Wir wissen alle, was geschieht, wenn ein Feuer ausgeht. Die Flammen erlöschen und das Feuer ist weg, aus und vorbei. Wenn wir also zum ersten Mal erfahren, dass die Bezeichnung des Ziels buddhistischer Praxis, Nirvana (nibbana), wörtlich das Auslöschen eines Feuers bedeutet, so kann man sich nur schwer ein ungeeigneteres Bild für ein spirituelles Ziel vorstellen als die völlige Vernichtung. Es zeigt sich jedoch, dass diese Auslegung des Begriffs allein Fehler in der Übersetzung ist, nicht so sehr in der Übersetzung des Wortes sondern in der Übertragung des Bildes. Welche Bedeutung hatte ein erloschenes Feuer für die Inder zur Zeit des Buddha? Sicher nicht Vernichtung.
Gemäß den Lehren der alten Brahmanen ging ein Feuer, das gelöscht wurde, in einen Zustand der Latenz über. Statt aufzuhören zu existieren, ging es in eine Art Schlafzustand ein und in diesem Zustand – unabhängig von einem speziellen Brennstoff – verteilte es sich über den ganzen Kosmos. Als der Buddha dieses Bild benutzte, um Nirvana den indischen Brahmanen seiner Tage zu erklären, da umging er die Frage, ob ein erloschenes Feuer fortfährt zu existieren oder nicht und betonte statt dessen die Unmöglichkeit ein Feuer zu definieren, das nicht brennt: Daher also seine Feststellung, dass die Person, die gänzlich „erloschen“ ist, nicht mehr beschrieben werden kann.
Wenn der Buddha jedoch seine eigenen Schüler unterrichtete, benutzte er Nirvana als ein Bild der Freiheit. Offenbar sahen alle Inder seiner Zeit, brennendes Feuer als etwas aufgeregtes, abhängiges und gefangenes an, als etwas dem Brennstoff anhaftendes und an ihn gebundenes, solange es brannte. Um ein Feuer zu entzünden, musste man es „ergreifen“. Wenn ein Feuer von seinem Brennstoff abließ, war es „befreit“, erlöst von seiner Aufregung, Abhängigkeit und Gefangenschaft, kühl und grenzenlos. Daher wird in der Pali-Dichtung wiederholt das Bild des erloschenen Feuers als Metapher für die Freiheit benutzt. Tatsächlich ist diese Metapher aber Teil eines Musters der Feuervorstellungen, das auch noch zwei andere, verwandte Begriffe miteinschließt. Upadana, oder „Anhaften“, bezieht sich ebenfalls auf die Nahrung, die ein Feuer seinem Brennstoff entnimmt. Khandha bedeutet nicht nur eine der fünf „Haufen“ (der Daseinsgruppen: Form, Gefühl, Wahrnehmung, Denkprozesse und Bewusstsein) die alle bedingten Erfahrungen bestimmen, sondern auch den Stamm eines Baumes. Gerade so, wie ein Feuer ausgeht, wenn es aufhört am Holz zu haften und seine Nahrung daraus zu entnehmen, so wird der Geist befreit, wenn er aufhört sich an khandha zu klammern.
Das Bild, das Nirvana zugrunde liegt, ist also eines der Freiheit. Die Pali- Kommentare unterstützen diese Deutung, indem sie das Wort Nirvana zu seinen verbalen Wurzeln verfolgen, die „entfesseln“ bedeuten. Welche Art von Entfesselung aber ist hier gemeint? Die Texte beschreiben zwei Ebenen. Eine Ebene ist die Entfesselung in diesem Leben, symbolisiert durch ein Feuer, das ausgegangen ist, dessen Glut aber noch warm ist. Das steht für den erleuchteten Arahant, der sieht und hört, der Angenehmes und Unangenehmes empfindet, aber von Verlangen, Abneigung und Verblendung befreit ist. Die zweite Ebene der Entfesselung – durch ein Feuer symbolisiert, so völlig erloschen, dass seine einstige Glut schon erkaltet ist – ist das, was der Arahant nach seinem Leben erfährt. Jeglicher Einfluss der Sinne ist erloschen, erkaltet und er/sie ist vollkommen, selbst von den feinsten Belastungen und Begrenzungen des Daseins in Raum und Zeit, befreit.
Der Buddha beharrte darauf, dass diese Ebene nicht beschrieben werden kann, ja dass nichteinmal mit Begriffen wie Existenz oder Nichtexistenz eine Definition möglich ist, weil Worte nur auf begrenzte Dinge anwendbar sind. Alles was er tatsächlich, neben Bildern und Metaphern, darüber sagt ist, dass man den Vorgeschmack dieser Erfahrung schon in diesem Leben erfahren kann und dass es das höchste Glück ist, wahrhaftig wert, es kennen zu lernen.
Wenn ihr also beim nächsten Mal einem Feuer beim Verlöschen zuseht, so betrachtet dies nicht als einen Akt der Vernichtung, sondern als eine Lektion, wie Freiheit durch Loslassen gefunden werden kann.
Siehe auch: Der Geist - wie ungebundenes Feuer: Eine Metapher aus den frühbuddhistischen Lehrreden, by Thanissaro Bhikkhu.