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J 12
{Sutta: J i 152|J 012|J 012} {Vaṇṇanā: atta. J 012|atta. J 012}
Die Erzählung von der Nigrodha-Gazelle
012
Nigrodhamiga-Jataka (Nigrodhamigajātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

"Nur dem Nigrodha [1] folge du."

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die Mutter des Thera Prinz-Kassapa. Diese war die Tochter eines sehr reichen Großkaufmanns zu Rajagaha. Tief eingewurzelt war in ihr die Neigung zum Guten, die zusammengesetzten Dinge [2] verschmähte sie, dies war ihre letzte Existenz; wie eine Lampe im Innern eines Gefäßes, so brannte in ihrem Herzen ihre Fähigkeit zur Heiligkeit. Von der Zeit an, da sie Vernunft bekam, fand sie kein Gefallen am häuslichen Leben, sondern sie wollte die Welt verlassen; deshalb sprach sie zu ihren Eltern: „Mutter, Vater, mein Sinn erfreut sich nicht am Aufenthalt im Hause, ich möchte in der zur Seligkeit führenden Buddhalehre Nonne werden; lasst mich die Welt verlassen!“

Jene antworteten: „Liebe, was sprichst du? Diese deine Familie ist von großem Reichtum und du bist unsere einzige Tochter; du darfst nicht Nonne werden.“

Als sie immer von neuem bat und doch von ihren Eltern die Erlaubnis zum Ordensstande nicht erhielt, dachte sie: „Gut, ich will in die Familie eines Mannes übertreten, meinen Gatten dafür gewinnen und dann Nonne werden.“ Und als sie das Alter erreicht hatte, wurde sie eine ihren Gatten über alles verehrende Frau; und tugendhaft, mit den verschiedenen Schönheiten ausgerüstet wohnte sie in ihrem Hause. Da entstand infolge ihres Zusammenlebens in ihrem Leibe ein Embryo; sie aber merkte nicht, dass sie empfangen habe.

Nun rief man in dieser Stadt das Nakkhatta [3] aus und alle Bewohner der Stadt begingen festlich das Nakkhatta. Die Stadt war geschmückt und geziert wie eine Götterstadt. Jene aber parfümierte und schmückte Ihren Körper nicht, während doch das Nakkhatta sehr festlich begangen wurde, sondern ging einher wie gewöhnlich. Da sprach ihr Gatte zu ihr: „Teure, die ganze Stadt ist mit dem Nakkhatta beschäftigt, du aber verwendest keine Sorgfalt auf deinen Körper.“

[§0.1-0.10]

Darauf erwiderte sie: „Edler, mein Körper ist angefüllt mit den zweiunddreißig Leichenteilen [4]; was soll ich ihn schmücken? Denn dieser mein Körper ist nicht aus göttlichem Stoff, nicht aus Brahmastoff [5], nicht aus Gold, nicht aus Edelsteinen, nicht aus Sandelholz, nicht aus dem Schoße von weißem, gelbem oder blauem Lotos entstanden, sondern er ist aus den Leichenteilen zusammengesetzt, durch die Eltern erzeugt, er ist unbeständig und der Zerstörung, dem Verfall, der Vertilgung, der Vernichtung ausgesetzt. Eine Vermehrung der Leichenstätten ist er, den Lüsten ergeben, die Ursache der Betrübnis, der Gegenstand des Kummers, der Aufenthaltsort aller Krankheiten, der Behälter für die Dinge, die das Karma [6] hervorbringen, innerlich faul, äußerlich immer Ausscheidungen von sich gebend; die Wohnstätte für die Familien der Würmer, auf das Leichenhaus zusteuernd, den Tod zum Ende habend, so steht er der ganzen Welt vor Augen [7]. Sohn eines Edlen, was soll ich diesen meinen Körper schmücken? Ist nicht seine Schmückung, wie wenn man einen Topf voll von Exkrementen außen bunt bemalen würde?“

Als der Sohn des Großkaufmanns diese ihre Worte vernahm, sprach er: „Teure, wenn du so die Fehler dieses deines Körpers einsiehst, warum verlässt du dann nicht die Welt?“

Sie erwiderte: „Sohn eines Edeln, wenn ich die Erlaubnis dazu erhielte, würde ich heute noch Nonne werden.“ Der Großkaufmannssohn versetzte: „Gut, ich werde dich zur Nonne machen“; und er spendete ein großes Almosen, veranstaltete eine große Ehrung, brachte sie mit großem Gefolge zu der Wohnung der Nonnen und ließ sie bei den Nonnen, die zur Partei des Devadatta [8] gehörten, Nonne werden.

Als sie nun Nonne geworden war, war sie sehr fröhlich, da ihr Wunsch Erfüllung gefunden hatte. Doch in ihrem Leibe gelangte der Embryo zur Reife und die Nonnen, welche die Veränderung ihrer Organe, das Dickwerden der Hände, der Füße und des Rückens und die Größe ihres Leibumfangs sahen, fragten sie: „Edle, du siehst aus wie eine Schwangere; was ist dies?“

Sie erwiderte: „Edle, ich weiß nicht, woher dies kommt; das Gebot habe ich gehalten.“

Aber die Nonnen führten sie zu Devadatta hin und fragten Devadatta: „Edler, diese Tochter aus guter Familie hat mit Mühe ihren Gatten dafür gewonnen und die Erlaubnis zum Ordensstande erhalten. Jetzt aber merkt man an ihr eine Leibesfrucht und wir wissen nicht, ob sie dieselbe in ihrer Laienzeit oder in ihrer Nonnenzeit empfangen hat. Was sollen wir jetzt tun?“

Devadatta dachte, da er nicht erleuchtet war und keine Geduld, Freundlichkeit und Mitleid besaß, folgendermaßen: „Man wird sagen: ‘Eine Nonne von der Partei des Devadatta trägt ein Kind in ihrem Leib und Devadatta lässt sie gewähren’, und daraus wird ein Tadel für mich entstehen; es kommt mir zu, sie aus dem Orden zu entfernen [9].“ Und ohne zu überlegen, sprang er vor, wie wenn er eine steinerne Kugel werfen wollte, und sprach: „Gehet und entfernet sie aus dem Orden!“

Als sie seine Worte vernommen hatten, erhoben sie sich, grüßten ihn und begaben sich in ihre Wohnung. Doch die junge Frau sprach zu den Nonnen: „Edle, der Thera Devadatta ist nicht der Buddha und ich bin nicht bei ihm Nonne geworden, sondern bei dem völlig Erleuchteten, dem ersten Mann in der Welt. Bringt mein Leben im Orden, das ich so schwer erlangt, nicht zum Aufhören, sondern nehmt mich und gehet mit mir zum Meister nach dem Jetavana.“ Sie nahmen sie mit und legten von Rajagaha aus den 45 Yojanas [10] weiten Weg zurück; und sie gelangten allmählich nach dem Jetavana, begrüßten den Meister und teilten ihm die Sache mit.

Der Meister dachte: „Wenn diese auch noch in ihrer Laienzeit empfangen hat, so werden trotzdem die Andersgläubigen die Gelegenheit benützen und sagen: ‘Der Asket Gotama [11] nimmt eine von Devadatta fortgeschickte Nonne auf.’ Deshalb ziemt es sich, um diese Rede zu beseitigen, inmitten einer Versammlung, der auch der König beiwohnt, die Sache zu entscheiden.“ Und er ließ am nächsten Tage Pasenadi [12], den König von Kosala, den großen Anathapindika, den kleinen Anathapindika [13], die große Laienschwester Visakha [14] und andere angesehene Leute aus großer Familie kommen; und als sich am Abend die vier Gemeinden [15] versammelt hatten, sprach er zu dem Thera Upali: „Gehe und stelle inmitten der vierfachen Versammlung die Angelegenheit dieser jungen Nonne klar.“

„Gut, Herr“, versetzte der Thera, ging in die Mitte der Versammlung und setzte sich auf einem hergerichteten Sitz vor dem Könige nieder; dann rief er Visakha herbei und übertrug ihr die Angelegenheit mit den Worten: „Gehe, Visakha, suche der Wahrheit gemäß zu erfahren: ‘In dem und dem Monat, an dem und dem Tage ist sie Nonne geworden’, und erkenne daraus, ob sie ihr Kind vorher oder nachher empfangen hat.“ Die Laienschwester gab mit dem Worte: „Gut“, ihre Einwilligung zu erkennen; dann ließ sie ein Zelt aufschlagen, betrachtete im Innern des Zeltes die Ausdehnung der Hände, Füße, des Nabels und des Leibes der jungen Nonne und verglich Monat und Tag. Da erkannte sie der Wahrheit gemäß, dass die Empfängnis noch in ihrer Laienzeit erfolgt war; und sie ging zu dem Thera hin und teilte ihm die Sache mit. Der Thera aber erklärte inmitten der vierfachen Versammlung die Nonne für rein. Als sie nun gereinigt war, grüßte sie die Mönchsgemeinde und den Meister und begab sich mit den Nonnen nach ihrer Behausung.

Als aber ihre Leibesfrucht zur Reife gelangt war, gebar sie in Erfüllung dessen, was sie zu den Füßen des Padumuttara [16] erbeten hatte, einen großmächtigen Sohn. Nun hörte eines Tages der König, als er in der Nähe des Hauses der Nonnen ging, den Laut des Knaben und fragte seine Begleiter. Als seine Begleiter die Ursache davon erfahren hatten, sagten sie zum König: „Herr, diese junge Nonne hat einen Sohn geboren; von ihm kommt dieser Laut.“ Da sprach der König: „Für die Nonnen, sag ich, ist das Behüten eines Knaben eine Last; wir wollen ihn behüten.“ Und der König ließ den Knaben seinen Tänzerinnen übergeben und ihn mit der Sorgfalt, wie es sich für einen Prinzen gebührt, aufziehen. Am Tage der Namengebung erhielt er den Namen Kassapa. Weil er aber mit prinzlicher Ehrung aufgezogen wurde, nannte man ihn Prinz-Kassapa.

Als er sieben Jahre alt war, wurde er bei dem Meister Mönch; und als er das erforderliche Alter erreicht hatte, erhielt er die Weihe. Mit der Zeit aber wurde er unter den Erklärern der Lehre der deutlichste Erklärer. Da sprach der Meister: „Der beste, ihr Mönche, von meinen Schülern, die deutlich die Lehre erklären, ist dieser Prinz-Kassapa“, und er setzte ihn an ihre Spitze. Er erreichte später nach dem Vammika-Sutta [17] die Heiligkeit. Auch seine Mutter, die Nonne, gelangte zur übernatürlichen Einsicht und erreichte die höchste Frucht. Der Thera Prinz-Kassapa nun erglänzte in der Lehre der Buddhas wie der Vollmond mitten am Himmel. Da gab eines Tages der Vollendete nach dem Mahle, als er vom Almosengang zurückgekehrt war, den Mönchen die Ermahnung und ging dann in sein duftendes Gemach. Die Mönche nahmen die Ermahnung auf; und nachdem sie an den Orten, wo sie bei Nacht und bei Tage zu verweilen pflegten, einen Teil des Tages zugebracht hatten, versammelten sie sich zur Abendzeit in der Lehrhalle und setzten sich nieder, indem sie mit folgenden Worten die Vorzüge des Buddha priesen: „Freund, durch Devadatta wären infolge seines Mangels an Erleuchtung und infolge des Fehlens von Geduld, Freundlichkeit und Mitleid der Thera Prinz-Kassapa und die ehrwürdige Nonne fast zugrunde gerichtet worden, der völlig Erleuchtete aber ist infolge seiner Gerechtigkeit und seines Erfülltseins mit Geduld, Freundlichkeit und Mitleid für die beiden der Grund (ihres Heiles) geworden.“ Da kam der Meister mit Buddha-Anmut in die Lehrhalle, ließ sich auf einem hergerichteten Sitze nieder und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“

Sie erwiderten: „Herr, zur Erzählung deiner Vorzüge“, und berichteten ihm alles.

Darauf sprach Buddha: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, ist der Vollendete für diese beiden der Grund und die Zuflucht geworden, sondern auch früher war er es.“

Die Mönche baten den Erhabenen, ihnen dies bekannt zu machen. Und der Erhabene offenbarte die infolge einer früheren Existenz verborgene Begebenheit.

[§B]

Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva als eine Gazelle seine Wiedergeburt. Als er den Leib seiner Mutter verließ, war er goldfarbig, seine Augen waren Edelsteinkugeln ähnlich, seine Hörner silberfarbig, sein Mund von der Farbe eines Haufens roter Gewänder, die Spitzen seiner Hände und Füße waren wie von Lackarbeit gemacht, sein Schweif war wie der eines Yak [18], sein Körper aber war groß wie der eines Füllens. Er hatte seinen Aufenthalt im Walde, von fünfhundert Gazellen umgeben, und hieß der Nigrodha-Gazellenkönig. Nicht weit von ihm verweilte ein anderer Gazellenkönig, auch von fünfhundert Gazellen umgeben, namens Sakha [19]; auch dieser war goldfarbig.

Zu der Zeit war der König von Benares begierig auf die Gazellenjagd; ohne Fleisch speiste er nicht. Deshalb ließ er, indem er so die Leute in ihrer Beschäftigung störte, alle Städter und Landleute sich versammeln und ging täglich auf die Jagd. Die Leute dachten: „Dieser König stört uns in unsrer Beschäftigung. Wie, wenn wir nun im Parke einen Futterplatz anlegen, Wasser herbeiführen und so viele Gazellen in den Park hereinlocken, dann das Tor schließen und sie dem Könige übergeben würden?“ Und sie pflanzten in dem ganzen Parke Grasfutterplätze an, führten Wasser herbei und errichteten ein Tor; dann gingen sie mit den Städtern mit Hämmern und anderen Waffen in den Händen in den Wald und suchten nach den Gazellen. Da sie meinten, sie würden die Gazellen fangen, wenn sie sie in die Mitte nähmen, umstellten sie vollständig eine Stelle, die ein Yojana weit ausgedehnt war, und umstellten den Aufenthaltsort der Nigrodha-Gazelle und der Sakha-Gazelle, indem sie ihn in die Mitte nahmen. Als sie dann die Gazellenherde sahen, schlugen sie mit ihren Hämmern an die Bäume, Gebüsche und auf den Boden, trieben die Gazellenherde so von dem Orte aus, wo sie sie gefunden, zogen ihre Schwerter, Speere, Bogen und andere Waffen heraus, stießen ein lautes Geschrei aus und trieben so die Gazellenherde in den Park. Dann schlossen sie das Tor, begaben sich zum Könige und sprachen: „Herr, wenn Ihr beständig auf die Jagd geht, richtet Ihr unsre Arbeit zugrunde. Wir haben vom Walde die Gazellen geholt und Euren Park damit gefüllt; esset von jetzt an deren Fleisch.“

Und sie verabschiedeten sich vom König und entfernten sich. Als der König ihre Worte gehört hatte, begab er sich nach seinem Parke und sah hier die zwei goldfarbigen Gazellen, denen er Unverletzlichkeit gewährte. Von da an ging er manchmal selbst, erlegte eine Gazelle und nahm sie mit; manchmal kam sein Koch, erlegte eine und brachte sie fort. Wenn nun die Gazellen den Bogen sahen, liefen sie von Todesfurcht ergriffen davon; wenn sie dann zwei oder drei Wunden erhalten hatten, wurden sie matt und ganz schwach und starben. Dies berichtete die Gazellenherde dem Bodhisattva. Dieser ließ den Sakha zu sich rufen und sprach zu ihm: „Lieber, viele Gazellen gehen zugrunde. Da nun gestorben werden muss, sollen sie von jetzt an nicht mehr die Gazellen mit dem Pfeil erlegen, sondern es soll für den Platz am Richtblock [20] ein regelmäßiger Wechsel stattfinden. An einem Tage soll die Reihenfolge meine Schar treffen, am andern Tage deine Schar; die Gazelle aber, die das Los trifft, soll ihren Kopf auf den Richtblock niederbeugen und sich hinlegen. Auf diese Weise werden die anderen Gazellen nicht verwundet werden.“ Jener gab mit dem Worte: „Gut“, seine Einwilligung. Von da an ging die Gazelle, die das Los traf, zu dem Richtblock hin, beugte den Nacken darauf und legte sich nieder. Dann kam der Koch und nahm die dort liegende mit sich.

Da traf eines Tages das Los eine schwangere Gazelle aus der Schar des Sakha. Sie ging zu Sakha hin und sprach: „Herr, ich bin trächtig; wenn ich einen Sohn geboren habe, werden zwei Personen zur Losung gehen; lass das Los an mir vorübergehen!“ Er aber erwiderte: „Es geht nicht an, dein Los anderen zuteil werden zu lassen. Du wirst wissen, was dir bestimmt ist; deshalb gehe.“ Als sie nun bei diesem keine Gewährung fand, ging sie zum Bodhisattva hin und erzählte ihm die Sache. Als dieser ihre Worte vernommen hatte, sagte er: „Gut, gehe du, ich will das Los an dir vorübergehen lassen“; und er ging selbst hin, beugte sein Haupt auf den Richtblock und legte sich hin. Als ihn der Koch bemerkte, dachte er: „Der Gazellenkönig, der Schonung erlangt hat, liegt am Richtblock; was ist daran schuld?“; und er ging rasch zum Könige und teilte es ihm mit. Der König bestieg sogleich seinen Wagen und kam mit großem Gefolge. Als er den Bodhisattva sah, sprach er: „Lieber Gazellenkönig, habe ich dir nicht Schonung gewährt; warum liegst du da?“

Der Bodhisattva erwiderte: „O Großkönig, eine trächtige Gazelle kam zu mir und sprach: ‘Lasse mein Los einen andern treffen.’ Ich kann aber nicht das Todesleid auf einen andern übertragen; deshalb gab ich selbst für sie mein Leben hin, nahm an ihrer statt den Tod an und habe mich deshalb hier niedergelegt. Vermute nichts anderes, o Großkönig.“

Der König versetzte: „Lieber goldfarbiger Gazellenkönig, ich habe einen, der so voll Geduld, Freundlichkeit und Mitleid ist, unter den Menschen noch nicht gesehen; darum bin ich befriedigt von dir. Stehe auf, dir und jener gewähre ich Schonung.“

Darauf sprach der Bodhisattva: „Wenn zwei Schonung erlangt haben, was sollen dann die übrigen tun, o Fürst der Menschen?“ „Auch den übrigen gewähren wir Schonung, Herr.“ „O Großkönig, so werden nur die Gazellen im Parke Schonung erlangen, was sollen die übrigen tun?“ „Auch ihnen gewähre ich Schonung, Herr.“ „O Großkönig, die Gazellen sollen also Schonung erlangen, was sollen die übrigen Vierfüßler tun?“ „Auch ihnen gewähre ich Schonung, Herr.“ „O Großkönig, die Vierfüßler sollen also Schonung erlangen, was sollen die Scharen der Vögel tun?“ „Auch ihnen gewähre ich Schonung, Herr.“ „O Großkönig, die Scharen der Vögel werden also Schonung erlangen, was sollen dann die im Wasser wohnenden Fische tun?“ „Auch ihnen gewähre ich Schonung, Herr.“

Nachdem so der Ausgezeichnete [21] den König um Schonung für alle Wesen gebeten hatte, erhob er sich, unterwies den König in den fünf Vorschriften [22] und sprach zu ihm: „Wandle in Tugend, o Großkönig. Wenn du bei Vater und Mutter, bei Söhnen und Töchtern, bei Brahmanen und Hausvätern, bei Städtern und Landleuten in Tugend wandeln wirst, in Frieden wandeln wirst, so wirst du nach dem Aufhören deines Körpers zur Seligkeit in den Himmel gelangen.“ Nachdem er so mit Buddha-Anmut dem Könige die Lehre erklärt hatte, verweilte er noch einige Tage in dem Parke, gab dem Könige eine Ermahnung und begab sich dann, von seiner Gazellenschar umgeben, in den Wald.

Das Gazellenweibchen aber gebar einen Sohn, der einer Blütenknospe glich. Dieser ging beim Spiele zur Gazelle Sakha hin. Als aber seine Mutter sah, wie er in dessen Nähe ging, ermahnte sie ihn: „Mein Sohn, gehe von jetzt an nicht in dessen Nähe, sondern gehe nur in die Nähe des Nigrodha“, und sprach folgende Strophe:

[§12] §1. „Nur dem Nigrodha folge du und gehe nicht zu Sakha hin; denn bei Nigrodha sterben ist weit besser als bei Sakha leben.“

Von da an fraßen aber die Gazellen, die Schonung erlangt hatten, den Menschen das Korn. Die Menschen dachten: „Diese Gazellen haben Schonung erlangt“, und konnten sie deshalb nicht schießen oder verscheuchen. Daher versammelten sie sich im Hofe des Königs und berichteten dies dem Könige. Der König sprach: „Da ich befriedigt war über den Nigrodha-Gazellenfürsten, habe ich ihm einen Wunsch gewährt; lieber würde ich mein Reich aufgeben als diese Gewährung. Gehet, niemand darf in meinem Reiche die Tiere erlegen.“

Als der Nigrodha-Gazellenkönig diesen Sachverhalt erfuhr, ließ er die Gazellenherde sich versammeln und gab ihnen das Verbot: „Von jetzt an dürft ihr das Korn der anderen nicht mehr fressen.“ Dann ließ er den Menschen mitteilen: „Von jetzt an sollen die das Getreide Bauenden zum Schutze des Getreides keinen Zaun mehr machen, sondern sie sollen das Feld bezeichnen und ein Zeichen von Blättern daran befestigen.“ Von da ab kam auf die Felder ein aus Blättern hergestelltes Zeichen und von da ab gab es keine Gazelle, die das Blätterzeichen überschritten hätte; dies war die Ermahnung, die sie vom Bodhisattva erhalten hatten.

Nachdem der Bodhisattva so die Gazellenherde ermahnt und den Rest seines Lebens verlebt hatte, gelangte er mit den Gazellen an den Ort seiner Verdienste. Auch der König, der bei der Ermahnung des Bodhisattva beharrt und gute Werke getan hatte, gelangte an den Ort seiner Verdienste.

[§C]

§C. Nachdem der Meister mit den Worten: „Nicht nur jetzt war ich für die Ehrwürdige und für Prinz-Kassapa die Zuflucht, sondern auch schon früher war ich ihre Zuflucht“, diese Lehrerklärung beendigt, die Erläuterung der vier Wahrheiten ausführlich auseinandergesetzt und die beiden Begebenheiten verknüpft hatte, legte er ihre Beziehungen zueinander klar und verband das Jataka mit den Worten: „Damals war die Sakha-Gazelle Devadatta, ihr Gefolge war Devadattas Gefolge, das Gazellenweibchen war die Ehrwürdige, ihr Sohn Prinz-Kassapa, der König war Ananda, der Nigrodha-Gazellenkönig aber war ich.“

Ende der Erzählung von der Nigrodha-Gazelle

Anmerkung:

1.
Nigrodha, „Bananenbaum“, ist der Name des Gazellenkönigs, der damals der Bodhisattva war.
2.
Unter den zusammengesetzten Dingen, pali „samkhara“, sind hier der Körper und die mit ihm zusammenhängenden Empfindungen verstanden.
3.
Nakkhatta, skrt. „naksatra“, sind die sogenannten Mondhäuser. Einige von ihnen galten für besonders wichtig und deshalb wurden die Tage, auf die sie fielen, festlich begangen.
4.
Dies ist ein verächtlicher Ausdruck für die 32 Teile, aus denen der Körper besteht. In der Übersetzung von Rhys Davids und Chalmers fehlt die verächtliche Nebenbedeutung.
5.
Wie der Brahmahimmel über den andern Götterhimmeln steht, so ist auch der Brahmastoff an Feinheit dem göttlichen Stoff überlegen.
6.
Das Karma ist die Summe von guten und bösen Taten, die in einer Existenz vollbracht werden und die ihrerseits die Art der nächsten Existenz bedingen.
7.
Im Text folgt hier eine offenbar später eingefügte Anzahl von Strophen über die verschiedenen Teile des Körpers, die in der Übersetzung wegblieben, weil sie nicht recht zum Zusammenhang passen.
8.
Damals war also Devadatta schon das Haupt einer Partei, doch stand er noch im Zusammenhang mit Buddha; sonst hätte die Nonne nicht an diesen appellieren können.
9.
Die Entfernung aus dem Orden ist von der feierlichen Ausstoßung zu unterscheiden. Sie bestand hauptsächlich darin, dass dem zu entfernenden Mitglied das Ordensgewand genommen wurde. Über die Form der Ausstoßung vgl. „Leben des Buddha'', S. 170.
10.
Wie Rajagaha der südöstlichste, so war Savatthi der nordwestlichste Punkt auf Buddhas Reisen. Nach unserer Stelle waren die beiden Orte 540 englische Meilen oder etwa 820 km voneinander entfernt.
11.
Dies ist der Name, den Buddha bei den Nichtbuddhisten seiner Zeit führte. Er galt ihnen nur als einer der vielen Asketen, skr. „sramana“, die mit ihren Schülern umherzogen.
12.
Pasenadi war ein Zeitgenosse Buddhas und scheint ihm auch freundlich gegenübergestanden zu haben. Doch galt er nicht als ein so großer Gönner Buddhas wie König Bimbisara zu Rajagaha.
13.
So genannt zum Unterschied vom großen Anathapindika, dem Stifter des Jetavana.
14.
Über Visakha, die reiche Wohltäterin der Mönchsgemeinde, vgl. „Leben des Buddha“, S. 157-164.
15.
Nämlich die Mönche, die Nonnen, die Laienbrüder und die Laienschwestern.
16.
Padumuttara ist der 15. Vorgänger Buddhas in der Buddhawürde.
17.
M.23
18.
Der Schweif des Yak, bos grunniens, wurde in kostbarer Einfassung als Wedel verwendet und war eines der Zeichen der königlichen Würde.
19.
Das Wort bedeutet „Zweig“.
20.
Damit ist natürlich nicht eine schon vorhandene Hinrichtungsstätte gemeint, sondern ein Platz mit einer kleinen Erhöhung gleich neben dem Eingang des Parkes, an dem das durch das Los getroffene Tier den Koch erwarten musste.
21.
Eigentlich „das große Wesen“; ein Beiname für einen Bodhisattva.
22.
sikkhāpada, siehe auch Sila bzw. Übungsregeln.
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