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Samsara geteilt durch Null
von
Thanissaro Bhikkhu
Übersetzung ins Deutsche von: (Info)
Laien für ZzE
Alternative Übersetzung: noch keine vorhanden
Alternative Formate: [book icon] Ein Druckversion finden sie in dem Buch: Das Karma von Fragen.

Vom Ziel der buddhistischen Praxis, Nibbana, sagt man, es sei vollkommen unverursacht, und genau hier liegt ein Paradox. Wenn das Ziel unverursacht ist, wie kann ein Weg der Praxis — welcher kausal seiner Natur nach ist — es hervorbringen? Dies ist eine sehr alte Frage. Der Milinda-pañha, eine Sammlung von Dialogen, die um die Anfangszeit unserer Zeitrechnung zusammengestellt wurde, erzählt von einem Austausch, wo König Milinda einen Mönch, Nagasena, mit genau dieser Frage herausfordert. Nagasena antwortet mit einer Analogie. Der Pfad der Praxis verursacht nicht Nibbana, sagt er. Er führt dich einfach dort hin, genauso wie eine Straße zu einem Berg nicht die Existenz des Berges hervorbringt, sondern dich einfach dort hin führt, wo er ist.

Nagasenas Antwort, wenn auch treffend, löste nicht wirklich das Problem innerhalb der buddhistischen Tradition. Über die Jahre haben viele Schulen der Meditation gelehrt, dass mentale Gestaltungen einfach einem Ziel im Weg stehen, das unverursacht oder unfabriziert ist. Nur dadurch, überhaupt nichts zu tun und daher nichts im Geist zu fabrizieren, sagen sie, wird das Unfabrizierte hervorscheinen.

Diese Sichtweise basiert auf einem sehr vereinfachten Verständnis fabrizierter Realität, nämlich Kausalität als linear und vollkommen vorhersagbar zu betrachten: X verursacht Y, welches Z verursacht, und so weiter, ohne Effekte, die sich umdrehen, um wiederum ihre Ursachen zu beeinflussen, und ohne einen möglichen Weg, Kausalität zu nutzen, um dem kausalen Netzwerk zu entkommen. Wie auch immer, eines der vielen Dinge, die der Buddha im Zuge seines Erwachens entdeckte, war, dass Kausalität nicht linear ist. Die Erfahrung der Gegenwart wird sowohl von den Handlungen in der Gegenwart als auch von den Handlungen in der Vergangenheit beeinflusst. Handlungen in der Gegenwarten gestalten sowohl die Gegenwart auch die Zukunft. Die Resultate vergangener und gegenwärtiger Handlungen interagieren kontinuierlich miteinander. Daher ist immer Platz für neue Eingaben ins System, welches dem freien Willen Handlungsraum gibt. Da ist auch Platz für die vielen Feedback-Schleifen, die die Erfahrung so überaus komplex machen, und die so verblüffend in der Chaostheorie beschrieben werden. Realität gleicht nicht einer einfachen Linie oder einem Kreis. Sie ist eher zu vergleichen mit den bizarren Trajektorien eines Seltsamen Attraktors oder einer Mandelbrotmenge.

Weil es viele Ähnlichkeiten zwischen Chaostheorie und buddhistischen Erklärungen der Kausalität gibt, scheint es legitim, diese Ähnlichkeiten zu erkunden, um zu sehen, welches Licht Chaostheorie auf das Problem werfen kann, wie ein kausaler Pfad der Praxis zu einem unverursachten Ziel führen kann. Das soll nicht bedeuten, Buddhismus mit Chaostheorie zu vergleichen, oder sich in Pseudo-Wissenschaft zu ergehen. Es ist einfach eine Suche nach Gleichnissen, um einen offenbaren Konflikt in den Lehren Buddhas aufzuklären.

Und es ergibt sich so, dass eine der Entdeckungen nicht-linearer Mathematik — die Grundlage für Chaostheorie — Licht auf genau dieses Problem wirft. Im 19. Jahrhundert entdeckte der französische Mathematiker Jules-Henri Poincaré, dass es in jedem komplexen physikalischen System gewisse Punkte gibt, die er Resonanzen nannte. Wenn die Kräfte, die das System beherrschen als mathematische Gleichungen beschrieben werden, sind die Resonanzen die Punkte, in denen die Gleichungen sich in solch einer Weise überschneiden, dass eine von ihnen durch Null geteilt wird. Dies produziert natürlich ein undefiniertes Ergebnis, was bedeutet, dass, wenn ein Objekt innerhalb des Systems in einen Resonanzpunkt wandert, es nicht mehr länger durch das kausale Netzwerk definiert wäre, welches das System bestimmt. Es wäre freigesetzt.

In der tatsächlichen Praxis ist es sehr selten für ein Objekt, einen Resonanzpunkt zu treffen. Die Gleichungen, die die Punkte in unmittelbarer Umgebung eines Resonanzpunktes beschreiben, tendieren dazu, jedes sich näherende Objekt davon weg zu stoßen, dass es in die Resonanz eintreten könnte, es sei denn, das Objekt befindet sich auf einem präzisen Pfad direkt ins Herz der Resonanz. Trotzdem erfordert es nicht allzu hohe Komplexität, Resonanzen zu erzeugen — Poincaré entdeckte sie, während er die gravitative Wechselwirkung zwischen drei Körpern berechnete: der Erde, der Sonne und dem Mond. Je komplexer das System, desto größer die Zahl der Resonanzen, und umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass Objekte darauf treffen werden. Es ist kein Wunder, dass Meteoren auf großer Skala und Elektronen auf kleinerer Größenordnung gelegentlich genau in eine Resonanz eines gravitativen oder elektromagnetischen Feldes wandern, und damit in die Freiheit der vollkommenen Unvorhersagbarkeit. Dies ist der Grund, warum Meteoren manchmal das Sonnensystem verlassen, und warum dein Computer gelegentlich ohne offenkundigen Grund einfriert. Es ist auch der Grund, warum eines Tages seltsame Dinge mit dem Schlag deines Herzens passieren könnten.

Wenn wir diese Analogie auf den buddhistischen Pfad anwenden, ist das System, in dem wir uns befinden, Samsara, die Runde der Wiedergeburt. Seine Resonanzen wären, was die Texte "Nicht-Gestaltung" nennen, die Öffnung zum Unverursachten: Nibbana. Die Wand der Widerstandskräfte um die Resonanzen entsprächen Schmerz, Stress und Anhaftung. Dir zu erlauben, von Stress abgestoßen oder von Anhaftung abgelenkt zu werden, ganz gleich, wie subtil, wäre wie das Annähern an eine Resonanz und das darauffolgende Abschweifen in einen anderen Teil des Systems. Aber direkt die Analyse von Stress und Anhaftung in den Fokus zu stellen und ihre Ursache zu dekonstruieren, wäre, wie eine unabgelenkte Trajektorie geradewegs in die Resonanz zu betreten und totale undefinierte Freiheit zu finden.

Dies ist natürlich, einfach eine Analogie. Aber es eine fruchtvolle Analogie, um zu zeigen, dass da nichts unlogisches daran ist, aktiv die Prozesse mentaler Fabrikation und Kausalität zu meistern, um über Fabrikation hinaus zu gelangen, jenseits von Ursache und Wirkung. Gleichzeitig gibt es einen Hinweis darauf, warum ein Pfad der absoluten Nichthandlung nicht zum Unfabrizierten führen würde. Wenn du einfach innerhalb des Systems der Kausalität still sitzt, wird du niemals den Resonanzen nahe kommen, wo wahre Nichtgestaltung liegt. Du wirst fortsetzen, in Samsara umher zu treiben. Aber wenn du Stress und Anhaftung anvisierst und daran arbeitest, sie auseinanderzunehmen, wirst du in der Lage sein, zu dem Punkt durchzubrechen, wo der gegenwärtige Moment im Geist durch Null geteilt wird.

Siehe auch: "Samsara," von Thanissaro Bhikkhu.