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Was versteht man unter Theravada?
Übersetzung ins Deutsche von: (Info)
Laien für ZzE
Alternative Übersetzung: noch keine vorhanden

Theravada, die "Doktrin der Ältesten", ist die Schule des Buddhismus, die ihre schriftenmäßige Inspiration aus dem Tipitaka oder Pali-Kanon zieht, welcher, wie Gelehrte im Allgemeinen übereinstimmen, die frühesten überlebenden Aufzeichnungen der Lehren Buddhas enthält.[1] Für viele Jahrhunderte war Theravada die vorherrschende Religion des kontinentalen Südostasien (Thailand, Myanmar/Burma, Kambodscha und Laos) und Sri Lanka. Heute beträgt die Zahl der Theravada-Buddhisten weltweit mehr als 100 Millionen.[2] In den vergangenen Jahrzehnten hat Theravada begonnen, in der westlichen Welt Fuß zu fassen.

Viele Buddhismen, ein Dhamma-vinaya

Der Buddha — der "Erwachte" — nannte die Religion, die er gründete, Dhamma-vinaya — "die Doktrin und Disziplin" Um eine soziale Struktur unterstützend für die Praxis von Dhamma-vinaya zu ermöglichen (oder Dhamma in Kurzform [Sanskrit: Dharma]), und um diese Lehren für die Nachwelt zu erhalten, schuf der Buddha den Gemeinschaften der Bhikkhus (Monks) und Bhikkhunis (Nonnen) — die Sangha — welche bis heute fortsetzen, seine Lehren für folgende Generationen von Laien und monastisch Lebende weiter zu geben.

Als das Dhamma nach dem Ableben des Buddha seine Verbreitung über Indien fortsetzte, kamen unterschiedliche Interpretationen der ursprünglichen Lehren auf, welche zu Spaltungen innerhalb der Sangha und bis zu achtzehn verschiedenen Sekten des Buddhismus führten.[3] Eine dieser Schulen gab Anlass zu einer Reformbewegung, die sich selbst Mahayana (das "Größere Fahrzeug")[4] nannte, und auf die anderen Schulen abwertend als Hinayana (das "Geringere Fahrzeug") herabblickte. Was wir heute Theravada nennen, ist der alleinige Überlebende jener frühen Nicht-Mahayana-Schulen.[5] Um den urteilnden Ton zu vermeiden, der durch die Begriffe Mahayana und Hinayana impliziert wird, ist es heute üblich, neutralere Ausdrücke zu verwenden, um zwischen diesen zwei Hauptzweigen des Buddhismus zu unterscheiden. Weil Theravada historisch Südostasien dominierte, wird es manchmal "Südlicher" Buddhismus genannt, während Mahayana, welches sich nordwärts von Indien nach China, Tibet, Japan und Korea verbreitete, als "Nördlicher" Buddhismus bezeichnet wird.[6]

Pali: Die Sprache des Theravada-Buddhismus

Die Sprache der kanonischen Texte des Theravada ist Pali (wörtlich "Text"), welches auf einem mittel-indo-arischen Dialekt basiert, der wahrscheinlich in Zentralindien während der Zeit des Buddha gesprochen wurde.[7] Der Ehrw. Ananda, der Cousin des Buddha und enger persönlicher Begleiter, prägte sich die Lehrreden (Suttas) des Buddha ins Gedächtnis ein und wurde daher der lebende Aufbewahrungsbehälter dieser Lehren.[8] Kurz nach dem Tod Buddhas (ca. 480 v.u.Z.) versammelten sich fünfhundert oder die ältesten der Mönche — einschließlich Ananda — um alle Lehrreden, die sie während der 45 Jahre andauernden Lehrkarriere des Buddha gehört hatten, zu rezitieren, verifizieren und abzugleichen.[9] Die meisten dieser Sermone beginnen daher mit dem Hinweis: "Evam me sutam" — "So habe ich es vernommen."

Nach dem Tode des Buddha wurden die Lehren weiterhin mündlich innerhalb der monastischen Gemeinschaft weitergegeben, im Einklang mit einer indischen Tradition der mündlichen Überlieferung, die dem Buddha um lange Zeit voraus existierte.[10] Um 250 v.u.Z. hatte die Sangha systematisch diese Lehren zusammengestellt und in den drei Divisionen geteilt: der Vinaya Pitaka (der "Korb der Disziplin" — die Texte betreffend die Regeln und Gepflogenheiten der Sangha), der Sutta Pitaka (der "Korb der Lehrreden" — die Lehrreden und Aussprüche des Buddha und seiner nahen Schüler), und das Abhidhamma Pitaka (der "Korb der speziellen/höheren Lehre" — eine detaillierte psycho-philosophische Analyse des Dhamma). Insgesamt sind diese drei als der Tipitaka bekannt, der "Drei-Korb" (oder auch "die drei Körbe"). Im dritten Jahrhundert v.u.Z. begannen Sri-Lankanische Mönche, eine Reihe von ausgedehnten Kommentaren zum Tipitaka zusammenzustellen; diese wurden darauf folgend zusammen gesammelt und mit Beginn im fünften Jahrhundert n.u.Z. ins Pali übersetzt. Der Tipitaka zusammen mit den post-kanonischen Texten (Kommentaren, Chroniken, usw.) konstituiert den vollständigen Körper der klassischen Theravada-Literatur.

Pali war ursprünglich eine gesprochene Sprache ohne ein eigenes Alphabet. Es war nicht bis etwa 100 v.u.Z., dass der Tipitaka erstmals durch sri-lankanische schriftgelehrte Mönche in schriftlich festgehalten wurde,[11] die das Pali phonetisch in eine Form von früher Brahmi-Schrift brachten.[12] Seit diesem Zeitpunkt wurde das Tipitaka in viele verschiedene Schriften (Devanagari, Thai, Burmesisch, Römisch, Kyrillisch, um nur einige zu nennen) übertragen. Obwohl englische Übersetzungen der meisten populären Texte aus dem Tipitaka reich an der Zahl sind, finden viele Schüler des Theravada, dass das Erlernen der Pali-Sprache — selbst nur ein wenig hier und dort — ihr Verständnis und ihre Anerkennung für die Lehren Buddhas stark vertieft.

Niemand kann beweisen, dass der Tipitaka irgendwelche der Worte enthält, die tatsächlich vom historischen Buddha geäußert wurden. Praktizierende Buddhisten haben dies nie problematisch gefunden. Anders als die heiligen Schriften vieler anderer der großen Weltreligionen wird der Tipitaka nicht als eine unangreifbare Behauptung göttlicher Wahrheit aufgefasst, die von einem Propheten offenbart wurde und nur aufgrund von Glauben zu akzeptieren ist. Statt sind seine Lehren zuallererst dazu beabsichtigt, überprüft zu werden, in die Praxis im eigenen Leben umgesetzt, so dass man für sich selbst herausfinden kann, ob sie in der Tat die versprochenen Resultate hervor bringen. Es ist die Wahrheit, auf die die Worte im Tipitaka zeigen, die letztlich Ausschlag gebend ist, nicht die Worte selbst. Obwohl Gelehrte fortsetzen werden, die Autorschaft von Passagen des Tipitaka bis auf lange Jahre in die Zukunft hinaus zu debattieren (und so am Sinn dieser Lehren gänzlich vorbeigehen), wird der Tipitaka still fortsetzen, — wie es für Jahrhunderte der Fall war — als ein unabdinglicher Anleiter für Millionen Anhänger in ihrem Bestreben nach Erwachen zu dienen.

Eine kurze Zusammenfassung der Lehren des Buddha

Die Vier Edlen Wahrheiten

Kurz nach seinem Erwachen, gab der Buddha seine erste Lehrrede, in welcher er das grundlegende Rahmenwerk darlegte, auf welchem all seine späteren Lehren aufbauen. Dieses Rahmenwerk besteht in den Vier Edlen Wahrheiten, vier fundamentale Prinzipien der Natur (Dhamma), die aus dem radikal ehrlichen und durchdringenden Untersuchung der Conditio humana. Er lehrte diese Wahrheiten nicht als metaphysische Theorien oder als Artikel des Glaubens, sondern als Rahmen, um unsere eigene Erfahrung dazu in Bezug zu setzen, in einer Weise, die dem Erwachen förderlich ist:

  1. Dukkha: Leiden, Unzulänglichkeit, Unzufriedenheit, Stress;
  2. Die Ursache für Dukkha: die Ursache dieser Unzufriedenheit ist Begierde/Verlangen (tanha) nach Sinnlichkeit, nach Zuständen des Werdens und Zuständen des Nichtwerdens;
  3. Die Auflösung von Dukkha: die Abtretung dieses Verlangens;
  4. Der Pfad der Praxis, der zur Auflösung von Dukkha führt der Edle Achtfache Pfad von Rechter Ansicht, Rechtem Entschluss, Rechter Sprache, Rechter Handlung, Rechter Lebensführung, Rechter Anstrengung, Rechter Achtsamkeit und Rechter Konzentration.

Aufgrund unserer Unwissenheit (avijja) von diesen Edlen Wahrheiten, aufgrund unserer Unerfahrenheit darin, die Welt in deren Begriffen zu erfassen, bleiben wir gebunden an Samsara, den beschwerlichen Kreislauf von Geburt,, Altern, Krankheit, Tod und Wiedergeburt. Begierde treibt diesen Prozess, von einem Moment zum nächsten, im Einklang mit Kamma (Skt. karma), dem universellen Gesetz von Ursache und Wirkung, und durch den Kurs von endlosen aufeinander folgenden Lebenszeiten, voran. Entsprechend dieses unveränderlichen Gesetzes, wird jede Tat, die man im gegenwärtigen Moment ausführt — ob durch den Körper, die Sprache oder den Geist selbst — schließlich eine Frucht entsprechend ihres Geschicks hervorbringen: Handlungen in ungeschickter und schädlicher Weise, und Unglück wird unvermeidlich folgen; Handlungen in geschickter und heilsamer Weise, und Glück wird sich natürlich ergeben.[13] Solange man unwissend gegenüber diesem Prinzip bleibt, ist man in einer ziellosen Existenz verloren: glücklich im einen Moment, verzweifelt im nächsten; ein Leben im Himmel genießend, das nächste in der Hölle.

Der Buddha erkannte, dass es zur Befreiung von Samsara erforderlich ist, jeder der Edlen Wahrheiten mit einer spezifischen Aufgabe in Verbindung zu setzen: die erste Edle Wahrheit (Dukkha) muss verstanden werden; die zweite (die Ursache für Dukkha), aufgegeben; die dritte (die Auflösung von Dukkha), verwirklicht; die vierte (der Pfad der Praxis zur Auflösung von Dukkha) entwickelt. Die volle Verwirklichung der dritten Edlen Wahrheit bahnt den Weg für das Erwachen: das Ende von Unwissenheit, Begierde, Leiden und Kamma selbst; das direkte Durchdringen zur überwindenden Freiheit und unübertrefflichem Glück, welches als das letztgültige Ziel aller Lehren des Buddha feststeht; das Unbedingte, das Todlose, die Ungebundenheit — Nibbana (Skt. Nirvana).

Der Achtfache Pfad und die Praxis des Dhamma

Weil die Wurzeln der Unwissenheit so eng mit den Fasern der Psyche verwoben ist, ist der unerwachte Geist in der Lage, sich selbst mit atemberaubender Genialität zu betrügen. Die Lösung benötigt daher mehr als bloß freundlich, liebevoll und achtsam im gegenwärtigen Moment zu sein. Der Übende muss sich mit in der Fähigkeit bewähren, eine Reihe von Werkzeugen zu verwenden, um die ungeschickten Tendenzen des Geistes zu überflügeln, geduldig entgegenzustehen, und sie schließlich zu entwurzeln. Zum Beispiel untergräbt die Übung in Großzügigkeit (Dana) die gewohnheitsmäßigen Tendenzen des Herzen zur Begierde und gibt uns wertvolle Lehren über die Motive hinter und die Resultate von geschickter Handlung. Die Praxis von Tugend (Sila) schützt davor, wild vom Kurs und auf schädliche Wege abzugleiten. Die Kultivierung von Wohlwollen (Metta) hilft, der verführerischen Lust aufgekommenen Zorns den Nährboden zu nehmen. Die Zehn Rückerinnerungen bieten Wege, Zweifel aufzulösen, physische Schmerzen mit Gefasstheit zu erdulden, einen gesunden Sinn des Selbstwertgefühls aufrecht zu erhalten, Faulheit und Selbstzufriedenheit zu überwinden und unsere ungezügelte Lust zurück zu halten. Und da sind noch viele weitere Geschicke zu lernen.

Die guten Eigenschaften, die aus diesen Praktiken entspringen und reifen, ebnen nicht nur den Weg für die Reise in Richtung Nibbana; mit der Zeit wandelt ihr Effekt den Übenden in einen großzügigeren, liebevolleren, mitfühlsameren, friedvolleren und aufgeweckteren Teilnehmer der Gesellschaft. Die aufrichtige Verfolgung des Erwachens ist daher ein unbezahlbares und stets zeitgerechtes Geschenk an die Welt.

Einsicht (pañña)

Der Achtfache Pfad wird am besten als eine Sammlung persönlicher Qualitäten verstanden, die zu entfalten sind, statt als eine Sequenz von Schritten entlang einer linearen Leiter. Die Entwicklung von rechter Ansicht und rechtem Entschluss (die Faktoren, die klassisch mit Weisheit und Einsicht in Verbindung gebracht werden) erleichtern die Entwicklung von rechter Sprache, Handlung und Lebensführung (die Faktoren, die mit Tugend in Bezug gesetzt werden). Während sich Tugend entwickelt, tun dies auch die Faktoren, die mit Konzentration (rechte Anstrengung, Achtsamkeit und Konzentration) zu tun haben. Ebenso vertieft sich, während Konzentration zur Reife gelangt, Einsicht auf eine noch tiefere Ebene. Und so entfaltet sich der Prozess: Entwicklung des einen Faktors begünstigt Entwicklung des nächsten, was den Übenden in eine Aufwärtsspirale der spirituellen Reifung leitet, welche im Erwachen gipfelt.

Die lange Reise zum Erwachen beginnt im Ernst mit den ersten zögerlichen Rührungen von rechter Ansicht — die Einsicht, aufgrund derer man die Gültigkeit der vier Edlen Wahrheiten und des Prinzips von Kamma erkennt. Man beginnt, zu sehen, dass das eigene zukünftige Wohlergehen weder durch Schicksal vorherbestimmt ist, noch den Launen eines göttlichen Wesens oder Willkür und Zufall ausgeliefert ist. Die Verantwortlichkeit für das eigene Glück und Leid ruht genau auf den eigenen Schultern. Dies erkennend, werden die eigenen spirituellen Ziele plötzlich klar: die gewohnheitsmäßigen ungeschickten Tendenzen des Geistes zum Wohle von geschickten aufzugeben. Während der rechte Entschluss sich festigt, so tut dies auch das Bestreben danach, ein moralisch aufrichtiges Leben zu führen und seine Handlungen mit bedacht zu wählen.

An diesem Punkt nehmen viele Anhänger die innere Festlegung auf sich, sich die Lehren des Buddha zu Herzen zu nehmen, "Buddhisten" zu werden durch diesen Akt der Zufluchtnahme in den Drei Juwelen: dem Buddha (sowohl dem historischen Buddha wie auch im eigenen innewohnenden Potential, das Erwachen zu erlangen), dem Dhamma (sowohl den Lehren des Buddha als auch der ultimativen Wahrheit, auf die sie zeigen), und der Sangha (sowohl der ungebrochenen monastischen Übertragungslinie, welche die Lehren seit den Tagen des Buddha erhalten hat, als auch all jenen, die wenigstens einen gewissen Grad des Erwachens erreicht haben). Mit den eigenen Füßen in dieser Weise fest auf sicherer Erde stehend, und mit der Hilfe eines edlen Freundes oder Lehrers (kalyanamitta) um einen auf dem Weg zu leiten, ist man nun gut ausgestattet, um entlang des Pfades voran zu schreiten und den Fußpuren, die der Buddha hinterlassen hat, selbst zu folgen.

Tugend (sila)

Rechte Ansicht und rechter Entschluss reifen immer weiter mit der Entwicklung der Pfadfaktoren, die mit Sila, oder Tugend verbunden sind — nämlich, rechte Sprache, rechte Handlung und rechte Lebensführung. Diese können in sehr praktischer Weise in den fünf Tugendregeln zusammengefasst werden, dem grundlegenden Kodex ethischen Verhaltens, denen sich jeder praktizierende Buddhist unterzieht: Abstehen vom Töten, Stehlen, sexuellem Fehlverhalten, Lügen und Verwendung von Rauschmitteln. Selbst die komplizierten Regelwerke der 227 Regeln der Mönche und der 311 Regeln der Nonnen haben letztendlich diese fünf Regeln als ihren Kern.

Konzentration (samadhi)

Sicherheit in der Reinigung seines äußeren Verhaltens durch die Praxis von Sila erlangt, ist das Grundwerk gelegt, um in den subtilsten und transformativsten Aspekt des Pfades vorzudringen: Meditation und die Entwicklung von Samadhi, oder Konzentration. Dies wird im Detail in den letzten drei Pfadfaktoren aufgeschlüsselt: rechte Anstrengung, durch welche man lernt, geschickten Qualitäten des Geistes vor ungeschickten den Vortritt zu lassen; Rechte Achtsamkeit, durch welche man lernt, die Aufmerksamkeit kontinuierlich im gegenwärtigen Moment der Erfahrung begründet zu halten; und Rechte Konzentration, durch welche man lernt, den Geist so gründlich und unerschütterlich in sein Meditationsobjekt zu vertiefen, dass er in Jhana eintritt, eine Serie schrittweiser tiefer werdender Zustände mentaler und physischer Stille.

Rechte Achtsamkeit und Rechte Konzentration werden im Verbund entwickelt durch Satipatthana ("Rahmen der Bezugnahme" oder "Grundlagen der Achtsamkeit"), ein systematischer Ansatz zur Meditationspraxis, der eine breite Palette von Geschicken und Techniken umfasst. Von diesen Praktiken ist Achtsamkeit auf den Körper (insbesondere Achtsamkeit auf den Atem) besonders effektiv darin, ein Gleichgewicht zwischen den Zwillingsqualitäten Stille (samatha) und Einsicht (vipassana), oder Klarsicht, herzustellen. Durch beharrliche Praxis, wird der Meditierende erfahrener darin, die kombinierten Kräfte von samatha-vipassana in einer Untersuchung der zugrundeliegenden Natur von Geist und Körper zum Tragen zu bringen.[14] Während der Meditierende die Fähigkeit meistert, seine unmittelbare Erfahrung in Begriffen von anicca (Unbeständigkeit), dukkha und anatta (Nicht-Selbst) zu erkennen, werden selbst die subtilsten Manifestationen dieser drei Wesensmerkmale der Erfahrung in einschneidend scharfem Fokus sichtbar. Zur selben Zeit Zeit wird die Grundursache von Dukkha — Verlangen/Begierde — schonungslos ans Licht des Gewahrseins gebracht. Schließlich bleibt der Begierde kein Versteck mehr übrig, der gesamte karmische Prozess, der Dukkha fabriziret enträtselt sich, der achtfache Pfad erreicht seinen erhabenen Höhepunkt, und der Meditierende erlangt, zu guter Letzt, seinen oder ihren ersten unmissverständlichen Einblick in das Unbedingte — Nibbana.

Erwachen

Diese Erleuchtungserfahrung, bekannt als Strom-Eintritt (sotapatti), ist die erste von fünf aufeinander bauenden Stufen des Erwachens, von welchen jede ein unumkehrbares Ablegen oder Schwächen von einer Reihe von Fesseln (samyojana) mit sich bringt, den Manifestationen von Unwissenheit, die eine Person an den Kreislauf von Geburt und Tod binden. Stromeintritt markiert einen noch nie dagewesenen und radikalen Wendepunkt, sowohl im gegenwärtigen Leben des Praktizierenden als auch in seiner unerdenklich langen Reise durch Samsara. Denn es ist an diesem Punkt, dass jeder bestehende Zweifel über die Wahrheit der Lehren des Buddha verschwindet; es ist an diesem Punkt, dass jeder Glaube in die reinigende Effektivität aller Riten und Rituale sich in Luft auflöst; und es ist an diesem Punkt, dass die lange geliebte Illusion eines bleibenden persönlichen "Selbst" beiseite fällt. Der Stromeingetretene, so wird gesagt, ist versichert, nicht mehr als sieben weitere Wiedergeburten durchzumachen (alle von ihnen vorteilhaft), bevor er schließlich das volle Erwachen erlangt.

Aber das volle Erwachen ist immer noch eine weite Strecke entfernt. Während der Praktizierende mit erneuertem Eifer voran strebt, passiert er zwei weitere bedeutende Grenzsteine: Einmalwiederkehr (sakadagati), welche von der Schwächung der Fesseln sinnlicher Begirde und Böswilligkeit gezeichnet ist, und Nichtwiederkehr (agati), bei welcher diese zwei Fesseln gänzlich und für immer entwurzelt sind. Die letzte Stufe des Erwachens — arahatta — geschieht, wenn selbst die feinsten und subtilsten Ebenen von Begierde und Einbildung unwiderbringlich ausgelöscht sind. An diesem Punkt erreicht der Praktizierende — nun ein Arahant oder "Würdiger" — den Endpunkt der Lehren des Buddha. Mit Unwissenheit, Leid, Stress und Wiedergeburt alle zu ihrem Ende gebracht, kann der Arahant schließlich den Siegesausruf machen, den der Buddha bei seinem Erwachen verkündete:

"Geburt ist beendet, das heilige Leben erfüllt, die Aufgabe getan! Da ist nichts weiteres um dieser Welt willen."

MN 36

Der Arahant lebt den Rest seines Lebens innerlich die Glückseligkeit von Nibbana genießend, gesichert zu guter Letzt vor der Möglichkeit jeglicher künftiger Wiedergeburt. Wenn die äonen-lange Spur des Arahants vergangenen Kamma sich schließlich zu ihrem Ende entwickelt, stirbt der Arahant und er oder sie tritt ins Parinibbana ein — die vollständige Ungebundenheit. Obwohl Sprache völlig versagt, dieses außerordentliche Ereignis zu beschreiben, verglich der Buddha es damit, was passiert, wenn ein Feuer erlischt, wenn es all seinen Treibstoff verbrannt hat.

"Die ernsthafte Verfolgung von Glück"

Buddhismus wird manchmal naiv als "negative" oder "pessimistische" Religion und Philosophie kritisert. Mit Sicherheit ist Leben nicht ausschließlich Elend und Enttäuschung: es bietet viele Arten von Glück und erlesenen Freuden. Warum also diese düstere buddhistische Obsession mit Unzulänglichkeit und Leid?

Der Buddha gründete seine Leben auf einer ernsthaften und ehrlichen Auswertung unserer Notlage als Menschen: Es gibt Unzulänglichkeit und Leid in der Welt. Niemand kann diese Tatsache bestreiten. Dukkha lauert hinter selbst den höchsten Formen weltlichen Wohls und Glücks, denn früher oder später, so sicher wie die Nacht dem Tag folgt, muss dieses Glück zu einem Ende kommen. Würden die Lehren des Buddha hier aufhören, könnten wir sie in der Tat als pessimistisch auffassen und das Leben als äußerst hoffnungslos. Aber, wie ein Arzt, der ein Gegenmittel für eine Krankheit verschreibt, bietet der Buddha sowohl Hoffnung (die dritte Edle Wahrheit) wie auch eine Kur (die vierte). Die Lehren Buddhas geben daher in Anlass zu beispiellosem Optimismus und Freude. Die Lehren bieten als ihren Lohn die edelste, wahrste Art des Glücks, und geben tiefgründigen Wert und Bedeutung einer ansonsten grimmen Existenz. Ein moderner Lehrer fasste es gut zusammen: "Buddhismus ist die ernsthafte Verfolgung von Glück."

Theravada kommt nach Westen

Bis ins späte 19. Jahrhundert, waren die Lehren des Theravada außerhalb von Südasien wenig bekannt, wo sie für etwa zweieinhalb Jahrtausende ihre Blüten trugen. Im vergangenen Jahrhhundert hat der Westen allerdings begonnen, dem einzigartigen spirituellen Erbe des Theravada in dessen Lehren vom Erwachen beachtung zu schenken. In den jüngeren Jahrzehnten ist dieses Interesse gewachsen, mit der Schaffung von Dutzenden Klöstern durch die monastische Sangha verschiedener Schulen innerhalb des Theravada, verteilt über ganz Europa und Nordamerika. Wachsende Zahlen von Laien-Meditationszentren, unabhängig von der monastischen Sangha gegründet und geführt, strengen sich an, die Forderungen von Laienmännern und -Frauen — buddhistische und andere — welche ausgewählte Aspekte der Lehren des Buddha lernen möchten, zu erfüllen.

Das Hereinbrechen des 21. Jahrhunderts präsentiert sowohl Möglichkeiten wie auch Gefahren für den Theravada im Westen: Werden die Lehren des Buddha geduldig studiert und in die Praxis umgesetzt werden, und ihnen erlaubt werden, tiefe Wurzeln in westlicher Erde zu schlagen, zum Wohle vieler Generationen, die noch kommen? Wird das gegenwärtig populäre westliche Klima der "Offenheit" und gegenseitiger Befruchtung spiritueller Traditionen zum Aufkommen einer starken neuen Form der buddhistischen Praxis führen, die einzigartig für die moderne Ära ist, oder wird es einfach zu Verwirrung und der Verwässerung dieser preislosen Lehre führen? Dies sind offene Fragen; nur die Zeit wird es zeigen.

Spirituelle Lehren jeder Beschreibung überschwemmen die Medien und den Marktplatz. Viele der heutigen populären spirituellen Lehren leihen liberal beim Buddha, aber nur selten ordnen sie die Worte des Buddha in ihren wahren Kontext. Ernsthafte Sucher von Wahrheit sind daher oft mit der unappetitlichen Aufgabe konfrontiert, sich durch bruchstückhafte Lehren zweifelhafter Verlässlichkeit ihren Weg zu suchen. Wie sollen wir Sinn daraus herstellen?

Glücklicherweise hat uns der Buddha einige einfache Leitlinien an die Hand gegeben, um unseren Weg durch diese verwirrende Flut zu finden. Wann immer Sie sich die Authentizität einer bestimmten Lehre in Frage stellen finden, beachten Sie gut die Anweisungen des Buddha an seine Ziehmutter:

[Die Lehren, welche] die Qualitäten [fördern], von welchen du weißt, 'Diese Qualitäten führen zu Begierde, nicht zu Begierdelosigkeit; zur Fesselung, nicht zum Ungefesseltsein; zum Anhäufen, nicht zum Ablegen; zur Selbstvergrößerung, nicht zur Bescheidenheit; zur Unzufriedenheit, nicht zur Genügsamkeit; zur Verstrickung, nicht zur Abgeschiedenheit; zur Faulheit, nicht zu erweckter Beharrlichkeit; zur Belastung (anderer), nicht dazu, keine Last zu sein': Von diesen kannst du kategorisch sagen: 'Dies ist nicht das Dhamma, dies ist nicht die Vinaya, dies ist nicht die Anweisung des Lehrers.'

[Was die Lehren angeht, die] die Qualitäten [fördern], von welchen du weißt, 'Diese Qualitäten führen zur Begierdelosigkeit, nicht zur Begierde; zum Ungefesseltsein, nicht zur Fesselung; zum Ablegen, nicht zum Anhäufen; zur Bescheidenheit, nicht zur Selbstvergrößerung; zur Genügsamkeit, nicht zur Unzufriedenheit; zur Abgeschiedenheit, nicht zur Verstrickung; zu erweckter Beharrlichkeit, nicht zur Faulheit; dazu, keine Last zu sein, nicht zur Belastung (anderer)': Von diesen kannst du kategorisch sagen: Dies ist das Dhamma, dies ist die Vinaya, dies ist die Anweisung des Lehrers.'

AN 8.53

Die wahrste Probe dieser Lehren sind natürlich, ob sie die versprochenen Resultate in der Feuerprobe Ihres eigenen Herzen bringen. Der Buddha präsentiert die Herausforderung; der Rest ist Ihnen überlassen.

Anmerkungen

1.
Buddhist Religions: A Historical Introduction (fünfte Ausgabe) von R.H. Robinson, W.L. Johnson und Thanissaro Bhikkhu (Belmont, California: Wadsworth, 2005), S. 46.
2.
Diese Einschätzung basiert auf Daten, die im CIA World Factbook 2004 erscheinen. Südasiens größte Theravada-buddhistischen Populationen sind in Thailand (61 Millionen Theravadins), Myanmar (38 Millionen), Sri-Lanka (13 Millionen) und Kambodscha (12 million) zu finden.
3.
Buddhist Religions, S. 46.
4.
Mahayana schließt heute Zen, Ch'an, Nichiren, Tendai und "Reines-Land"-Buddhismus ein.
5.
Guide Through The Abhidhamma Pitaka von Nyanatiloka Mahathera (Kandy: Buddhist Publication Society, 1971), S. 60ff.
6.
Ein dritter größerer Zweig des Buddhismus entwickelte sich viel später (ca. im 8. Jahrhundert n.u.Z.) in Indien: Vajrayana, das "Diamant-Fahrzeug." Vajrayanas ausgeklügeltes System esoterischer Initiierungen, tantrischer Rituale und Mantrarezitationen verbreitete sich schließlich nach Norden in Zentral- und Ostasien, einen besonders starken Eindruck auf den Tibetischen Buddhismus hinterlassend. Siehe Buddhist Religions, S. 124ff. und Kapitel 11.
7.
Moderne Gelehrte vermuten, dass Pali wahrscheinlich vom Buddha selbst nie gesprochen wurde. In den Jahrhunderten nach dem Tod des Buddha, während der Buddhismus über Indien hinaus in Regionen unterschiedlicher Dialekte verbreitete, verließen sich buddhistische Mönche zunehmend auf eine gemeinsame Sprache für ihre Dhamma-Diskussionen und Rezitationen ins Gedächtnis eingeprägter Texte. Es war aufgrund dieses Umstandes, dass die Sprache, die wir nun als Pali kennen, sich entwickelte. Siehe Bhikkhu Bodhis Einführung in die Angereihten Lehrreden des Buddha (Walnut Creek, CA: Altamira Press, 1999), S. 1ff, und n. 1 (S. 275) und "The Pali Language and Literature" von der Pali Text Society (http://www.palitext.com/subpages/lan_lite.htm; 15 April 2002).
8.
Große Schüler des Buddha von Nyanaponika Thera und Hellmuth Hecker (Somerville: Wisdom Publications, 1997), S. 140, 150.
9.
Buddhist Religions, S. 48.
10.
Die Hindu-Vedas zum Beispiel sind mindestens um ein Jahrtausend älter als der Buddha (Buddhist Religions, S. 2).
11.
Buddhist Religions, S. 77.
12.
Anandajoti Bhikkhu, persönliche Kommunikation.
13.
See Dhp 1-2.
14.

Diese Beschreibung der vereinigten Rolle von Samatha und Vipassana basiert auf den Meditationsanweisungen des Buddha, wie sie in den Suttas präsentiert werden (siehe "Ein Werkzeug von Vielen" von Thanissaro Bhikkhu). Das Abhidhamma und die Kommentare im Gegensatz dazu sagen aus, dass Samatha und Vipassana zwei unterschiedliche Meditationspfade sind (siehe zum Beispiel Die Jhanas in der Meditation der Theravada-Tradition von H. Gunaratana, Kap. 5).

Es ist unmöglich, diese voneinander abweichenden Sichtweisen durch Studieren der Texte allein zu versöhnen; jegliche Zweifel über die Rollen von Samatha und Vipassana werden am besten gelöst durch die tatsächliche Praxis von Meditation.