben Misere. Die Einzelheiten mögen unterschiedlich sein und von größerer Raffinesse oder höherer Komplexität geprägt sein, aber das Endergebnis ist das gleiche: Versklavung durch Konzepte und Konditionierung. Während den Affen seine Gier nach ein paar Nüssen zu Fall bringt, lassen wir Menschen uns durch unsere Gier nach Reichtum, Ruhm, Macht, Ansehen, Vergnügen, glitzernden Tand und glänzendes Spielzeug zu Grunde richten, von denen wir glauben, dass wir sie unbedingt haben müssen und dass wir nicht ohne sie auskommen können. Genau genommen sind es nicht einmal die materiellen Objekte selbst, die uns zu Sklaven machen, sondern unsere Einstellungen und Gefühle ihnen gegenüber.
Wir suchen ununterbrochen nach Befriedigung der Sinne: Angenehmes zum Anschauen, Anhören, Betasten, Schmecken, Riechen. Mehr noch: wir werden von Gedanken oder Vorstellungen angespornt, die unser ich-getriebener Geist hervorbringt. Diese letzteren sind meist am schwierigsten zu befriedigen, weil wir dann nicht einfach nur unsere Sinne zu erfreuen brauchen, um zufrieden sein zu können. Vielmehr streben wir danach, Fantasien zu verwirklichen, wie wir unsere Mitmenschen überflügeln werden, wie wir sie vor Neid erblassen lassen werden, weil wir das Größte, das Teuerste, das Neueste, das Glänzendste haben. Wir sind in einem ständigen Konkurrenzkampf gefangen, in einem Spiel, bei dem es um die Wurst geht.
Man kann noch nicht einmal sagen, wir seien materialistisch: wir wissen garnicht wie man das ist! Wir empfinden keine echte Freude und Wertschätzung für die materiellen Dinge, die wir haben, und noch weniger für das Leben selbst. Wir haben keine Ahnung, wie man sich entspannt zurücklehnt. Aggressives Konkurrenzdenken und Ansichreißen werden so besitzergreifend, so zwanghaft, so eingefleischt, dass alles, was wir tun, bis hinab zur einfachsten Freizeitbeschäftigung, sich in einen Wettkampf verwandelt, ein Wettrennen, ein Ringen, um andere, uns selbst, die Uhr, den Kalender zu übertreffen. Alles wird zu einem Wettbewerb um Geld, Trophäen, Prestige oder eine andere Form von Anerkennung.
Das Ironische daran ist, dass wir, während wir wie wild immer noch mehr Geld scheffeln, ein größeres Haus und noch einen kostspieligen Wagen anschaffen, noch mehr und bessere Spielzeuge anhäufen und versuchen, auf Teufel komm raus bei unseren Nachbarn Eindruck zu schinden, wir immer weniger und weniger Zeit haben, uns an genau den Dingen zu erfreuen, für die wir den Buckel krumm machen. Das Tragische daran ist, dass wir bei eben diesem fieberhaften Rennen um das Anhäufen materieller Dinge sehr oft unsere Familien, unsere Gesundheit, unsere Selbstachtung und unseren Seelenfrieden einbüßen. Schnell, schnell, schnell! Gereiztheit flammt auf, Magengeschwüre knurren, der Blutdruck steigt. Millionen von uns sterben an stressbedingten Krankheiten. Viele weitere Millionen versuchen, ihr Elend durch Alkohol und Drogen zu mildern. Am Ende ist alles, was wir dabei erreichen, dass wir uns im Eilschritt einem vorzeitigen Grab nähern. Obwohl wir so den "Lebensstandard" zu immer neuen Höhen treiben mögen, fällt gleichzeitig unsere Gesellschaft vor unser aller Augen auseinander. Unser Siegerpreis sieht nicht so aus, wie wir es erwartet haben, nicht wahr?
Und wofür das ganze Elend? $ERFOLG$? Sind wir wirklich so viel anders als jener arme Affe? Wir wissen auch nicht, wie und wann wir loslassen sollen. Oder was loszulassen wäre. Wer könnte wohl behaupten, dass es mit uns nicht noch schlechter bestellt ist als mit unserem kleinen pelzigen Freund?
Begehren ist ein normaler Grundbestandteil unseres bedingten Seins. Es gibt gewisse Dinge, die für unser körperliches Weiterleben und unser geistiges Wohlbefinden nötig sind, und andere, die schädlich sind. Der Geist eines jeden empfindungsfähigen Lebewesens unterscheidet diese Dinge, indem er sie unter bestimmten zweckdienlichen Kategorien einordnet und sie als "gut", "schlecht" oder "neutral" bezeichnet, je nachdem wie er sie wahrnimmt. Und natürlich gibt es innerhalb dieser Kategorien auch Abstufungen.
Je nach den Bedürfnissen des lebenden Organismus, selbst ein äußerst komplexer psycho-biologischer Prozess, verursacht ein komplizierter psycho-biologischer Unterprozess das Auftauchen eines Verlangens im Bewusstsein und macht den Organismus damit darauf aufmerksam, dass er bestimmte Objekte oder Umstände anstreben oder vermeiden soll, um sein ordnungsgemäßes Funktionieren oder sein Überleben zu sichern. So weit, so gut. Es handelt sich dabei um eine notwendige Strategie, die sich herausgebildet hat, um ein Lebewesen, sei es Mensch oder Mikrobe, zu erhalten und zu schützen, während es in der Welt der Bedingungen seinen Verrichtungen nachgeht.
Wenn dieser Überlebensmechanismus außer Kontrolle gerät und, statt zu dienen, die Herrschaft übernimmt, stürzt er uns in einen nebelhaften Schleier von Begierden und Gelüsten. Dieses unbestimmte, objektlose Begehren führt dazu, dass wir uns ständig unzufrieden und unausgefüllt fühlen. Wir spüren eine Leere in uns, die uns zu einer endlosen, zwanghaften Suche nach einem nicht greifbaren "Etwas" veranlasst, von dem wir hoffen, dass es unser Begehren stillen möge. Aber wir wissen nicht, was wir wollen, und noch weniger, warum wir es wollen.
Wie der Affe, den es zu dem Topf mit dem Köder zieht, greifen wir nach allen möglichen Dingen — und Ideen — und das Ergebnis ist im Grunde das gleiche. Wir geraten in eine Falle, zwar nicht im wörtlichen, physikalischen Sinn, aber sehr wohl auf psychologischer Ebene, was das Leiden noch verhehrender und anhaltender werden lässt. Und die Leere besteht weiter.
Aber es gibt eine Lösung, und sie ist ziemlich einfach. Einfach, zwar, aber nicht unbedingt leicht. Statt diesen Regungen, mehr zu ergreifen, mehr zu sammeln, mehr zu horten, nachzugeben und ihnen blind zu gehorchen, müssen wir uns ihnen stellen und sie genau untersuchen. Wo entstehen sie, und warum? Die Antworten überraschen uns vielleicht: Hinter dieser Haltung des Ansichreißens steht die Ego-Vorstellung, die notwendigerweise zu Unsicherheit und Angst in unüberschaubaren Formen führt. Diese wiederum bringen uns, bewußt oder unbewußt, dazu, dass wir nach allen möglichen Dingen suchen, um die scheinbare Festigkeit des Ego zu verteidigen, um es zu verschönern und auszuschmücken, und um eine Verteidigungsmauer um es herum zu bauen: Macht, Status, Ruhm, Publicity und materielle Besitztümer. Selbst Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Wohnung und Arznei müssen wir zu völlig übertriebenen Größenordnungen aufblasen.
Einfach ausgedrückt, weil wir das Wesen des Ego nicht erkannt haben, gelingt es uns nicht, eine Trennlinie zwischen "Das ist notwendig" und "ICH WILL HABEN" zu ziehen. Durch unsere vom Ego motivierte Denkweise erschaffen wir für uns selbst eine große Menge an unnötigem Leiden und opfern viel, ja sogar das meiste von unserer Lebensqualität.
Der Buddha lehrte, dass wir als bedingt entstandene, in einem bedingten Dasein (Samsara) lebende Wesen nie vollkommen frei von allen möglichen Arten von Unannehmlichkeiten, Spannungen und Leiden sein können. Alle bedingt entstandenen Erscheinungen sind unvollkommen, und das führt unweigerlich zu Unbefriedigtsein. Das ist die Erste Edle Wahrheit in der Lehre Buddhas, und sie ist weit davon entfernt, eine vage philosophische Spekulation zu sein, sondern sie ist etwas, das jeder von uns in seinem Alltagsleben unmittelbar selbst erlebt. Während sich wahre und dauerhafte Freiheit (Nibbana) erst als Ergebnis der mittels Vipassana-Meditation gewonnenen Erkenntnis einstellt, können wir in der Zwischenzeit schon eine ganze Menge unnötigen Leidens vermeiden, indem wir das Entsagensprinzip anwenden.
Unglücklicherweise hat das Wort "Entsagung" in unserem modernen, von westlichen Vorstellungen beherrschten, angeblich hedonistischen Zeitalter einen merkwürdig mittelalterlichen Klang an sich. Für die meisten bringt es den Geruch von Sack und Asche mit sich, ruft Bilder von Büßertum, Selbstverleugnung, selbst auferlegten Entbehrungen, ja sogar Selbstquälerei hervor. Sie gilt als negatives, mutloses Sichabwenden von der Welt, ein düsteres Versagen vor dem Leben, als letzte Zuflucht von Hagestolzen und alten Jungfern.
Nichts davon ist wahr. Wirkliche Entsagung, wie sie der Buddha lehrt, gleicht dem Aufklappen der Fenster des Geistes, um morgendlichen Sonnenschein und belebende, kühle Luft hereinzulassen. Entsagung bedeutet "Hausputz", sich von Müll und nutzlosem Durcheinander zu trennen, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinn. Sie bedeutet die Erkenntnis, dass, wenn wir uns an den Dingen festklammern, nicht wir die Dinge, sondern stattdessen sie uns besitzen. Sie bedeutet, die Dinge in ihrer wahren Größenordnung zu sehen, unser Leben zu vereinfachen und zufrieden zu sein mit "genug".
Kurz gesagt, handelt es sich um GESUNDEN MENSCHENVERSTAND.
Mehr braucht nicht gesagt zu werden.
Du bist klüger als der Affe.
Alles übrige kannst du selbst herausfinden.
Gelegentlich wird die Frage aufgestellt, ob die Lehre Buddhas in unserer heutigen Zeit noch Gültigkeit besäße. Manche scheinen zu glauben, dass der Dhamma, die Buddhalehre, sich zwar für das Asien in der Zeit vor 25 Jahrhunderten geeignet haben mag, dass er aber in der vom rasanten, aggressiven und zunehmend amoralischen technischen Fortschritt und Materialismus des Westens geprägten Welt des zwanzigsten Jahrhunderts keinen Platz mehr habe, dass er deshalb ins Museum verbannt werden sollte, um dort inmitten weiterer vermoderter Relikte eines untergegangenen Goldenen Zeitalters seine Ruhe zu finden. Anders gesagt: es ist, als ob ein medizinisches Behandlungssystem aus alten Zeiten nicht mehr anwendbar ist, weil die heutigen Krankheiten anders sind.
Andere gehen das Problem aus einer anderen Sichtweise an. Dass der Dhamma wirkt und zutreffend ist, wird nicht in Frage gestellt. Stattdessen haben diese Leute das Gefühl, dass es den Menschen heutzutage an der notwendigen Zeit und Gelegenheit fehlt, um den Dhamma erfolgreich anwenden und ausüben zu können. Die Medizin ist zwar richtig für die Krankheit, aber der Patient hat nicht die Möglichkeit, die Behandlungsweise zu nutzen.
Untersuchen wir diese beiden Sichtweisen. Es stimmt, dass die Welt der Antike anders war als unsere. Gewiss muss die Gangart beträchtlich langsamer gewesen sein, wie es auch heute noch in bäuerlichen Dorfgemeinschaften zu finden ist. Kurz gesagt, das tretmühlenartige Wettrennen des 20. Jahrhunderts, die technische Entwicklung, die es ausgelöst hat, und alles, was daraus folgert, Gutes sowie Schlechtes, gab es noch nicht.
Es ist sehr verlockend für uns, mit Wehmut auf diese Zeit als ein sanfteres und ruhigeres Goldenes Zeitalter, ein nie dagewesenes Utopia zurückzublicken. Ja, sicher war die Welt der Antike ein ganz anderer Ort, vielleicht noch mehr als wir uns das vorstellen oder uns gar vorzustellen vermögen. Aber das ist keineswegs so auszulegen, als sei es ein besserer Ort gewesen! Tatsächlich sind diese Unterschiede nur oberflächlich und von kosmetischer Natur.
Das zugrunde liegende Problem, das Grundproblem der Welt, bleibt dasselbe, ganz gleich wie sehr sich die äußerlichen Ausdrucksformen ändern mögen. Und dieses Problem ist, dass die Welt ein Ort des Leidens ist.
Die Welt ist ein Ort des Leidens, aber das Leiden ist nicht in der Welt. Es ist in deinem Geist, und es ist in meinem Geist, und es ist im Geist eines jeden empfindungsfähigen Wesens, das existiert. Das ist natürlich die Sorte von Aussage, die jene Kritiker auf den Plan ruft, welche darauf bestehen, dass der Buddhismus pessimistisch sei. Weit gefehlt. Der Buddhismus drückt nur auf unparteiische Weise das aus, was jedermann sehen und unabhängig für sich selbst nachvollziehen und bestätigen kann.
Definieren wir doch, was Leiden ist. In seiner ersten Rede nach der Erleuchtung sagte es der Buddha wie folgt:
Geburt ist von Schmerz begleitet; Krankheit ist schmerzhaft; Tod ist schmerzhaft. Kummer, Jammer, Gram und Verzweiflung sind Leiden. Unangenehmes zu erdulden ist Leiden, und die Trennung von Angenehmem ist Leiden. Nicht erlangen, was man begehrt, ist Leiden. In der Tat, die ganzen fünf Daseinsgruppen, die aus Verlangen und Anhangen entstehen, sind Leiden.
Wer könnte an dieser Aussage wohl zweifeln? Leiden ist körperlich, geistig und emotional. Und keiner von uns ist davon ausgenommen oder dagegen immun.
Es stimmt, dass es auch Freude und Glück gibt. Auch das kann niemand bestreiten. Aber Freude und Glück sind zerbrechlich und flüchtig. Sie hängen davon ab, dass bestimmte Umstände so sind, wie wir es gerne hätten und erwarten. Sobald sich diese Bedingungen ändern (und das werden sie!), sobald die Dinge sich nicht nach unseren Wünschen entwickeln, stellt sich ein gewisses Maß an Unglücklichsein oder Leiden ein. Sei es nun belanglos oder schwerwiegend, auf jeden Fall ist es Leiden.
Jeder von uns erschafft sein eigenes Elend und Unglücklichsein, und bestimmt sogar den Grad seines Leidens selbst durch die Erwartungen, die er hegt, und dadurch, wie stark er diese Erwartungen pflegt und wie fest er sich darauf versteift.
Wir haben gerade die erste und zweite der Vier Edlen Wahrheiten wiedergegeben, und alles, was wir gesagt haben, ist für uns heute noch genauso wahr wie es an dem Tag war, als der Buddha zum ersten Mal seine Lehre verkündete. Wir sehen, dass die antike und die zeitgenössische Welt sich darin gleichen, dass beide voller empfindungsfähiger Wesen sind, die alle Leiden erfahren, und die alle nach Erlösung suchen.
Diesem Leiden gegenüber war der Buddha kein Fremder. Er erkannte es klar und deutlich überall um sich herum, und er war empfänglich dafür. Sein Mitgefühl veranlasste ihn dazu, sein eigenes Leben voller Luxus und Privilegien aufzugeben, um ein für alle Mal die volle und dauerhafte Befreiung von dem allen ursächlich entstandenen Dingen, Situationen und Umständen innewohnenden Leiden zu suchen.
Nach Jahren eingehenden Suchens gelang es ihm, sich selbst zu befreien. Nachdem er somit die Erleuchtung erlangt hatte, verbrachte er, wieder veranlasst von seinem großen Mitgefühl, die restlichen fünfundvierzig Jahre seines Lebens damit, jedermann, der es hören wollte, den Weg zur Befreiung zu zeigen. Der Dhamma, die Lehre des Buddha, ist genausowenig seine Erfindung, wie die Gesetze der Physik die Erfindung Isaac Newtons sind. Newton war einfach ein Beobachter, der sich der Untersuchung gewisser Gesetzmäßigkeiten in der Natur widmete, die er studierte, mit denen er experimentierte, und die er, zum Wohle der Allgemeinheit, beschrieb und anderen zur Kenntnis brachte. Genau auf die gleiche Weise widmete sich der Buddha der Suche nach der Ursache für das Auftreten von Leiden und den Mitteln zu seiner Beendigung.
Die Buddhalehre ist eine Zusammenfassung dessen, was der Buddha auf dieser Suche entdeckte, wie es anzuwenden ist, und welche Ergebnisse damit erzielt werden. Sie gibt wieder, wie die Gesetze der Natur und des Geistes funktionieren, und stellt eine Folge von Anweisungen dar, ein Handbuch, gewissermaßen, wie ein jeder von uns dieses Wissen am wirksamsten zu seinem eigenen größten Nutzen in allen Bereichen des Alltagslebens und letztlich zur Befreiung vom Leiden anwenden kann. Sie ist zeitlos gültig.
Die ersten beiden der Vier Edlen Wahrheiten dienen dazu, das Problem zu identifizieren und seine Ursache offenzulegen. Die Dritte Edle Wahrheit gibt das Heilmittel an und die vierte Edle Wahrheit stellt die tatsächliche Anwendung der Behandlung dar. Es kommt jetzt völlig auf jeden Einzelnen von uns an, ob er von da aus weitermachen will. Der Buddha hat alles getan, was er konnte. Niemand hätte mehr tun können. Der Arzt kann die Krankheit identifizieren und das Heilmittel angeben. Aber er kann sich nicht anstelle des Kranken der Behandlung unterziehen. Auf ähnliche Weise zeigt der Buddha uns den Weg und gibt uns eine detaillierte Landkarte mit umfassenden Beschreibungen, aber jeder von uns muss selbst die nötige Anstrengung zum Beschreiten des Weges aufbringen, damit er das Ziel erreicht. Keiner kann den Weg an unserer Stelle gehen.
Was bedeutet es, ein Buddhist zu sein? Was bringt es mit sich, dem Weg zu folgen, den der Buddha uns gewiesen hat? Können wir in unserer heutigen Welt dabei (hier ist dieses Zauberwort wieder!) gute Arbeit leisten?
Nur dem Namen nach ein Buddhist zu sein ist sehr einfach. Es ist außerdem eine kolossale Zeitverschwendung, ein schlechter Dienst an allen praktizierenden Buddhisten und eine Beleidigung des Buddha.
Ein ernsthaft praktizierender Buddhist zu sein, erfordert Zeit, Mühe und Engagement. Man muss die Zeit dafür aufbringen, den Dhamma zu studieren, um mit dem Kern der Lehre gut vertraut zu sein. Man muss die Tugendregeln kennen, nicht nur gerade gut genug, um sie nachzusprechen, oder um das bloße Minimum zu ihrer Erfüllung zu tun, damit der Anschein gewahrt bleibt, sondern um ein tiefes Verständnis ihrer ethischen und moralischen Grundlage zu entwickeln. Wenn jemand diese Kenntnis und dieses Verständnis hat und danach lebt, dann entdeckt man, dass es nicht nur dem eigenen spirituellen Nutzen dient, so zu handeln, sondern dass es auch das ganze Alltagsleben ordnet und vereinfacht. Es erstreckt sich auf Familienleben, Beruf, soziale Kontakte, Kindererziehung, kurz, auf sämtliche Aspekte des häuslichen Lebens als Laienanhänger. Und auf dieser soliden Grundlage, und nur auf ihr, kann man seine Meditationspraxis aufbauen, das heißt, der geistigen Entfaltung von Einsicht, die zur Erleuchtung führt.
Ja, es erfordert Zeit und Mühe. Aber das ist bei allem so, das es wert ist, getan zu werden. Und hier geht es um das wertvollste Vorhaben von allen überhaupt! Wir finden doch auch die Zeit und die Energie für alle möglichen kraftzehrenden, nutzlosen, ja sogar schädlichen Unternehmungen. Da können wir doch gewiss auch die Zeit für die Umsetzung des Dhamma aufbringen.
Ein weiterer Punkt muss angesprochen werden. Viele scheinen das Gefühl zu haben, dass man dem Mönchsleben beitreten muss, um wesentliche Fortschritte erzielen zu können. Dass sie aufgrund ihrer Verantwortlichkeiten als Laien oder weil sie das Gefühl haben, nicht für das Klosterleben geeignet zu sein, das nicht tun können, erscheint ihnen als großes Hindernis.
Die gute Nachricht ist, dass der Laienanhänger genau da, wo er ist, in seinem gegenwärtigen Umfeld, große Fortschritte erzielen kann. In den Sutten gibt es Berichte zuhauf von weiblichen und männlichen Laienanhängern, die zu großen spirituellen Höhen gelangten, ja sogar das Nibbana erreichten. Und die ganze Zeit hindurch führten sie einen Haushalt, zogen Kinder auf, verdienten ihren Lebensunterhalt, kümmerten sich um ihre persönlichen Angelegenheiten oder führten ein Geschäft. Für einen Außenstehenden lebten sie ein ganz gewöhnliches, normales Leben. Und das ist heute nicht weniger gültig.
Der Dhamma ist einzigartig, ein vollständiges Schulungssystem, das keinem anderen gleicht oder von ihm übertroffen würde. Es fällt nicht schwer, ihm nachzufolgen. Man fängt genau da an, wo man ist, und schreitet von da aus in seinem eigenen Tempo voran. Das Befolgen der buddhistischen Ethik wird, zum Allermindesten, das Leben stark vereinfachen, Herzensfrieden bringen und es einem gestatten, ein untadeliges Leben zu führen. Es wird einem auch eine heilsame Wiedergeburt sichern, so dass sich einem im nächsten Leben erneut die Gelegenheit bieten mag, weiterhin Fortschritte in Richtung der Befreiung vom Samsara zu erzielen, sollte man die Befreiung in diesem Leben noch verfehlen.
Der Dhamma ist heutzutage noch haargenau so wirkungsvoll wie er es jemals war. Und wenn wir uns erst einmal entschieden haben, seine Grundsätze auf unser Leben anzuwenden, werden wir sehen, dass alles, was zu tun ist, durchaus in unserem Vermögen steht, selbst in der heutigen feindseligen, wirbelwindartigen Welt.
Wir alle suchen, ein jeder auf seine oder ihre Weise, jenen seltsam flüchtigen Zustand, Glück genannt, aber nur sehr wenige von uns können beschreiben oder definieren, was genau es sein soll, von dem wir meinen, dass es uns dieses Glück verschaffen wird. Die meisten von uns suchen nach etwas, wissen aber nicht genau, was. Bestenfalls kann es sein, dass wir einige vage, nebulöse Ahnungen haben. Nicht viel, mit dem man etwas anfangen könnte! Es ist, als hätten wir eine Reise unternommen, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, wo es hingehen soll oder wie wir dorthin kommen sollen. Ist es da ein Wunder, dass wir, trotz aller unserer Anstrengungen, immer wieder Schiffbruch erleiden?
Alles verändert sich, und unsere Vorstellungen vom Glück machen da keine Ausnahme. Es ist klar, dass die Vorstellung, was Glück sei, wenn sie überhaupt ausgebildet ist, äußerst subjektiv und persönlich ist, nicht nur für eine breitgefächerte individuelle Auslegung offen, sondern auch für die Launen der gesellschaftlichen, kulturellen und sogar ökonomischen Konditionierung.
In einfacheren, verflossenen Tagen, scheint es, hielt man Glück allgemein für einen ruhigen, angstfreien Zustand der Zufriedenheit, der aus der Erfüllung gewisser, für das Überleben notwendiger Bedingungen herrührte. Wer eine ordentliche Behausung, angemessene Bekleidung und genug zu essen hatte, nicht ernstlich erkrankt und frei von Schmerzen war und nicht Gefahr lief, durch Feinde Schaden zu erleiden, den erachtete man als glücklich. Was mehr konnte man sich wünschen? Ein solcher elementarer Zustand der Sicherheit wurde, mochte er auch brüchig sein, als Segen und Anlass für großes Glücklichsein betrachtet.
In unseren Tagen scheint es jedoch, als würde Glück mehr denn je als etwas angesehen, das irgendwie mit der Erfahrung von Genuss und mit dem "Erwerb und Besitz von Dingen" zu tun habe. Manche suchen es durch die direkte Stimulierung und Befriedigung der Sinne zu erreichen. Andere durch die Anhäufung materieller Gegenstände und das Erlangen von Ruhm, Status, Macht und Wohlstand. Und viele glauben, es läge in dem eher nebulösen Konzept des "Freiseins" verborgen, was heutzutage die extreme Bedeutung der Freiheit von Disziplin, Moral und gesellschaftlichen Konventionen, ja sogar von den Grenzen des guten Geschmacks angenommen hat! (In früheren Zeiten war das als Zügellosigkeit bekannt.)
Unglücklichsein (Leiden, oder Dukkha) ist viel leichter zu definieren, möglicherweise weil wir so viel mehr davon erfahren. In beiden Fällen aber, ob wir nun das Glücklichsein oder das Leiden ergründen, haben wir es mit flüchtigen, unbeständigen Gemütszuständen und unbeständigen äußeren Bedingungen zu tun, die im Einklang oder im Gegensatz zu dem stehen, was wir wünschen und erwarten. Sobald sich die Dinge nicht mehr so entwickeln, wie wir es gerne hätten, schwindet unser Glück dahin und es entsteht ein gewisses Maß an Unglücklichsein oder Leiden. Ob nun belanglos oder schwerwiegend, es handelt sich in jedem Fall um Leiden. Leiden ist einfach unerfülltes Begehren, endloses Begehren. Es ist das Unzufriedensein damit, dass die Dinge so sind, wie sie sind.
Der Buddha identifiziert das Begehren (Ersehnen, Verlangen, tanha) als die Grundlage für all unser Leiden, und im gleichen Atemzug fügt er hinzu, dass es der ursächliche Faktor für die Wiedergeburt ist. Der Buddha weist darauf hin, dass es kein bleibendes, inhärentes Wohlsein oder Glücklichsein gibt, das durch die Befriedigung eines Begehrens erlangt werden kann. Worauf sich dieses auch richten mag. Das Wohlgefühl tritt nur während des einen zugespitzten Augenblicks auf, an dem sich die Unzufriedenheit, die Vorfreude und die Spannung des Begehrens selbst auflöst. Hat man sich den begehrten Gegenstand erst einmal gesichert, ist das Unwohlsein des Begehrens erst einmal abgebaut worden, bleibt von der Befriedigung nur ein Nachglimmen übrig, das bald darauf erlischt. Ist der Reiz des Neuen erst einmal abgeklungen, wendet sich unsere Aufmerksamkeit recht schnell der nächsten Sache zu, die unseren Blick fesselt. So geht es endlos weiter.
Des weiteren weist der Buddha auch darauf hin, dass kein Gegenstand und keine Situation jemals für sich allein eine Quelle von Freude oder Unmut sein kann. Vielmehr sind dies Konstrukte des Geistes. In unserem Geist bilden wir gewisse Erwartungen, wie wir bestimmte Dinge, Situationen oder Personen gerne hätten. Solange es sich so verhält, dass die Umstände diesen Erwartungen entsprechen, erfahren wir ein gewisses Maß an Befriedigung. Entsprechen die Umstände ihnen nicht, erfahren wir Verdruss, Enttäuschung, Ärger und andere unheilsame Gemütszustände, deren Stärke in direktem Verhältnis zu der Nichterfüllung unserer Erwartungen steht.
Was wir schon haben, können wir nicht begehren, nur das, was noch außerhalb unserer Reichweite liegt. Wir können eine innere Bindung an das haben, was schon uns gehört, aber auch das ist ein Begehren, ein Wunsch, dass die Zukunft auf eine gewisse Art und Weise beschaffen sein möge. Wir hätten gerne eine Garantie dafür, dass der Gegenstand, an dem wir festhalten, uns auch weiterhin Freude bringen wird, dass er in unserem Besitz bleiben wird, und dass er sich nicht verändern, nicht zerbrechen oder sonstwie unsere Erwartungen enttäuschen wird. Immer noch hätten wir gerne etwas, das außer Reichweite ist: eine feste Garantie, dass die zukünftigen Umstände sich nicht ändern werden.
Wir machen uns selbst und anderen gegenseitig etwas vor, bis wir glauben, dass das Glück nur noch einen Schritt weit entfernt ist, fast schon in Reichweite. Wenn wir doch nur das hier loswerden könnten, wenn wir doch nur jenes dort haben könnten, wenn wir doch nur den Anderen ändern könnten, dann wären wir ganz sicher wirklich und wahrhaftig für immer glücklich! Wir verbringen unser Leben mit diesem ständigen "Wenn-doch-nur", suchen und greifen, aber nie will es uns gelingen, des Glückes habhaft zu werden. Immer scheint es uns zwischen den Fingern hindurchzurinnen. Das ist die Geschichte unseres Lebens, ein Leben nach dem anderen, eine Geburt nach der anderen.
Jawohl, dieses ständige Suchen und Greifen nach "nur noch dieser einen Sache", das ist das Begehren, das ist tanha, vor dem uns der Buddha warnt. Das ist der Leim, der uns so fest an das Rad des Samsara bindet, jenes grimmige Karrussell des Elends, das uns endlos von Geburt zu Wiedergeburt schleift, von Tod zu neuerlichem Tod, und von Leiden in immer noch mehr Leiden, ab und zu von kurzlebigen Funken der Befriedigung und der Freude etwas gelindert.
Es ist ironisch, aber je mehr wir nach dieser Sache namens Glück greifen, je mehr wir ihm nachjagen, desto gewisser ist es, dass es uns entgleiten wird. Wir haben sowohl die Ursache als auch das Wesen des Glücks falsch gedeutet, falsch verstanden, und dann unseren Fehler noch verschlimmert, indem wir an der falschen Stelle nach dem Glück gesucht haben, nämlich in der Welt statt innerhalb des Geistes! Unsere Anstrengungen sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Glück liegt nicht darin, einen jeden unserer Wünsche befriedigen zu können, sondern vielmehr in der Fähigkeit, vom zwanghaften Reagieren auf jeden noch so kleinen Wunsch und Anstoss unseres Geistes Abstand nehmen zu können. Es ist die Fähigkeit, den Geist leidenschaftslos zu beobachten, die Erscheinungen sich manifestieren zu lassen, ohne ihrem Reiz zu verfallen, ohne durch sie versklavt zu werden.
Wenig kann daran getan werden, was uns durch äußere Umstände wiederfährt. Das sind alte, vorbedingte Sachen, kammavipaka, die jetzt an die Oberfläche gelangen. Wir müssen nichts weiter tun, als ihr Auftauchen und Untergehen sorgfältig zu beobachten. Sehr sorgfältig müssen wir allerdings damit umgehen, wie wir darauf reagieren. Diese Reaktion, die geistige, emotionale und willensmäßige Antwort, erzeugt die Bedingungen für unser zukünftiges Erleben.
Das klare bewusste Wahrnehmen unserer Gefühle gegenüber dem aufgetauchten Gegenstand oder Gedanken, ohne dass es von einer automatischen, dem Eigeninteresse dienenden, auf Gier oder Abneigung gegründeten Reflexhandlung begleitet wäre, schwächt nach und nach die kammische Bindung, die uns im samsarischen Elend festhält. Regelmäßig geübt, erlaubt es Einsichten in die Vorgänge der Natur und des Geistes. Diese Einsicht, dieses Verständnis der Unbeständigkeit, letztendlichen Unzulänglichkeit und unpersönlichen Wesensart aller bedingten Erscheinungen (anicca, dukkha, anatta) zerstört bald die kammischen Fesseln und führt zur Befreiung vom Samsara. Es ist der innerste Kern der Buddhalehre.
Petr Karel Ontl wurde als Kind böhmisch-amerikanischer Eltern 1942 in Prag in der Tschechoslowakei geboren und wanderte 1949 in die Vereinigten Staaten aus. Er ist diplomierter Fremdsprachenlehrer und hat sich als Lehrer, Fotograf, Altenpfleger und Übersetzer betätigt. Er ist seit zwanzig Jahren Theravada-Buddhist und steht in Verbindung mit der Bhavana Society in High View, West Virginia. [Stand: 1993]