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Eine Tür zum Dhamma
Respekt in buddhistischer Theorie und Praxis
von
Thanissaro Bhikkhu
Übersetzung ins Deutsche von: (Info)
Ajahn Khemasiri
Alternative Übersetzung: noch keine vorhanden
Alternative Formate: [book icon] Ein Druckversion finden sie in dem Buch: Das Karma von Fragen.

Wenn man in eine asiatische buddhistische Familie hineingeboren wird, ist das erste, was einem die Eltern über den Buddhismus beibringen werden, nicht etwa ein philosophischer Grundsatz, sondern eine Geste des Respekts: Wie man seine Hände in der añjali Haltung hält, die Handflächen über dem Herzen zusammengelegt, wenn man einer Buddhastatue, einem Mönch oder einer Nonne begegnet. Offensichtlich ist diese Geste zunächst mechanisch. Im Laufe der Zeit jedoch lernt man die innere Haltung kennen, die damit einhergeht. Wenn man besonders flink dabei ist, werden das die Eltern als ein Zeichen von Intelligenz ansehen, denn Respekt ist die Basis für jede Art von Lernfähigkeit.

Wenn man dann älter wird, wird einem vielleicht der Symbolgehalt dieser Geste beigebracht: Dass die Hände eine Lotusknospe formen, welche das Herz repräsentiert, die man dem Objekt des Respekts in der Hoffnung entgegenhält, in den Weg der Weisheit eingeführt zu werden. Letztendlich hoffen die Eltern, dass sich, sobald man sich mit den Früchten buddhistischer Praxis mehr vertraut gemacht hat, der Respekt zu Verehrung und Ehrerbietung entwickelt. Auf diese Art geben sie eine schnelle Antwort auf die uralte westliche Frage, welche Seite des Buddhismus zuerst kommt, die Philosophie oder die Religion. In ihren Augen benötigt man die religiöse Haltung des Respekts, um überhaupt irgendwelches philosophisches Verstehen wachsen zu lassen. Und was sie selbst angeht, gibt es da keinen Konflikt zwischen den beiden Aspekten. Sie sind in der Tat gegenseitig unterstützend wirksam.

Dies steht in markantem Kontrast zu der typischen westlichen Einstellung, welche eine essentielle Diskrepanz zwischen den religiösen und philosophischen Seiten des Buddhismus sieht. Die Philosophie erscheint so rational und legt einen solch hohen Wert auf Eigenständigkeit. Die Einsicht im Herzen von Buddhas Erwachen war so abstrakt - ein Prinzip der Kausalität. Es scheint keinen wirklichen Grund für eine Philosophie mit einem so abstrakten Anfang zu geben, eine so hingebungsvolle Verehrung produziert zu haben, die intensiv genug ist, um es mit jeder der theistischen Religionen aufzunehmen.

Wenn wir uns jedoch ansehen, was der Pali-Kanon über hingebungsvolle Verehrung zu sagen hat - diese Haltung wird dort mit einem ganzen Bündel an Worten ausgedrückt: wie z.B. Respekt, Achtung, Ehrerbietung, Reverenz, Verehrung, Hochachtung - dann lernen wir nicht nur, dass die Theorie des Respekts in der zentralen Einsicht von Buddhas Erwachen verwurzelt ist, nämlich im kausalen Prinzip bezeichnet als sogenannte Dies/Jenes Konditionalität (idappaccayata) —. Sondern wir sehen ebenfalls, dass Respekt erforderlich ist, um das kausale Prinzip überhaupt erst zu erlernen und zu meistern.

Oberflächlich betrachtet mag es seltsam anmuten, die Theorie der Kausalität mit dem Thema des Respekts in Beziehung zu setzen, aber die zwei sind eng miteinander verwoben. Respekt ist die innere Haltung, die man den Dingen gegenüber entwickelt, die man für wirklich wichtig im Leben hält. Theorien der Kausalität sagen uns, ob überhaupt irgendetwas wirklich wichtig ist, und wenn ja, was wichtig ist und wie wichtig es ist. Nehmen wir zum Beispiel den Was-Aspekt: Wenn man glaubt, dass ein Höheres Wesen einem Glück zugestehen wird, dann wird man natürlicherweise diesem Wesen gegenüber Verehrung und Respekt bezeugen. Wenn man davon überzeugt ist, dass Glück ausschließlich auf dem eigenen Willen beruht, dann wird der größte Respekt für den Eigenwillen reserviert. Was nun den Wie-Aspekt angeht: Wenn man wahres Glück als völlig unmöglich ansieht, als vollkommen vorherbestimmt oder gar willkürlich, dann gibt es keine Notwendigkeit für Respekt, denn es wird in der Folge des Lebens keinen Unterschied machen. Wenn man aber wirkliches Glück als eine reale Möglichkeit ansieht und seine Ursachen als sehr heikel und ungewiss, abhängig von der eigenen Haltung, dann wird man ihnen auf ganz natürliche Weise Respekt und Fürsorge zukommen lassen, um sie gesund und stark zu erhalten.

Dies wird auch wiedergespiegelt in der Art und Weise, wie der Pali-Kanon das Thema des Respekts behandelt. Er zeigt sehr detailliert die verschiedenen Möglichkeiten auf, in denen Laienunterstützer zur Zeit des Buddha ihren Respekt gegenüber dem Buddha und dem klösterlichen Sangha ausdrückten. Und ebenfalls die eher standardisierten Formen, wie Mitglieder des Ordens Respekt dem Buddha selbst und auch anderen Ordensmitgliedern gegenüber zum Ausdruck brachten. Besonders interessant dabei ist die Etikette des Respekts, die den Bereich des Lehrens angeht. Buddhistischen Mönchen und Nonnen ist es untersagt, Dhamma zu lehren, wenn jemand eine geringschätzige Haltung zeigt. Vom Buddha selbst wird gesagt, dass er sich zunächst geweigert habe, die erste Lehrrede an die fünf Asketen zu geben, bis sie es aufgaben, ihn als einen Gleichrangigen zu behandeln.

Dieses Protokoll mag natürlich schlicht eine kulturelle Zufälligkeit gewesen sein, etwas, was man gezwungenermaßen von der Gesellschaft zu Zeiten des Buddha angenommen hatte. Aber es gibt da Passagen im Pali-Kanon, die auf etwas anderes hindeuten. Der Buddhismus war eine der Samana-Bewegungen im alten Indien (samana= hauslose religiös Praktizierende beiderlei Geschlechts), welche für sich beanspruchte, den Gesetzen der Natur zu folgen anstelle der kulturellen Normen des damaligen gesellschaftlichen Mainstreams. Diese Bewegungen verfuhren sehr freizügig in ihrer Auswahl dessen, was sie von den vorherrschenden Gepflogenheiten übernehmen wollten. Buddhistische Beschreibungen von anderen Samana-Bewegungen kritisierten diese oft dafür, dass sie nicht nur Außenstehenden gegenüber sondern auch innerhalb ihrer eigenen Gruppierung wenig Respekt zeigten. Lernende werden als unhöflich gegenüber ihren Lehrern portraitiert, ihre Zusammenkünfte sind raubeinig, lautstark und jenseits von jeglicher gemäßigter Kontrolle. All dies wird dann im Kontrast zu den Buddhisten gezeigt, die ihre Treffen innerhalb eines Rahmens gegenseitiger Höflichkeit und Respekt abhielten. Dies deutet darauf hin, dass es den Buddhisten freigestellt war, die allgemeinen Gepflogenheiten des Respekts zurückzuweisen, dass sie sich aber bewusst dazu entschieden, eben dies nicht zu tun.

Diese Entscheidung basiert auf der Einsicht, dass Respekt eine Voraussetzung ist für jegliches Lernen. Es ist leichter von jemandem etwas zu lernen, den man respektiert, als von jemandem, den man nicht respektiert. Der Respekt öffnet unseren Geist und lockert unsere vorgefassten Meinungen, um Raum für neues Wissen und neue Fertigkeiten entstehen zu lassen. Gleichzeitig wird sich eine Person eher zum Lehren eines wertvollen Lernstoffs bereit fühlen, wenn sie sich Menschen gegenüber sieht, die Respekt zeigen.

Auf der anderen Seite ist natürlich die Art des Lernens, die der Buddha betont, nicht einfach nur eine Aneignung von Informationen. Es geht um eine Fähigkeit, die einem gestattet, noch andere Fähigkeiten zu meistern, die zur völligen Befreiung von Stress und Leid führen. Und das ist genau der Bereich, wo der Aspekt des Respekts sich mit der Kausalität verbindet, denn die buddhistische Theorie der Kausalität dreht sich um die Frage, wie es möglich ist, überhaupt eine Fähigkeit zu erlernen.

Wie die Theorie der Kybernetik zeigt, ist Lernen nur dann möglich, wenn es auch Rückmeldungen gibt. Eine Fertigkeit zu erlernen, erfordert die weitere Fähigkeit, Rückmeldungen zu überwachen und dann auszuwählen, wie man sie benutzen möchte, um wiederum Verhalten zu modifizieren. Die Entdeckungen des Buddha im Zusammenhang der Kausalität erklären das Wie und Was dieser Faktoren. Das Wie beschrieb er als kausale Formel - das Was als eine Analyse des Handelns: Die Faktoren, die es zusammen mit dem gesamten Spektrum an Ergebnissen formen, die im Bereich des Möglichen liegen.

Die kausale Formel besagt - vereinfacht ausgedrückt - dass jeder Moment aus drei Dingen zusammengesetzt ist: Resultate aus vergangenen Handlungen, dann gegenwärtige Handlungen und die unmittelbaren Resultate von gegenwärtigen Handlungen. Obwohl dieses Prinzip sehr simpel erscheint, sind seine Konsequenzen sehr komplex. Jede vollbrachte Handlung hat Auswirkungen im gegenwärtigen Moment, die auch noch in die Zukunft hinein nachwirken. Abhängig von der Intensität der Handlung können diese Nachwirkungen entweder eine sehr lange oder sehr kurze Zeit wiederhallen. Deshalb wird jede bedingte Erfahrung sowohl von den zusammengefassten Auswirkungen der im Laufe der Zeit aus einem weiten Bereich entstandenen vergangenen Handlungen als auch zusammen mit den Wirkungen gegenwärtiger Handlungen geformt.

Die Kausalität im Laufe der Zeit beschert jedem Moment gewisse Beschränkungen. Die Gegenwart ist nicht wie ein blankgeputzter Teller, denn sie ist zum Teil geformt durch Einflüsse aus der Vergangenheit. Unmittelbare Kausalität in der Gegenwart jedoch macht Platz für den freien Willen. Nicht alles wird von der Vergangenheit bestimmt. In jedem Moment kann man neue Dinge in den Prozess einschleusen und dem Leben einen Anstoß in eine neue Richtung geben. Trotzdem ist da nicht so viel Platz für den freien Willen, sodass Kausalität willkürlich wäre. Jedes einzelne “Dies” in der Dies/Jenes Konditionalität - ob handelnd im Laufe der Zeit oder in der unmittelbaren Gegenwart - ist immer mit einem ganz spezifischem “Jenem” verbunden. Die Geschehnisse folgen vorhersagbaren Mustern, die man meistern kann.

Das Was welches diesen Prozess in Bewegung erhält, ist der Faktor, der Rückmeldungen und deren Überwachung zulässt. Das vorherrschende Element in diesem Was-Aspekt ist die Intention, die der Buddha als die Essenz von Handlung identifizierte - d.h. kamma. Die Intentionen wiederum werden durch Akte der Aufmerksamkeit geformt, welche Fragen über Wahrnehmungen stellen und Ansichten erstellen, die aus diesen Fragen erwachsen. Und weil man die Ergebnisse der Intentionen bemerken kann, gibt es eine Rückmeldungsschleife im Geist, die einem gestattet zu lernen. Weil die Aufmerksamkeit Fragen stellen kann, kann sie die Rückmeldung so überwachen, damit bestimmt wird, wie man sie am besten anwendet. Und weil unsere Absichten unsere Erfahrungen neu formen können - geleitet von Ansichten und indem neue Vorschläge in die Gegenwart eingegeben werden - kann unsere Lernfähigkeit ganz neu aussehen. Wir können unser Verhalten ändern und die Resultate unserer verbesserten Fertigkeiten in Form von vergrößertem Glück ernten.

Wie weit reicht diese Art des Glücks? Im Prozess seines Erwachens entdeckte der Buddha, dass das Trachten nach geschicktem Können letztendlich vollständig über den Bereich der Wiedergeburt hinausführen kann. Auf der Grundlage dieser Entdeckung identifizierte er vier Arten von kamma: Die ersten drei bewirken angenehme, schmerzhafte oder gemischte Resultate im Wiedergeburtskreislauf, und die vierte führt über jegliches kamma hinaus zum Ende des Wiedergeburtskreislaufs. Mit anderen Worten: Das Prinzip der Kausalität funktioniert auf die Weise, dass Handlungen entweder den Wiedergeburtskreislauf fortsetzen oder ihn zu Ende bringen. Weil sogar die höchsten Annehmlichkeiten innerhalb des Kreislaufs nicht konstant und unzuverlässig sind, lehrte er, dass die lohnenswerteste Handlungsweise diejenige der vierten Art ist: Die Art, die zu seinem Erwachen führte und dem kamma ein für allemal ein Ende setzte.

Das Geschick, das durch diese Form des kamma verkörpert wird, liegt im Koordinieren von Aufmerksamkeit und Intention, sodass diese zunächst zu angenehmen Resultaten innerhalb des Wiedergeburtskreislaufs führen. Dann aber - auf der transzendenten Ebene - führen sie zu vollständiger Befreiung von Stress und Leid. Dies benötigt andererseits gewisse Einstellungen gegenüber dem Prinzip der Kausalität, das im menschlichen Leben wirksam ist. Und genau hier wird die Eigenschaft des Respekts sehr wichtig, denn ohne den geeigneten Respekt für drei Dinge: sich selbst, das unser Leben beherrschende Prinzip der Kausalität und die Einsicht von anderen Menschen in Bezug auf dieses Prinzip, werden wir nicht in der Lage sein, die Entschlossenheit aufzubringen, um dieses Prinzip zu meistern und um zu sehen, wie weit unser Potential in Bezug auf dessen Anwendung reicht.

Der Respekt, den man für sich selbst hat, bedeutet im Rahmen der Dies/Jenes Konditionalität zwei Dinge:

1. Da die vierte Art des kamma möglich ist, können wir unseren Wunsch nach uneingeschränktem Glück respektieren und brauchen es nicht als unrealistisches Ideal anzusehen.

2. Wegen der Wichtigkeit von Absicht und Aufmerksamkeit beim Gestalten unserer Erfahrungen, können wir unsere Fähigkeit respektieren, diejenigen Fertigkeiten zu entwickeln, die wir benötigen, um die kausale Realität zu meistern - bis hin zum Erreichen von vollkommenem Glück.

Aber der Respekt für sich selbst geht sogar noch weiter. Nicht nur können wir unseren Wunsch nach wahrem Glück und der Fähigkeit, es zu erreichen, respektieren. Wir müssen diese Dinge respektieren, wenn wir nicht unter den Bann der vielen religiösen und säkularen Kräfte innerhalb der Gesellschaft fallen wollen, die uns in andere Richtungen ziehen wollen.

Obwohl die meisten religiösen Kulturen wahres Glück als Möglichkeit ansehen, so sehen sie vielfach menschliche Fähigkeiten als nicht in der Lage an, dies auch herbeizuführen. Im Großen und Ganzen verlagern sie ihre Hoffnungen auf Glück in höhere Kräfte. Und was säkulare Kulturen angeht: sie glauben gar nicht erst, dass unbeschränktes Glück überhaupt möglich ist. Sie lehren uns nach Formen des Glücks zu streben, die von Bedingungen abhängen. Sie sind blind den Begrenzungen gegenüber, die jedem Glück innewohnen, welches von Geld, Macht, Beziehungen, Eigentum oder einer sentimentalen Vorstellung von Gemeinschaft herrührt. Sie verhöhnen oft höhere Werte und lächeln, wenn religiöse Idole fallen oder wenn spirituell Übende zeigen, dass sie “irdene Füße” haben.

Diese säkularen Kräfte fördern unsere eigenen ungeeigneten Eigenschaften. Unsere Begierde, sämtliche leicht erhältliche Vergnügungen zu erlangen und unsere Ungeduld mit allen, die uns sagen wollen, dass wir zu Besserem fähig sind. Aber beide - sowohl die säkularen als auch die herkömmlichen religiösen Haltungen - lehren uns, die Kräfte unserer eigenen positiven Geisteszustände zu unterschätzen. Eigenschaften wie Achtsamkeit, Sammlung und Einsicht erscheinen nicht sehr bemerkenswert, wenn sie zunächst im Geist entstehen -- klein und zart, wie Ahornsetzlinge, die inmitten von Unkraut wachsen. Wenn wir nicht auf sie aufpassen oder ihnen keinen speziellen Respekt zukommen lassen, dann werden sie vom Unkraut umschlungen oder wir selbst werden sie mit unseren eigenen Füßen zertreten. Das Resultat davon ist, dass wir nie wissen werden, wie viel Schatten sie uns spenden könnten.

Wenn wir jedoch einen starken Respekt für unsere eigene Fähigkeit entwickeln, wahres Glück zu erreichen, dann werden zwei wichtige moralische Eigenschaften von unserem Geist Besitz ergreifen und sich nach unseren guten Eigenschaften umschauen: Eine Besorgnis aufgrund des Leides, welches wir erfahren, wenn wir nicht unser Bestes tun, um geschickte Mittel zu entwickeln. Und ein Gefühl der Scham bei dem Gedanken, dass wir auf etwas viel Unwesentlicheres abgezielt haben anstelle des höchstmöglichen Glücks. Scham mag als ein eigenartiges Anhängsel am Selbstrespekt erscheinen, aber wenn beide gesund sind, dann passen sie gut zusammen. Man benötigt Selbstrespekt, um zu erkennen, dass eine Handlungsweise unterhalb der eigenen Möglichkeiten liegt, und dass man sich schämen würde, wenn man ihr folgte. Man muss in der Lage sein, Scham für Fehler zu empfinden, um zu verhindern, dass Selbstrespekt sich in starrköpfigen Stolz verwandelt.

Und hier wird der zweite Aspekt des Respekts aktiv, nämlich der Respekt für das Kausalitätsprinzip. Die Dies/Jenes Kausalität ist kein freizügiger Prozess. Jedes ungeschickte “Dies” ist mit einem unangenehmen “Jenem” verbunden. Man kann diese Verbindung nicht verdrehen, um angenehme Resultate zu erreichen, oder gar seine eigenen Vorlieben benutzen, um einen maßgeschneiderten Pfad zur Erlösung von kausaler Erfahrung zu erreichen. Selbstrespekt muss also den Respekt für die Art und Weise mit einschließen, wie sich Ursachen und Wirkungen tatsächlich verhalten. Innerhalb der Tradition wird dieser Respekt durch jene Eigenschaft ausgedrückt, die der Buddha in seinen letzten Worten betonte: Achtsamkeit (im Sinne von Umsicht - Anm.d.Ü.). Achtsam zu sein bedeutet, dass man ein starkes Gespür dafür hat, dass man leiden wird, wenn man in seinen Intentionen unbedacht ist. Wenn man sich wirklich selbst liebt, dann muss man sehr genau hinschauen, auf welche Weise unsere Realität funktioniert, und natürlich dementsprechend handeln. Nicht alles was man denkt oder fühlt ist es wert, respektiert zu werden. Sogar der Buddha selbst hatte nicht den Buddhismus oder das Prinzip der Dies/Jenes Bedingtheit entworfen. Er hat sie entdeckt. Anstatt die Realität anhand seiner Vorlieben zu betrachten, hat er seine Vorlieben neu arrangiert, um das Meiste aus dem zu ziehen, was er durch gewissenhaftes und ehrliches Beobachten seiner Handlungen und ihrer realen Wirkungen gelernt hatte.

Dieser Punkt wird in der Lehrrede an die Kalamer (AN 3.65). ) reflektiert. Obwohl diese Lehrrede oft als unbeschränkte Vollmacht des Buddha benutzt wird, um den eigenen Vorstellungen von richtig und falsch zu folgen, sagt sie etwas davon grundauf Verschiedenes: Folge nicht einfach Traditionen, aber folge auch nicht einfach deinen eigenen Vorlieben. Wenn du aber durch das Beobachten deiner eigenen Handlungen und ihrer Resultate siehst, dass, wenn man einem gewissen Geisteszustand nachgeht, dich dieser zu Schaden und Leid führt, dann solltest du ihn fallenlassen und dir vornehmen, ihm nie wieder nachzugehen. Dies ist ein sehr rigoroser Wertmesser, welcher verlangt, dass man den Dhamma vor seine eigenen erdachten Vorlieben stellt. Und es erfordert ebenfalls, dass man sehr sorgfältig jede Tendenz beobachtet, diese Priorität wieder umzudrehen um stattdessen seine Vorlieben vorn anzustellen.

Mit anderen Worten, man kann sich nicht einfach im Genuss ergehen oder dem Schmerz widerstehen, der von den eigenen Handlungen herrührt. Man muss von angenehmen Dingen und Schmerz gleichermaßen lernen können. Sogar ihnen Respekt erweisen als Ereignisse innerhalb einer kausalen Kette, um herauszufinden, was sie einem lehren wollen. Deshalb nannte der Buddha dukkha (Schmerz, Stress und Leiden) eine edle Wahrheit - und die Freude, die von einem gesammelten Geist ausgeht, ebenfalls eine edle Wahrheit. Diese Aspekte der unmittelbaren Erfahrung enthalten Lektionen, die den Geist zu den edlen Errungenschaften führen können.

Die Lehrrede an die Kalamer endet jedoch nicht mit der unmittelbaren Erfahrung. Sie geht darüber hinaus und sagt, dass, wenn man die Prozesse von Ursache und Wirkung innerhalb seiner Handlungen beobachtet, man gleichfalls diese Beobachtungen mit den Lehren der weisen Menschen bestätigen soll. Dieser dritte Aspekt des Respekts, der Respekt für die Einsichten von Anderen, basiert ebenfalls auf dem Muster der Dies/Jenes Bedingtheit. Weil nämlich Ursachen manchmal von ihren Wirkungen durch gigantische Zeiträume getrennt sind, geraten einige der wichtigen Verbindungen leicht außer Sichtweite. Gleichzeitig ist Verblendung diejenige mentale Eigenschaft, welche als Haupthindernis für unsere Erkenntnis agiert und sich am schwierigsten ausmachen lässt. Wenn man verblendet ist, weiß man nicht, dass man verblendet ist. Deshalb gilt es als weises Vorgehen, wenn man den Einsichten anderer Menschen Respekt zollt für den Fall, dass ihre Einsichten uns helfen mögen, unsere eigene Unwissenheit zu durchschauen. Denn letztendlich sind Intention und Aufmerksamkeit in ihrem Gewahrsein ebenfalls unmittelbar gegenwärtig. Ihre Einsicht mag genau das darstellen, was wir brauchen, um die Hindernisse zu beseitigen, die wir uns selbst durch unsere eigene Ignoranz geschaffen haben.

Die buddhistischen Lehren in Bezug auf Respekt für andere Leute deuten in zwei Richtungen. Die erste Richtung ist offensichtlich: Respekt für diejenigen, die auf dem Pfad weiter vorangekommen sind als wir. Wie der Buddha es einst ausdrückte, dass nämlich die Freundschaft mit bewundernswerten Menschen das Ganze des heiligen Wandels ausmache, denn ihre Worte und Beispiele werden uns helfen, auf den Weg der Befreiung zu kommen. Das bedeutet nicht, dass man notwendigerweise ihren Lehren gehorchen oder sie ohne Nachdenken akzeptieren soll. Man ist es sich quasi selbst schuldig, dass man ihnen respektvoll zuhört und ihren Belehrungen einem ernsthaften Versuch aussetzt. Gerade dann sogar, wenn ihr Ratschlag unangenehm ist, sollte man ihn mit Respekt behandeln. Wie es im Dhammapada 76 heißt:

Betrachte denjenigen als jemanden,
der dich auf einen Schatz hinweist:
Nämlich der Weise, 
der - deine Fehler erkennend -
dich darauf aufmerksam macht.
Suche die Gemeinschaft mit solchen Menschen,
denn wer mit einem Weisen solchen Kalibers verweilt, 
für den werden sich die Dinge besser entwickeln
anstatt schlechter.

Wenn man denjenigen Respekt zollt, die den Pfad gemeistert haben, dann erweist man gleichzeitig den Eigenschaften Respekt, die man in sich selbst entwickeln möchte. Und wenn solche Leute sehen, dass man die guten Eigenschaften sowohl in ihnen als auch in sich selbst respektiert, dann fühlen sie sich eher motiviert, ihre Weisheit zu teilen und sind sehr bedacht darauf, nur das Beste davon zu geben. Aus diesem Grund wird in der buddhistischen Tradition nicht nur viel Wert auf das Empfinden von Respekt gelegt, sondern auch auf dessen Ausdrucksmöglichkeiten. Wenn man sich nicht dazu bringen kann, anderen Respekt zu zeigen, sodass sie es auch erkennen können, dann befindet sich ein Element des Widerstands im Geist. Jene wiederum werden Zweifel bekommen, ob man auch wirklich willens ist zu lernen. Aus diesem Grund wird in der klösterlichen Disziplin so viel Wert auf eine ausgeübte Etikette des Respekts gegenüber Lehrern und Seniormitgliedern des Ordens gelegt.

Jedoch geht die Lehre über den Respekt auch noch in eine andere Richtung. Buddhistischen Mönchen und Nonnen ist es nicht gestattet, auch nur irgend jemandem einen Mangel an Respekt zu zeigen, der oder die sie kritisiert, völlig unabhängig davon ob diese Person erleuchtet ist oder nicht, oder ob die Kritik wohl begründet ist. Kritiker dieser Art mögen vielleicht nicht den Grad an Respekt verdienen, der Lehrern gebührt, aber sie verdienen eine angemessene Entgegnung. Und dies ist so, weil - wie oben erwähnt - die Muster von Ursache und Wirkung im Gewahrsein von allen Beteiligten gegenwärtig sind, und sogar unerleuchtete Menschen mögen wertvolle Teilstücke der Wahrheit beobachtet haben. Wenn man sich gegenüber Kritik öffnet, dann kann man unter Umständen einige lohnenswerte Erkenntnisse hören, die eine Wand aus Widerstand stattdessen zurückgestoßen hätte. Die buddhistische Literatur - von frühester Zeit bis zur Gegenwart - ist voller Geschichten über Leute, die das Erwachen erreichten, nachdem sie ein zufälliges Wort oder einen Vers eines Liedes unbekannten Ursprungs hörten. Eine Person mit der rechten Haltung des Respekts kann von allem lernen. Die Fähigkeit, es gut zu nutzen, was immer es auch sei, ist das Kennzeichen wahrer Urteilskraft.

Die vielleicht heikelste Fertigkeit im Rahmen des Respekts liegt wohl darin, deren drei Aspekte ausgewogen zu halten: Für sich selbst, für die Wahrheit der Kausalität und für die Einsichten anderer Menschen. Diese Ausgewogenheit ist natürlich essentiell für jede Fertigkeit. Wenn man z.B. ein Töpfer werden möchte, dann muss man nicht nur von seinem Lehrer lernen, sondern auch von den eigenen Handlungen, der Beobachtungskraft und dem Ton selbst. Dann muss man alle Faktoren miteinander abwiegen, um das Handwerk zu beherrschen. Wenn auf dem buddhistischen Pfad unser Selbstrespekt gegenüber dem Respekt für die Wahrheit der Kausalität oder der Einsicht von anderen überwiegt, dann werden wir es schwierig finden, Kritik anzunehmen oder über unsere eigene Dummheit zu lachen. Dies wird es für uns unmöglich machen, etwas zu lernen. Wenn allerdings auf der anderen Seite unser Respekt für die Lehrer unseren Selbstrespekt und unseren Respekt für die Wahrheit übertrifft, dann öffnet man sich irgendwelchen Scharlatanen und verschließt sich gegenüber der Wahrheit, von dem der Kanon sagt, “dass sie von Weisen selbst erkannt werden soll”.

Die Parallele zwischen der Rolle des Respekts in buddhistischen Praktiken und handwerklichen Fertigkeiten erklärt, warum viele buddhistische Lehrer von ihren Schülern verlangen, dass sie als Vorbedingung oder als Teil ihrer Meditation zunächst ein Handwerk meistern. Eine Person ohne handwerkliche Fertigkeiten wird wenig intuitives Verstehen dafür haben, wie man Respekt sorgfältig abwägt. Was natürlich die Fertigkeiten des Buddha von anderen unterscheidet, ist der Grad an vollständiger Freiheit als deren Resultat. Und der Unterschied zwischen dieser Freiheit und seiner Alternative - endlosen Runden des Leids von Geburt zu Geburt und Tod zu Tod - ist so extrem, dass wir leicht verstehen können, warum Menschen, die sich dem Streben nach dieser Freiheit völlig verschrieben haben, ihm einen Grad an Verehrung und Respekt zollen, der ebenfalls extrem ist. Sogar noch verständlicher ist der absolute Grad an Respekt und Verehrung für diese Freiheit, der von denen gezeigt wird, die sie verwirklicht haben. Sie verbeugen sich all ihren inneren und äußeren Lehrern gegenüber mit einer inbrünstigen Dankbarkeit, die direkt aus dem Herzen kommt. Solche Menschen sich auf diese Art verbeugen zu sehen, ist ein inspirierender Anblick.

Wenn also buddhistische Eltern ihren Kindern nahelegen, Buddha, Dhamma und Sangha Respekt zu erweisen, dann bringen sie ihnen keine Gewohnheit bei, die später wieder verlernt werden soll. Natürlich muss das Kind lernen, auf welche Weise es diesen Respekt am besten verstehen und benutzen kann. Aber wenigstens haben die Eltern dabei geholfen, dass sich für ihr Kind eine Tür öffnet, damit sie von ihrer eigenen Beobachtungskraft, von der Wahrheit und von den Einsichten anderer lernen können. Und wenn diese Tür - wenn Herz und Geist - sich gegenüber dem öffnet, was wahrlich Respekt verdient, dann können alle edlen und guten Dinge hereinkommen.