„Wer keine Scham kennt“
[§A]Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf
einen Großkaufmann, der an der Grenze lebte, einen Freund des Anāthapindika.
[§D]Die beiden Begebenheiten sind schon im ersten Buche im letzten Jātaka des
neunten Vagga [1] erzählt worden.
[§B]Hier aber sprach der Großkaufmann von Benares [2], als ihm gemeldet worden war, dass die Leute des an der Grenze wohnenden
Großkaufmanns ihre Habe verloren hätten und nach Verlust ihres Eigentums davon
gelaufen seien, Folgendes: „Wer denen, die zu ihm kommen, nicht die schuldigen
Dienste erweist, findet auch niemand, der ihm einen Gegendienst erweist.“ Nach
diesen Worten sprach er folgende Strophen:
[§1]
„Wer keine Scham kennt und voll Überdruss
dir nur mit Worten sagt: ‘Ich bin dein Freund’,
doch keine Werke dementsprechend tut,
der wird nicht anerkannt als wahrer Freund.
[§2]
Nur was du tun willst, das versprich;
versprich nicht, was du nicht tun würdest.
Wer immer spricht und doch nichts tut,
den lernen bald die Weisen kennen.
[§3]
Nicht der ist Freund, der immer unablässig
an Freundschaftsbruch denkt und nur Fehler sieht;
doch wer uns trägt wie einen Sohn im Herzen,
der ist ein Freund, von andern nicht zerstörbar
[4]
[§4]
Ein Tun, das Freude nur verursacht,
ein Glück, das lauter Lob verschafft,
ein hohes Ziel erreichet der,
der trägt des Menschen Freundschaftsjoch.
[§5]
Doch wer der Einsamkeit Entzücken
gekostet, wer die Lust beruhigt,
ist frei von Leiden, frei von Übel
und er genießt der Wahrheit Wonne.“
— Dhp 205
Nach diesen Worten verlor das große Wesen die Lust am Verkehr mit bösen
Freunden; und indem er in der Einsamkeit lebte, gelangte er zum Gipfel der
Predigt [6] und brachte diejenigen, welche auf
ihn hörten, zum unsterblichen großen Nirvana.
[§C]Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, verband er das
Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war ich der Großkaufmann von Benares.“
Ende der Erzählung von der Scham
Anmerkungen:
- 1.
- Dies ist das 90.
Jātaka. Im Jātaka-Buche sind immer je 10 Erzählungen in ein „vagga“,
Kapitel, zusammengefasst. Weil aber diese Einteilung eine rein Äußerliche ist,
wurde sie bei der Übersetzung niemals beachtet.
- 2.
- Diese Stelle bekleidet der Bodhisattva
in dem genannten Jātaka.
- 3.
- Dies ist zugleich die zweite Strophe
des Jātaka 320.
- 4.
- Vgl. die fünfte Strophe des
Jātaka 361.
- 6.
- D. h. er gelangte zur Vollkommenheit in
der Verkündigung der Wahrheit.