[reload all]
[simple read]

J 22
{Sutta: J i 177|J 022|J 022} {Vaṇṇanā: atta. J 022|atta. J 022}
Die Erzählung von dem Hunde
022
Kukkura-Jataka (Kukkurajātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

"Die Hunde, die im Königshof."

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf das Wirken für die Verwandten.

[§D]

Dies wird im zwölften Buch im Bhaddasala-Jataka [1] bekannt gemacht werden. Nachdem er aber diese Erzählung beschlossen hatte, erzählte er folgende Geschichte aus der Vergangenheit.

[§B]

Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, war der Bodhisattva infolge einer entsprechenden Tat [2] als ein Hund wiedergeboren worden und hielt sich in einem großen Leichenfelde auf, umgeben von mehreren hundert Hunden.

Nun bestieg eines Tages der König seinen mit weißen Sindhu-Rossen [3] bespannten, mit allem Schmuck gezierten Wagen und fuhr nach seinem Parke; und nachdem er dort den Rest des Tages sich ergangen hatte, kehrte er, als die Sonne untergegangen war, nach der Stadt zurück. Das Riemenzeug von diesem Wagen ließen sie, wie es am Wagen befestigt war, im Königshofe zurück. Da es aber während der Nacht regnete, wurde dieses nass. Und es kamen vom obern Teil des Palastes die Hunde des königlichen Hofes herab und fraßen das Leder und die Riemen des Wagens. Am nächsten Tage teilte man dem Könige mit: „Herr, durch eine Öffnung sind Hunde eingedrungen und haben das Leder und die Riemen des Wagens gefressen.“ Da wurde der König zornig auf die Hunde und sprach: „Wo immer ihr einen Hund seht, sollt ihr ihn töten.“ Von da an begann eine große Vernichtung der Hunde. Als sie, wo immer man sie sah, getötet wurden, liefen sie fort und begaben sich auf das Leichenfeld zu dem Bodhisattva. Der Bodhisattva fragte: „Euer haben sich viele versammelt; was ist die Ursache davon?“ Sie erwiderten: „Der König ist erzürnt, weil im königlichen Palast das Leder und das Riemenzeug seines Wagens von Hunden gefressen wurde, und hat deshalb die Tötung der Hunde angeordnet. Viele Hunde gehen zugrunde, große Furcht ist entstanden.“

Der Bodhisattva bedachte: „An einem bewachten Orte gibt es für die Hunde kein Eindringen von außen; von den Hofhunden im Innern des Königspalastes wird dies getan worden sein. Jetzt aber geschieht den Dieben nichts und die Nicht-Diebe werden getötet. Wie, wenn ich jetzt dem Könige die Diebe anzeigen und der Schar meiner Verwandten das Leben erhalten würde?“ Und er tröstete seine Verwandten mit den Worten: „Fürchtet euch nicht, ich werde euch Furchtlosigkeit verschaffen; bleibt hier, während ich den König aufsuche.“

Darauf stellte er sich die zehn Vollkommenheiten [4] vor Augen, machte die Betätigung der Freundschaft zu seiner Führerin und befahl: „Niemand vermöge auf mich eine Erdscholle oder einen Stock zu werfen.“ So ging er allein in die Stadt hinein. Kein Mensch aber, der ihn sah, wurde bei seinem Anblick böse. Nachdem nun der König die Tötung der Hunde angeordnet hatte, saß er selbst auf seinem Richtersitz. Der Bodhisattva begab sich dorthin und gelangte mit einem Sprung unter den Sitz des Königs. Die Leute des Königs versuchten, ihn zu vertreiben, aber der König verbot es ihnen. Als sich der Bodhisattva ein wenig erholt hatte, kam er unter dem Sessel hervor, verehrte den König und fragte: „Lasst Ihr die Hunde sterben?“ „Ja“, war die Antwort. „Was haben sie verschuldet, Fürst der Männer?“ „Sie haben das Lederzeug, das meinen Wagen bedeckte, und die Riemen gefressen.“ „Kennt Ihr die, welche sie gefressen haben?“ „Wir kennen sie nicht.“ „Wenn Ihr nicht der Wahrheit gemäß wisst, welche die Lederfresser und die Diebe sind, so ist es nicht recht, sie töten zu lassen, wo immer man sie sieht, o Herr.“ „Ich habe die Tötung der Hunde angeordnet mit den Worten: ‘Weil die Hunde das Wagenleder gefressen haben, so tötet sie alle, wo ihr sie seht.’“ „Wie aber, töten Eure Leute alle Hunde oder gibt es auch solche, die dem Tode entgehen?“ „Es gibt auch solche; die Hofhunde in unserm Palaste werden nicht getötet.“ Darauf sprach der Bodhisattva: „O Großkönig, eben habt Ihr gesagt: ‘Ich habe die Tötung der Hunde angeordnet, dass sie, wo immer man sie sieht, alle getötet werden sollen, weil sie das Wagenleder gefressen haben’; jetzt aber sagt Ihr: ‘Die Hofhunde in meinem Palaste werden nicht getötet.’ Geht Ihr nicht, wenn dies sich so verhält, aus Vorliebe und anderen Gründen die üblen Wege [5]? Die üblen Wege sind nicht recht; dies ist nicht Königsart. Dem König kommt es zu, nach den Gründen zu forschen so unparteiisch wie eine Waage; und jetzt werden die Hunde des königlichen Hofes nicht getötet, wohl aber die elenden Hunde [6]. Wenn dies sich so verhält, so ist dies keine Tötung aller Hunde, sondern nur eine Tötung der elenden Hunde.“ Nach diesen Worten sprach das große Wesen mit süßer Stimme: „O Großkönig, was Ihr tut, das ist keine Gerechtigkeit“; und indem er dem Könige das Recht verkündete, sagte er folgende Strophe:

[§22] „Die Hunde, die im Königshof erwuchsen, die höfischen, voll Schönheit und voll Kraft, sind nicht zu töten, wir jedoch zu töten; nicht ist dies rechte Tötung, sondern Mord der Schwachen.“

Als der König die Worte des Bodhisattva vernommen hatte, sprach er: „Kennst du, Weiser, irgend einen, der das Wagenleder gefressen hat?“ „Ja, ich kenne ihn.“ „Wer hat es gefressen?“ „Die Hofhunde, die in Eurem Hause wohnen.“ „Wie ist aber zu erkennen, dass es von diesen gefressen wurde?“ „Ich werde zeigen, dass sie es gefressen haben.“ „Zeige es, Weiser.“ Darauf sprach der Bodhisattva: „Lasst die Hofhunde in Eurem Palaste herbeiholen und auch ein wenig Buttermilch und Kusa-Gras [7] herbeischaffen.“ Der König tat so.

Dann sagte der Bodhisattva: „Tauchet diese Gräser in die Buttermilch ein und gebt es den Hunden zu trinken.“

Der König tat also und ließ sie trinken. Als es die Hunde nun getrunken hatten, erbrachen sie es samt dem Leder. — Da war der König zufrieden wie über einen Bescheid des allwissenden Buddha und ehrte den Bodhisattva durch Verleihung des weißen Sonnenschirmes [8]. Der Bodhisattva erklärte nun dem Könige mit den Worten:

„In Tugend wandle, großer König, du Spross aus fürstlichem Geblüt“,

und mit den übrigen von den im Tesakuna-Jataka [9] angeführten zehn Versen über den Wandel in Tugend die Lehre; dann sagte er: „Sei, o Großkönig, von nun an unermüdlich“, und befestigte ihn so in den fünf Vorschriften. Hierauf gab er dem Könige den weißen Sonnenschirm wieder zurück.

Als der König die Lehrerklärung des Bodhisattva vernommen hatte, schenkte er allen Wesen Sicherheit des Lebens und gewährte allen Hunden, vom Bodhisattva angefangen, für immer Speise ähnlich seiner eignen Nahrung. Und er blieb bei der Ermahnung des Bodhisattva, gab Almosen und tat andere gute Werke; und als er starb, wurde er im Götterhimmel wiedergeboren. Die Hundsermahnung [10] aber bestand zehntausend Jahre. Auch der Bodhisattva kam, nachdem er den Rest seines Lebens verbracht hatte, an den Ort seiner Bestimmung.

[§C]

Nachdem der Meister mit den Worten: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, ist der Vollendete auf den Nutzen seiner Angehörigen aus, sondern auch schon früher war er darauf aus“, diese Lehrunterweisung beschlossen hatte, stellte er die gegenseitigen Beziehungen klar und verband das Jataka mit den Worten: „Damals war Ananda der König, die übrigen waren die Buddhaschar, der Hund aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem Hunde

Anmerkung:

1.
Jataka 465.
2.
Als Hund wiedergeboren zu werden, galt als eine der ärgsten Strafen.
3.
Die weißen Rosse vom Sindhu (= Indus) galten in Indien als die wertvollsten.
4.
No. 521.
5.
Die vier üblen Wege sind
  1. die Betätigung von Parteilichkeit,
  2. von Schuld,
  3. von Verblendung und
  4. von Furcht.
6.
Damit sind die frei umherschweifenden, halb verhungerten Hunde gemeint, die keinen Herrn haben, im Gegensatz zu den gut gefütterten Hunden im Palast.
7.
Das Kusa-Gras wurde von den Brahmanen bei mancherlei religiösen Akten benutzt.
8.
Dies ist ein Zeichen der königlichen Majestät. Vgl. „Leben des Buddha“, S. 4 und 13.
9.
Jataka 521 Strophen 38-47.
10.
D. h. die Ermahnung, die der Bodhisattva als Hund gegeben hatte.
[vorige Seite][nächste Seite]