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Eine Meditationsanleitung
von
Thanissaro Bhikkhu
Übersetzung ins Deutsche von: (Info)
BGM-Studiengruppe
Alternative Übersetzung: noch keine vorhanden
Alternative Formate: [book icon] Ein Druckversion finden sie in dem Buch: Edle Strategie. Um eine gedruckte Version diese Buches zu erbitten, schreiben sie bitte an: Buddhistischen Gemeinschaft München oder direkt per email: Email an BGM e.V.

Setze dich aufrecht in einer bequemen Position hin, ohne dich dabei nach vorne oder hinten, links oder rechts zu lehnen. Schließe deine Augen und lasse dir wohlwollende Gedanken durch den Kopf gehen. Als erstes mache dir wohlwollende Gedanken über dich selbst, denn wenn du keine auf dich selbst bezogenen, wohlwollenden Gedanken denken kannst, wenn du keinen aufrichtigen Wunsch nach deinem eigenen Glück empfinden kannst, ist es unmöglich, dass du auch anderen wahrhaftig Glück wünschen kannst. Also sage dir zunächst: „Möge ich wahres Glück finden.“ Erinnere dich, dass wahres Glück etwas ist, das von innen kommt, dies also kein egoistischer Wunsch ist. Tatsächlich ist es so, wenn du in deinem eigenen Inneren die Quellen des Glücks finden und entwickeln kannst, kannst du das auch an andere Leute ausstrahlen. Es ist ein Glück, das nicht darauf beruht, anderen etwas wegzunehmen.

Beziehe jetzt andere Personen in deine wohlwollenden Gedanken mit ein. Zuerst die Menschen, die dir am nächsten stehen – deine Familie, deine Eltern, deine engsten Freunde: „Mögen auch sie wahres Glück finden.“ Lasse dann diese Gedanken sich in immer größer werdenden Kreisen ausbreiten zu Menschen, die du gut kennst, Menschen, die du nicht so gut kennst, Menschen, die du magst und auch Menschen, denen du weder besonders freundlich noch besonders unfreundlich gegenüberstehst, ja schließlich sogar Menschen, die du nicht magst. Erlege deinem Wohlwollen keine Schranken auf, denn in diesem Fall ergäbe dies auch Schranken für deinen Geist. Lasse jetzt deine wohlwollenden Gedanken auf Menschen übergehen, die du nicht einmal kennst – und nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Lebewesen aller Art in allen Himmelsrichtungen: Osten, Westen, Norden, Süden, bis in die Unendlichkeit. Mögen auch sie wahres Glück finden.

Lenke dann deine Gedanken zurück in die Gegenwart. Wenn du wahres Glück finden willst, musst du es in der Gegenwart suchen, denn die Vergangenheit ist vorbei und die Zukunft ungewiss. Also musst du dich ganz der Gegenwart widmen. Was hast du hier bei dir in genau diesem Augenblick? Du hast deinen Körper, der hier sitzt und atmet sowie deinen Geist, der denkt und wahrnimmt. Also füge alle diese Dinge zusammen. Denke an den Atem und nimm dann bewusst wahr, wie er einund ausströmt. Wenn deine Gedanken auf den Atem gerichtet bleiben, dann entsteht Achtsamkeit. Indem du bewusst wahrnimmst, wie der Atem einund ausströmt, entwickelst du Wachsamkeit. Achte darauf, dass diese beiden Aspekte des Geistes zusammenbleiben. Wenn du möchtest, kannst du ein Meditationswort verwenden, um deine Achtsamkeit zu verstärken. Versuch es mit dem Wort „Buddho“, welches „wach“ bedeutet. Denke beim Einatmen die Silbe „Bud“ und beim Ausatmen die Silbe „dho“.

Versuche, so angenehm wie möglich zu atmen. Eine sehr konkrete Art und Weise, wie du lernen kannst, für dein eigenes Glück in der unmittelbaren Gegenwart zu sorgen und gleichzeitig deine Wachsamkeit zu stärken, ist es, deinen Atem auf angenehme Weise durch deinen Körper strömen zu lassen. Experimentiere ein bisschen, um herauszufinden, welche Atemweise sich in diesem Moment für deinen Körper am besten anfühlt. Vielleicht ist es langes Atmen, vielleicht ist es kurzes Atmen, langes Einatmen mit kurzem Ausatmen kombiniert oder kurzes Einatmen mit langem Ausatmen, schwer oder leicht, schnell oder langsam, oberflächlich oder aber tief. Sobald du einen Rhythmus gefunden hast, der sich angenehm anfühlt, behalte ihn für eine Weile bei. Lerne, das Gefühl des Atmens auszukosten. Im Allgemeinen gilt, je geschmeidiger die Beschaffenheit des Atems, desto besser. Stelle dir den Atem nicht einfach als Luft vor, die in die Lungen hineinund wieder herausströmt, sondern als den gesamten Energiestrom, der mit jedem Einatmen und jedem Ausatmen durch den Körper fließt. Empfinde bewusst die Beschaffenheit dieses Energiestroms. Es kann vorkommen, dass sich der Körper nach einer Weile verändert. Ein bestimmter Rhythmus mag sich zuerst gut anfühlen aber nach einer Weile fühlt sich etwas anderes angenehmer an. Lerne, darauf zu achten und darauf zu reagieren, was dir dein Körper jetzt in diesem Moment mitteilt. Welche Art von Atemenergie braucht er? Wie kannst du dieses Bedürfnis am besten erfüllen? Wenn du müde bist, versuche auf eine Weise zu atmen, die den Körper mit Energie füllt. Wenn du angespannt bist, versuche auf eine Weise zu atmen, die entspannend wirkt.

Wenn dein Geist abwandert, bringe ihn sofort aber sanft zurück. Wenn er zehn oder hundert Male abwandert, bring ihn zehn oder hundert Male wieder zurück. Gib nicht nach. Diese Eigenschaft nennt man Nachdruck. Sobald du also bemerkst, dass der Geist abgewandert ist, bringe ihn sofort wieder zurück. Verbringe keine Zeit damit, ziellos an den Blumen zu riechen, in den Himmel zu schauen oder den Vögeln zuzuhören. Du hast eine Aufgabe zu erledigen; die Aufgabe, zu lernen, wie man auf wohltuende Weise atmet und wie man den Geist dazu bringt, sich im gegenwärtigen Augenblick an einer guten Stelle niederzulassen.

Sobald sich der Atem richtig und wohltuend anfühlt, kannst du beginnen, den Atem in anderen Bereichen des Körpers zu erforschen. Wenn du beim wohltuenden Atem einfach nur auf einen engen Bereich beschränkt bleibst, wirst du wahrscheinlich einschlafen. Deshalb solltest du deine Aufmerksamkeit ganz bewusst ausweiten. Eine gute Stelle, auf die man sich zuerst konzentrieren kann, ist die Bauchnabelregion. Suche in deinem Körperbewusstsein nach dieser Region: Wo befindet sie sich gerade jetzt? Achte dann darauf wie sie sich beim Einatmen anfühlt. Wie fühlt sie sich beim Ausatmen an? Beobachte sie ein paar Atemzüge lang und stelle fest, ob du in diesem Körperbereich Spannungen oder Einengungen beim Einoder Ausatmen fühlst. Spannt sich die Nabelregion an, wenn du einatmest? Hältst du an diesen Spannungen fest, wenn du ausatmest? Atmest du mit zu viel Kraft aus? Wenn du feststellst, dass du etwas Derartiges machst, entspanne dich einfach. Stell dir vor, wie sich die Spannungen im Gefühl des Einatmens und im Gefühl des Ausatmens auflösen. Wenn du möchtest, kannst du dir vorstellen, dass die Atemenergie direkt über den Bauchnabel in den Körper gelangt, sich durch die Spannung und Enge, die du dort vielleicht empfindest, einen Weg bahnt und sie so beseitigt.

Richte anschließend deine Aufmerksamkeit nach rechts, auf die untere rechte Seite deines Unterleibs und befolge dort dieselben drei Schritte: 1) Lokalisiere diese Körperregion in deinem Bewusstsein. 2) Stelle fest, wie sie sich beim Einund Ausatmen anfühlt. 3) Wenn du Spannungen oder Beengungen beim Atmen empfindest, entspanne diese Region einfach. Verlagere jetzt dein Bewusstsein nach links, auf die untere linke Seite deines Unterleibs, und befolge dieselben drei Schritte.

Richte jetzt dein Bewusstsein auf das Sonnengeflecht, dann nach rechts, auf die rechte Körperflanke, alsdann auf die linke Körperflanke, schließlich auf den mittleren Brustbereich und lasse nach einer Weile dein Bewusstsein zur Halswurzel wandern sowie zur Kopfmitte. Gehe mit der Atemenergie in deinem Kopf sehr vorsichtig um. Stelle dir vor, wie der Atem sehr sanft einströmt, nicht nur durch die Nase, sondern auch durch die Augen, die Ohren, vom Kopfscheitel herab, von hinten durch den Nacken und lasse ihn sanft durch alle Spannungen fließen, die du vielleicht in deinem Kiefer, im Nacken, um deine Augen oder im Gesicht fühlst und lasse den Atem diese Spannungen auflösen.

Von dort aus kannst du deine Aufmerksamkeit allmählich den Rücken hinunter gleiten lassen, bis in die Beine hinab, in die Zehenspitzen und schließlich die Zwischenräume zwischen deinen Zehen. Konzentriere dich wie zuvor auf ein bestimmtes Körperteil, stelle fest, wie es sich beim Einund Ausatmen anfühlt, beseitige alle Spannungen oder Beengungen, die du dort vielleicht fühlst, damit die Atemenergie ungehindert fließen kann und gehe dann zum nächsten Bereich über, bis du schließlich die Zehenspitzen erreicht hast. Wiederhole anschließend diesen Vorgang und lasse jetzt die Atemenergie vom Nacken aus herunter über die Schultern, durch die Arme, die Handgelenke und schließlich durch die Finger heraus fließen. Diesen Erkundungsrundgang durch den Körper kannst du beliebig oft wiederholen, bis du das Gefühl hast, dass dein Geist bereit ist, sich niederzulassen.

Richte dann deine Aufmerksamkeit wieder auf solche Bereiche des Körpers, die sich auf natürliche Weise ruhig und konzentriert anfühlen. Lass deine Aufmerksamkeit dort, mit dem Atem verschmolzen, verweilen.

Erweitere gleichzeitig die Grenzen deines Bewusstseins, sodass es schließlich deinen gesamten Körper erfüllt, wie das Licht einer Kerze in der Mitte eines Raumes. Die Flamme der Kerze befindet sich an einem Punkt, aber das Licht der Kerze füllt den gesamten Raum. Oder stelle dir das Bild einer Spinne in ihrem Netz vor. Die Spinne sitzt an einer einzigen Stelle, fühlt aber die leichtesten Vibrationen des ganzen Netzes. Bemühe dich, dieses erweiterte Bewusstsein beizubehalten. Du wirst feststellen, dass es sich wieder zusammenziehen will wie ein Ballon mit einem kleinen Loch darin; weite deshalb dein Bewusstsein immer weiter mit folgenden Gedanken aus: „Der ganze Körper, der ganze Körper, mein Atem füllt den ganzen Körper vom Kopf bis hinunter in die Zehenspitzen.“ Stelle dir vor, wie die Atemenergie durch jede einzelne Hautpore einund wieder ausströmt. Behalte dieses zentrierte, erweiterte Bewusstsein solange wie möglich bei. Es gibt sonst nichts, woran du in diesem Moment denken musst, keinen anderen Ort, an dem du sein musst, nichts anderes, was du tun musst. Verweile einfach mit diesem zentrierten, erweiterten Bewusstsein der Gegenwart.

Wenn es an der Zeit ist, die Meditation zu beenden, erinnere dich daran, dass auch das Beenden der Meditation gelernt sein will. Das heißt, man bricht den meditativen Zustand nicht einfach plötzlich ab. Mein Lehrer Ajahn Fuang sagte einmal, dass die Meditation bei den meisten Leuten wie das Besteigen einer Leiter bis in die zweite Etage eines Hauses sei. Sprosse für Sprosse, Schritt für Schritt, sind diese Leute langsam die Leiter hochgestiegen. Aber sobald sie die zweite Etage erreicht haben, springen sie einfach aus dem Fenster. Begehe nicht denselben Fehler. Überlege, wie sehr du dich um das Erreichen der Konzentration bemüht hast. Wirf sie nicht einfach weg.

Der erste Schritt beim Beenden der Meditation ist es, erneut wohlwollende Gedanken an alle Menschen um dich herum zu richten. Bevor du dann die Augen öffnest, erinnere dich daran, dass deine Aufmerksamkeit auch bei geöffneten Augen auf den Körper und auf den Atem konzentriert bleiben soll. Versuche, dieses Zentrum der Konzentration solange wie möglich beizubehalten wenn du aufstehst, herumgehst, sprichst, zuhörst oder auch etwas anderes tust. Die Kunst der Beendigung der Meditation liegt also darin, zu lernen, wie man sie nicht endgültig beendet, ganz gleich, was man auch tun mag. Handle aus diesem Gefühl der Zentriertheit heraus. Wenn du den Geist auf diese Weise halten kannst, hast du einen Maßstab, an welchem du seine Bewegungen und seine Reaktionen auf die äußeren und inneren Ereignisse messen kannst. Nur wenn du ein festes Zentrum wie dieses erreicht hast, erhältst du Einblicke in die Bewegungen deines Geistes.

Siehe auch: "Einführende Anleitung zur Atemmeditation"