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Metta bedeutet Wohlwollen
von
Thanissaro Bhikkhu
Übersetzung ins Deutsche von: (Info)
jb für ZzE
Alternative Übersetzung: noch keine vorhanden
Eine überarbeitete Version des Aufsatzes, ist im Buch: 'Über alle Richtungen hinaus' (2013) zu finden.
Alternative Formate: [PDF icon]

Ajaan Fuang – mein Lehrer, entdeckte einst, das eine Schlange in sein Zimmer gekrochen war. Jedes Mal, wenn er den Raum betrat, sah er wie sie sich an einen versteckten Platz hinter einem Kasten schlängelte. Selbst die Idee die Türe tagsüber offen zu lassen, brachte die Schlange nicht dazu, das Zimmer zu verlassen. So lebten sie für drei Tage miteinander. Er war sehr vorsichtig durch seine Anwesenheit die Schlange nicht zu erschrecken oder ihr das Gefühl der Bedrohung zu vermitteln. Am Abend des dritten Tages, als er in Meditation saß, wandte er sich jedoch still in seinem Geist an die Schlange. Er sagte: „Sieh, es ist nicht, dass ich dich nicht mag. Ich habe keinerlei schlechten Gefühle dir gegenüber. Aber unser Geist ist verschieden und dadurch könne schnell ein Missverständnis zwischen uns beiden entstehen. Nun, da ist genügend Platz in den Wäldern, wo du ohne dem Unbehagen wie du es mit mir gerade hast, leben kannst.“ Und als er dort sitzend Gedanken von Metta gegenüber der Schlange ausströmte, verschwand die Schlange.

Als Ajaan Fuang mir die Geschichte zum ersten Mal erzählte, hielt ich inne und überdachte mein Verständnis von Metta. Metta ist ein Wunsch für Glück – wahres Glück – , und Buddha hielt an diesen Wunsch für einen selbst und für alle anderen zu entwickeln: "Mit Metta für das gesamte Universum, kultiviere ein grenzenloses Herz" (Snp 1.8) Was ist jedoch die emotionale Qualität, die mit dem Wunsch einhergeht? Viele Leute definieren Metta als „liebevolle Güte“ und fügen dem ein Verlangen hinzu, für andere da zu sein: sie in Ehren zu halten, sie mit Innigkeit zu versorgen, verpflegen und beschützen. Die Idee für alle Liebe zu empfinden klingt sehr nobel und emotional zufriedenstellend, aber wenn du wirklich an alle Lebenwesen in diesem Universum zu denken beginnst, sind da viele von ihnen, die – wie die Schlange – mit Argwohn und Angst auf deine liebevolle Güte reagieren würden. Anstelle sich nach deiner Liebe zu sehnen, würden sie lieber alleine gelassen werden. Andere mögen versuchen einen unfairen Vorteil aus deiner liebevollen Güte zu ziehen, weil sie es vielleicht als ein Zeichen von Schwäche oder als Einverständnis für ihr Vorhaben sehen. In keinem dieser Fälle würde deine liebevolle Güte irgend jemanden zu wahrem Glück führen. Du bist mit dem Zweifel, ob Buddhas Lehren über allumfassendes Metta wirklich realistisch oder weise sind, zurückgelassen.

Aber wie ich von Ajaan Fuangs Begegnung mit der Schlange lernte, ist Metta nicht notwendigerweise eine Haltung von liebevoller Güte. Es ist mehr eine Haltung von Wohlwollen anderen Personen zu wünschen, daß es ihnen gut geht, jedoch zugleich ein Einsehen, daß wahres Glück etwas ist, daß jeder von uns stets für sich selbst herausfinden muß, und es manchmal viel leichter wäre getrennte Wege zu gehen.

Dieses Verständnis von Metta kommt in erster Linie durch das Wort per se im Pailkanon auf. Pali selbst hat ein anderes Wort für Liebe – Pema – wohingegen Metta mit dem Wort Mitta, (Freund) verwandt ist. Allumfassendes Metta ist Freundlichkeit/Güte für alle. Die Tatsache, daß diese Güte mit Wohlwollen gleichgestellt ist, zeigt sich in den vier Passagen im Kanon, wo Buddha Redewendungen empfiehlt, die man im Geist aufrecht erhalten sollte um Gedanken von Metta zu entwickeln. Diese Redewendungen beinhalten eine klare Anleitungen und nicht nur eine emotionale Qualität, die Metta zugrunde liegt. Sie tragen auch zum Verständnis des Glücks bei und erklären warum es weise und realistisch ist, Metta für alle zu entwickeln.

Der erste Abschnitt der Redewendungen enthält eine Passage in der Buddha empfiehlt sich gegen Gedanken von Übelwollen zu stellen. Diese Redewendung wird täglich in allen Theravada Gemeinden der Welt rezitiert:

Mögen diese Wesen – frei von Feindseeligkeit, frei von Unterdrückung, und frei von Last – mit Leichtigkeit auf sich selbst achten.

AN 10.176

Beachte die letzte Bemerkung: „Mögen sie mit Leichtigkeit auf sich selbst achten.“ Du sagst hier nicht, daß du zu jeder Zeit für alle Wesen da bist. Und die meisten Wesen wären glücklicher zu wissen, daß sie sich auf sich selber stützen können, als von dir abhängig zu sein. Ich hörte einmal einen Dharma Lehrer sagen, daß er nicht gerne in einer Welt ohne Leiden leben würde, denn dann wäre es ihm nicht möglich sein Mitgefühl auszudrücken, welches, wenn man dann darüber nachdenkt, ein extrem selbstsüchtiger Wunsch ist. Er braucht andere, leidende Personen, damit er sein Mitgefühl besser ausdrücken kann? Eine bessere Haltung wäre: „Mögen alle Wesen glücklich sein. Mögen es allen möglich sein, mit Leichtigkeit auf sich selbst zu achten.“ In dieser Form können sie das Glück der Unabhängigkeit und des Selbstvertrauens haben.

inen anderer Abschnitt von Metta-Redewendungen findet man im Karaniya Metta Sutta. Sie beginnen mit dem einfachen Wunsch für Glück:

Glücklich, ruhend, mögen alle Wesen im Herzen glücklich sein, Welch Wesen da immer sein mag, schwach oder stark, ohne Ausnahme, lange, groß, durchschnittlich, kurz, schleichend, offenkundig, gesehen und ungesehen, nahe oder fern, geboren oder nach Geburt trachtend: Mögen alle Wesen im Herzen glücklich sein.

Dann aber folgt ein Wunsch, daß alle Wesen von den Ursachen, die sie unglücklich machen, Abstand nehmen sollen:

Lasse niemanden einen anderen täuschen oder irgend jemand irgendwo verachten oder mit Hass oder Widerstand anderen Leiden wünschen.

Snp 1.8

Im Wiederholen dieser Redewendungen wünscht man nicht nur, daß alle Wesen Glück, sondern auch, dass sie davon abhalten mögen Taten zu setzen die zu schlechtem Karma - zu deren eigenem Unglück - führen. Du bemerkst, daß Glück von Taten abhängt: Damit Leute wahres Glück finden, müssen sie die Ursachen von Glück verstehen und auch demnach handeln. Du mußt weiters verstehen, daß wahres Glück ohne Verletzen ist. Wenn es von etwas abhängt, daß andere verletzt, wird es nicht lange halten. Jene, die verletzt wurden, werden mit Sicherheit alles tun um dieses Glück zu zerstören. Und dann ist da die reine Qualität von Anteilnahme: Wenn du jemanden leiden siehst, ist dies schmerzvoll. Wenn du nur ein bißchen Einfühlsvermögen hast, ist es schwer glücklich zu sein, wenn du weißt, daß dein Glück Leiden für andere bewirkt.

Nun nochmals, wenn du Wohlwollen ausdrückst, heißt das nicht, daß du für sie zu jeder Zeit da bist. Du wünscht, daß die Wesen klüger werden um wahres Glück zu finden und für sich selbst da sind.

Das Karaniya Metta Sutta führt weiters aus, daß, wenn du diese Haltung entwickelst, du diese in selber Weise schützen möchtest, wie eine Mutter ihr einziges Kind beschützen würde.

Wie eine Mutter ihre Leben einsetzen würde Um ihr Kind zu schützen, ihr einziges Kind, In gleicher Weise kultiviere einer ein grenzenloses Herz gegenüber alle Wesen.

Manche Personen missverstehen diesen Abschnitt - tatsächlich übersetzen es viele Übersetzer falsch – in dem Gedanken, daß Buddha uns erklärt, wir sollen uns allen Lebenwesen in selber Weise hingeben wie eine Mutter sich ihrem einzigen Kind hingeben würde. Aber das ist in Wahrheit nicht das, was er damit sagt. Um darauf einzugehen, erwähnt er das Wort „sich hingeben“ in keiner Weise. Und anstelle einer Parallele zwischen „das einzige Kind zu schützen“ und „alle andere Lebenwesen zu beschützen“ zu ziehen, zieht er eine Paralelle zwischen „das Kind Beschützen“ und „unser Wohlwollen zu schützen (kultivieren)“. Dies passt auch zu den anderen Lehren des Kanons. Nirgendwo erklärt er Leuten ihr Leben wegzuwerfen um jede Greueltat und Ungerechtigkeit in dieser Welt abzuhalten, aber er ermutigt seine Anhänger gewillt zu sein, selbst ihr Leben für ihre Tugendregeln aufzugeben:

So wie der Ozean stabil ist und nicht die Gezeitenlinie übersteigt, in selber Weise übersteigen meine Schüler – selbst für den Preis ihres Lebens – nicht die Trainingsregeln, die ich für sie formuliert habe.

Ud 5.5

Dieser Vers enthält eine ähnliche Stimmung: Du sollst dem Kultivieren und Schützen deines Wohlwollens zugeneigt sein, um sicher zu gehen, daß deine tugendhaften Absichten nicht ins Schwanken kommen. Dies machst du, weil du niemanden verletzen möchtest. Verletzen kann dir sehr leicht passieren, wenn da ein Fehler in deinem Wohlwollen ist, daher unternehme was immer du kannst um diese Haltung stets zu beschützen.

Das ist der Grund warum Buddha gegen Ende des Suttas sagt, daß man entschlossen sein soll diese Form des Bewußtsein zu üben: Im Geist zu behalten, um sicher zu gehen, daß dies stets die Absicht in all unserem Tun stützt, ist das Bewußtsein allen Wesen Glück zu wünschen. Darum hat Buddha auch ganz explizit empfohlen, in Situationen in denen dies sehr wichtig und ganz besonders schwierig ist, Gedanken von Metta zu kultivieren um eine geschickte Absicht zu erhalten. Und zwar, wenn andere dich verletzen, und wenn du bemerkst, daß du andere verletzt hast.

Wenn dich andere mit ihren Worten oder Taten verletzen – „Selbst wenn Banditen dabei sind dich wie wild in Teile zu schneiden, Glied für Glied, mit einer Doppelgriffsäge“ – empfahl Buddha den Geist in dieser Weise zu trainieren:

Unser Geist wird unangetastet bleiben und wir werden kein böses Wort verlieren. Wir werden verständnisvoll bleiben, mit einem Geist von Wohlwollen und keinem inneren Haß. Wir werden dabei bleiben diese Leute mit einem von Wohlwollen getränktem Bewusstsein zu durchdringen und damit beginnend, setzen wir fort die allumfassende Welt mit einem Bewusstsein getränkt in Wohlwollen zu durchdringen – überströmend, ausdehnend, unmessbar, frei von Feindseligkeit, frei von Übelwollen.

MN 21

Dies ausführend sagte Buddha, formst du deinen Geist so ausgedehnt wie den Ganges oder so groß wie die Erde; mit anderen Wortern, größer als die Verletzungen, die diese Leute tun könnten oder drohen dir anzutun. Er selbst verkörperte diese Lehre als Devadatta nach seinem Leben trachtete. „Ich lege mich in Sympathie gegenüber allen Wesen nieder“ (SN 4.13), wie er zu Mara meinte, der kam um über ihn zu spotten, während er sich von einer schmerzvollen Verletzung ausrastete. Wenn du diese befreite Haltung in deinem Geist im Angesicht großen Schmerzes aufrecht erhalten kannst, wird dir das Verletzen, daß dir andere antun können, nicht überwältigend erscheinen und du bist weniger dazu geneigt in ungeschickter Weise zu reagieren. Du stellst damit Schutz für beide, dich selbst und für den anderen, gegen ungeschickte Handlungen bereit, denen du in anderer Weise zugeneigt wärst.

Für die Gelegenheiten, in denen du merkst, daß du andere verletzt hast, empfahl Buddha zu verstehen, daß Gewissenbisse die Verletzung nicht rückgängig machen. Wenn eine Entschuldigung angebracht ist, entschuldigst du dich. In jedem Fall beschließt man die verletzende Tat nicht nochmals zu tun. Danach sendest du Gedanken von Wohlwollen in alle Richtungen aus.

Dies bewältigt mehrere Dinge. Es erinnert dich an deine eigene Güte, sodaß du nicht in eine Verteidigung deines Selbstbildes kommst, du zu einer Art Verleugnung zurückfällst, die verweigert zu erkennen, daß irgendeine Verletzung begangen wurde. Es stärkt deine Entscheidung daran festzuhalten, daß du entschlossen bist nicht zu verletzen. Und es drängt dich dazu, deine Handlungen zu untersuchen um deren wirkliche Auswirkung zu sehen: Wenn eine deiner anderen Gewohnheiten verletzend ist, möchtest du diese beenden bevor diese weitere Verletzungen verursachen. Mit anderen Worten, möchtest du nicht, dass dein Wohlwollen nur eine ungefestigte, dahinschwimmende Idee ist. Du wünscht es penibelst auf das Wesentliche in all deinen Interaktionen mit anderen anzuwenden.

In dieser Weise wird dein Wohlwollen ehrlich. Und es hat auch einen Einfluss, welches der Grund ist, warum wir von Beginn an diese Haltung entwickeln: um sicher zu gehen, daß es in dir wirklich Gedanken, Wörter und Taten in einer Weise anregt, die zu Glück und Nichtverletzen aller führen.

Zuletzt ist da ein Abschnitt, in dem der Buddha den Mönchen eine Rezitation, die Wohlwollen für alle Schlangen und anderen schleichenden Wesen verbreitet, lehrt. Die Geschichte erzählt, daß ein im Wald meditierender Mönch von einer Schlange gebissen wurde und starb. Die Mönche teilten dieses dem Buddha mit, und dieser erwiderte wenn der Mönch Wohlwollen gegenüber allen vier großen Familien von Schlangen verbreitet hätte, die Schlange ihn nicht gebissen hätte. Danach lehrte Buddha eine schützende Rezitation, die nicht nur Metta gegenüber den Schlangen, sondern auch gegenüber allen anderen Wesen ausdrückt.

Ich habe Wohlwollen für fußlose Wesen Wohlwollen für zweibeinige Wesen, Wohlwollen für vierbeinige Wesen, Wohlwollen für vielfüßige Wesen. Mögen fußlose Wesen mir keine Verletzung antun. Mögen zweibeinige Wesen mir keine Verletzung antun. Mögen vierbeinige Wesen mir keine Verletzung antun. Mögen vielfüßige Wesen mir keine Verletzung antun. Mögen alle Kreaturen, alles Lebende, alle Wesen, jedes einzelne und alle zusammen mit guter Fügnung zusammentreffen. Möge keines von ihnen Schlechtes erfahren. Grenzenlos ist der Buddha, genzenlos ist das Dhamma, grenzenlos ist die Sangha. Es gibt Grenzen für kriechende Kreaturen: Schlangen, Skorpione, Tausendfüssler, Spinnen, Echsen und Ratten. Ich habe diese Absicherung gemacht, Ich habe diesen Schutz gemacht. Mögen die Wesen sich zurückziehen.

AN 4.67

Die letzte Bemerkung dieser Darstellung von Metta gibt Anlaß zur Erwägung der Wahrheit, daß das Zusammenleben oft schwierig ist, speziell zwischen Wesen verschiedener Gattungen, die einander verletzen können, und die glücklichste Methode, die allen gerecht wird (meist nicht verletzend) ist getrennt zu leben.

Diese unterschiedlichen Wege Metta darzustellen zeigen, daß Metta nicht notwendigerweise die Qualität von liebvoller Güte hat. Metta ist aus zwei Gründen besser als ein Gedanke von Wohlwollen zu betrachten. Der erste ist, daß Wohlwollen eine innere Haltung ist, die man ausdrücken kann ohne Sorge, heuchlerisch und unrealistisch zu sein. Man erkennt, daß Leute nicht wirklich durch Fürsorge wahres Glück finden, sondern vielmehr durch ihre eigenen geschickten Handlungen, und das Glück aufgrund von Eigenständigkeit größer ist, als jenes, das aus Abhängigkeit erwächst.

Der zweite Grund ist, daß Wohlwollen eine geschicktere Haltung gegenüber jenen ist, die deiner liebevollen Güte gegenüber misstrauisch sind oder daraus einen Nutzen ziehen wollen. Möglicherweise sind da Leute, die du in der Vergangenheit verletzt hast, und die lieber nie wieder etwas mit dir zu tun haben wollen. So wäre die Intimität von liebevoller Güte eher eine Quelle des Schmerzes als die der Freude für sie. Auch gibt es Leute, die, wenn sie bemerken, daß du liebevolle Gute ausdrückst, schnell davon Nutzen ziehen würden. Weiters sind da draussen zahlreiche Tiere, die sich durch jede Art des Ausdruckes von Liebe durch einen Menschen bedroht fühlen würden. In diesem Fall würde ein distanzierterer Sinn von Wohlwollen, das du dir selbst versprichst niemals diese Leute oder diese Wesen zu verletzen, besser für jeden Beteiligten sein.

Das bedeutet nicht, daß liebevolle Güte niemals eine angemessene Ausdrucksweise von Wohlwollen ist. Du mußt einfach nur wissen, wann es angebracht ist und wann nicht. Wenn du wirklich Metta für dich selbst und andere fühlst, kannst du nicht einem Verlangen nach warmen Gefühlen von Liebe und Innigkeit zulassen dich unsensibel gegenüber dem zu machen, was nun wiklich ein geschickter Weg ist um wahres Glück für alle zu fördern.