[reload all]
[simple read]

J 262
{Sutta: J ii 326|J 262|J 262} {Vaṇṇanā: atta. J 262|atta. J 262}
Die Erzählung von der zarten Hand
262
Mudupani-Jataka (Mudupāṇijātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

Wenn eine zarte Hand erscheint

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen unzufriedenen Mönch. Als dieser in die Lehrhalle geführt wurde, fragte ihn der Meister: „Ist es denn wahr, o Mönch, dass du unzufrieden bist?“ Er antwortete: „Es ist wahr.“ Darauf sprach der Meister: „O Mönch, die Weiber sind, wenn sie sich in die Gewalt der Lust begeben, nicht zu behüten. Schon in der Vorzeit konnten Weise ihre eigene Tochter nicht behüten; denn obwohl sie von ihrem Vater an der Hand gefasst war, entfloh sie, ohne ihren Vater etwas davon merken zu lassen, aus sinnlicher Lust mit einem Manne.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

[§B]

Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva im Schoße von dessen erster Gemahlin seine Wiedergeburt. Nachdem er herangewachsen war und zu Takkasilā die Wissenschaften erlernt hatte, bestieg er nach seines Vaters Tode den Thron und führte in Gerechtigkeit die Regierung. Er zog seine Tochter und seinen Neffen zusammen in seinem Palaste auf. Eines Tages sagte er, während er mit seinen Ministern zusammensaß: „Nach meinem Tode wird mein Neffe König werden und meine Tochter wird seine erste Gemahlin sein.“ Später aber, als die beiden schon herangewachsen waren, sagte er im Kreise seiner Minister sitzend: „Wir werden für unsern Neffen die Tochter eines andern heimführen und auch meine Tochter werden wir in eine andre Königsfamilie verheiraten. Auf diese Weise werden wir viele Verwandten bekommen [1].“ Die Minister gaben ihre Zustimmung. Darauf gab der König seinem Neffen eine Wohnung außerhalb des Palastes und verbot ihm, den Palast zu betreten.

Die beiden waren aber ineinander verliebt. Während nun der Prinz darüber nachdachte, auf welche Weise er die Königstochter entführen könne, fiel ihm ein Mittel ein. Er gab der Amme ein Geschenk. Als sie fragte: „Was soll ich tun, du Sohn eines Edlen?“, sagte er: „Mutter, wie bekommen wir wohl Gelegenheit, die Königstochter aus dem Palast herauszubringen?“ Sie antwortete: „Ich will mit der Königstochter reden und dann weiter sehen.“ „Gut, Mutter“, versetzte der Prinz.

Die Amme ging nun zur Prinzessin und sagte: „Komm, Liebe, ich will auf deinem Kopf die Läuse fangen.“ Sie ließ sie auf einer niedrigen Bank Platz nehmen, setzte sich selbst etwas erhöht und nahm den Kopf der Prinzessin zwischen ihre Beine. Während sie die Läuse fing, ritzte sie den Kopf der Königstochter mit dem Nagel. Die Königstochter merkte: „Sie ritzt mich nicht mit ihrem eigenen Nagel, sondern sie ritzt mich mit dem Nagel des Prinzen, des Sohnes meiner Tante“; und sie fragte: „Mutter, kommst du vom Prinzen?“ „Ja, meine Tochter“, war die Antwort. „Welchen Auftrag hat er dir gegeben?“ „Er fragt nach einem Mittel, dich aus dem Palast herauszubringen, meine Tochter.“

Nun dachte die Königstochter: „Wenn er klug ist, wird er es verstehen.“ Sie sagte: „Mutter, lerne diese Strophe und sage sie dem Prinzen“, und sprach folgende Strophe:

[§1] „Wenn eine zarte Hand erscheint, ein Elefant, gut abgerichtet, und eine Finsternis mit Regen, dann ist die günst'ge Zeit gekommen.“

Als die Amme den Spruch gelernt, ging sie zu dem Prinzen hin. Als dieser fragte: „Mutter, was hat die Königstochter gesagt?“, sprach sie: „Sie sagte sonst nichts, nur schickt sie dir diese Strophe.“ Damit sagte sie den Vers her. Der Prinz verstund den Sinn und schickte sie fort, indem er sagte: „Gehe jetzt, Mutter.“ Nachdem der Prinz dies der Wahrheit gemäß verstanden hatte, bereitete er einen sehr schönen Pagen mit weichen Händen vor. Dem Wärter des königlichen Leibelefanten gab er ein Geschenk und ließ ihn den Elefanten zum Stillstehen abrichten. Dann wartete er seine Zeit ab. — An dem Uposotha-Tage der dunklen Monatshälfte ließ während der dritten Nachtwache eine dicke, schwarze Wolke Regen herabströmen. Er dachte: „Dies ist der Tag, von dem die Königstochter sprach“, bestieg den Elefanten und ließ den Pagen mit den zarten Händen sich auf dessen Rücken setzen. Dann begab er sich nach dem Palaste, ließ an einer Stelle, die dem Lufthof des Palastes zugekehrt war, den Elefanten sich an die große Mauer lehnen und wartete in der Nässe in der Nähe des Fensters.

Der König, der seine Tochter bewachte, ließ sie nicht anderswo schlafen, sondern sie musste sich neben ihn auf ein kleines Bett legen. Auch sie wusste, dass heute der Prinz kommen werde, und lag daher schlaflos da. Plötzlich sprach sie: „Vater, ich möchte mich im Regen baden.“ Der König erwiderte: „Geh, meine Tochter“; er fasste sie an der Hand, führte sie an das Fenster, hob sie mit den Worten: „Bade, meine Tochter“, hinauf und stellte sie auf ein außen am Fenster befindliches Lotosornament. So stand er da und hielt sie an der Hand.

Während sie aber ihr Bad nahm, streckte sie dem Prinzen die Hand entgegen. Er streifte von dieser Hand die Schmucksachen ab, schmückte damit die Hand des Pagen und hob diesen in die Höhe, dass er neben der Königstochter auf dem Lotosornament stand. Dessen Hand nahm jetzt die Prinzessin und legte sie in die Hand ihres Vaters. Dieser nahm sie und ließ die Hand seiner Tochter los. Darauf streifte sie auch von ihrer andern Hand die Schmucksachen ab, zog sie dem Pagen an seine andre Hand und legte diese auch in die Hand ihres Vaters. Dann entfloh sie mit dem Prinzen.

Der König meinte, es sei seine Tochter, ließ den Knaben nach Ende des Bades im königlichen Schlafgemach sich niederlegen, verschloss die Tür, versiegelte sie und stellte eine Wache davor; dann legte er sich selbst auf sein Lager. — Als er am Morgen die Tür öffnete und den Knaben sah, fragte er: „Was ist dies?“ Der Knabe erzählte ihm, wie er mit dem Prinzen gekommen sei. Da machte sich der König Vorwürfe und dachte: „Auch wenn man ein Weib an der Hand hält und mit ihm geht, kann man es nicht bewachen; unbehütbar sind die Weiber.“ Und er sprach die folgenden beiden letzten Strophen:

[§2] „Nicht zu befried'gen, Sanftes redend, den Flüssen gleich schwer auszufüllen, so sinken [2] sie; und wer sie kennt, der sucht, sie von sich fernzuhalten. [§3] Doch wenn sie einem sind ergeben, um Lust oder um Geldes willen, so zehren sie geschwind ihn auf so wie das Feuer seinen Brennstoff [3].“

Nach diesen Worten dachte das große Wesen: „Ich muss meinen Neffen wieder zu mir nehmen.“ Er gab unter großem Pompe dem Prinzen seine Tochter und machte ihn zum Vizekönig. Dieser bestieg nach dem Tode seines Onkels den Thron.

[§C]

Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten (am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber gelangte jener unzufriedene Mönch zur Frucht der Bekehrung): „Damals war ich der König.“

Ende der Erzählung von der zarten Hand

Anmerkungen:

1.
Vgl. die sehr ähnliche Erzählung im 126. Jātaka.
2.
Nach der Erklärung des Kommentators ist das Versinken in die Hölle gemeint.
3.
Der Kommentator fügt folgende Strophen dazu:
„Die starken Männer werden schwach, die Kräftigen verlässt die Stärke; blind werden die Scharfsichtigen, wenn in des Weibes Macht sie kommen. Die Tugendreichen werden schlecht, die Einsichtsvollen werden töricht; ermattet liegen sie in Banden, wenn in des Weibes Macht sie kommen. Das Streben, Frömmigkeit und Tugend, Wahrheit, Verleugnung, Denken, Sinnen, sie nehmen's dem Ermatteten, wie Räuber, die am Wege plündern. Ruhm, Ehre, Weisheit, Tapferkeit, der Wahrheit Fülle, die Erkenntnis, sie rauben's dem Ermatteten, wie einen Haufen Holz das Feuer.“
[vorige Seite][nächste Seite]