„Nur Liebes mögest reden du“
[§A]Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die bissigen Reden der sechs Mönche [1]. Zu dieser Zeit nämlich erregten die sechs Mönche Streit; sie schmähten die liebenswürdigen Mönche, beschimpften sie, verletzten sie und lästerten sie mit den zehn Lästerworten [2]. Die Mönche teilten es dem Erhabenen mit. Da ließ der Erhabene die sechs Mönche zu sich kommen und fragte sie: „Ist es wahr, ihr Mönche?“; und als sie antworteten: „Es ist wahr“, tadelte er sie und sprach: „Ihr Mönche, eine harte Sprache ist auch den Tieren unangenehm. In früherer Zeit hat ein Tier einen, der es hart anredete, um tausend geschädigt.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit:
Ehedem regierte im Reiche Gandhara zu Takkasilā [3] ein König von Gandhara. Da wurde der Bodhisattva als ein Rind wiedergeboren. Als er noch ein junges Kalb war, kam ein Brahmane zu Leuten, die Rinder als Opfergabe spendeten, und erhielt dort das Rind, dem er den Namen Nandivisala [4] gab. Er hielt es wie einen Sohn, behandelte es mit Liebe und zog es auf, indem er ihm Reisspeise und ähnliches zur Nahrung gab.
Als nun der Bodhisattva erwachsen war, dachte er: „Ich bin von diesem Brahmanen mit großer Mühe aufgezogen worden und auf dem ganzen Jambu-Erdteil ist kein Rind, das so stark wäre wie ich; wie, wenn ich nun meine Kraft zeigte und dadurch dem Brahmanen einen Verdienst verschaffte?“ Und eines Tages sprach er zu dem Brahmanen: „Geh, Brahmane, und suche einen Großkaufmann auf, der reich an Rindern ist; diesem sage: ‘Mein Ochse kann hundert stark beladene Wagen bewegen’, und wette mit ihm um tausend.“ Der Brahmane ging zu dem Großkaufmann hin und begann so seine Rede: „Wessen Rinder sind in dieser Stadt mit Stärke begabt?“ Der Großkaufmann erwiderte: „Die Rinder des so und so und des so und so“; dann fügte er hinzu: „In der ganzen Stadt aber gibt es keine, die unseren Rindern gleich wären.“ Nun sprach der Brahmane: „Mein eines Rind ist im Stande, hundert stark beladene Wagen zu bewegen.“ Da fragte der Großkaufmann, der Hausvater: „Wo ist ein derartiges Rind?“ Der Brahmane antwortete: „Es ist in meinem Hause.“ „Mache darum eine Wette!“ „Gut, ich mache sie“, versetzte der Brahmane und machte eine Wette um tausend (Geldstücke). Er füllte nun hundert Wagen mit Sand, Kies und Steinen, stellte sie hintereinander auf und verband sie zusammen durch eine Verknüpfung der sämtlichen Achsenbänder. Dann ließ er Nandivisala baden, gab ihm [4a] eine Handvoll wohlriechendes Futter, legte um seinen [4b] Hals einen Kranz und spannte ihn [4c] allein vor das Joch des vordersten Wagens; hierauf setzte er sich selbst auf das Joch, erhob die Geißel und rief: „Los, du Schelm; zieh, du Schelm!“ Der Bodhisattva dachte: „Dieser gibt mir den Namen Schelm, obwohl ich kein Schelm bin“; und er stellte seine vier Füße unbeweglich hin wie Säulen und stand fest. Da ließ sich der Großkaufmann von dem Brahmanen die tausend Geldstücke geben. —
Als nun der Brahmane in seiner Wette um die tausend unterlegen war, machte er sein Rind los, ging nach Hause und legte sich hin, von Kummer bedrückt. Nandivisala kam auch dorthin; und als er den Brahmanen von Kummer erfüllt sah, ging er zu ihm hin und fragte: „Schläfst du, Brahmane?“ „Wie soll ich schlafen, wo ich um tausend unterlegen bin!“ Darauf sprach der Bodhisattva: „O Brahmane, habe ich in der ganzen Zeit, die ich in deinem Hause wohne, vielleicht schon irgend ein Gefäß zerbrochen oder irgend jemand schon geschlagen oder aber an einem unpassenden Orte Kot oder Urin gelassen?“ Jener erwiderte: „Nein, Lieber.“ Darauf fuhr der Bodhisattva fort: „Was gibst du mir also den Namen ‘Schelm’? Du hast die Schuld, ich habe keine Schuld. Gehe nun hin und wette mit jenem um zweitausend Geldstücke; nur komme mir, der ich kein Schelm bin, nicht mit dem Namen Schelm.“
Als der Brahmane dessen Worte vernommen hatte, ging er hin und wettete um Zweitausend; dann ließ er wieder hundert Wagen stark beladen, schmückte Nandivisala und band ihn an das Joch des vordersten Wagens. (Wie befestigte er ihn? Er band die Deichsel fest an das Joch, schirrte mit einer Schnur Nandivisala an, befestigte die eine Schnur an der Jochdeichsel, steckte durch die Deichselschnur und die Achsen einen Stab von glattem Holze und band ihn fest an die Schnur. So konnte das Joch sich nicht da oder dorthin bewegen und ein Ochse war im Stande, es zu bewegen. [5]) — Als nun der Brahmane sich auf das Joch gesetzt hatte, berührte er den Rücken des Nandivisala und rief: „Los, Lieber, zieh, Lieber!“ Da bewegte der Bodhisattva die stark beladenen hundert Wagen mit einem Ruck vom Platze und brachte den zu hinterst stehenden Wagen dahin, wo der vorderste stand. Damit war der rinderreiche Großkaufmann besiegt und er gab dem Brahmanen zweitausend Geldstücke; und auch andere Leute gaben dem Bodhisattva viel Geld und alles gehörte nur dem Brahmanen. So erlangte er durch den Bodhisattva viel Geld.
Nachdem der Meister mit den Worten: „Ihr Mönche, ein hartes Wort gefällt niemand“, die sechs Mönche getadelt und damit eine Lehrvorschrift gegeben hatte, sprach er, als er völlig erleuchtet geworden war [6], folgenden Vers:
Nachdem der Meister mit den Worten: „Nur Liebes mögest reden du“, diese Lehrunterweisung beendigt hatte, verband er das Jātaka mit den Worten: „Damals war der Brahmane Ananda, Nandivisala aber war ich.“
Ende der Erzählung von Nandivisala