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J 283
{Sutta: J ii 409|J 283|J 283} {Vaṇṇanā: atta. J 283|atta. J 283}
Die Erzählung von dem Zimmermannseber
283
Vaddhakisukara-Jataka (Vaḍḍhakīsūkarajātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

Den allerstärksten Eber

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf den Thera Dhanuggaha-Tissa [1]. Mahakosala nämlich, der Vater des Königs Pasenadi, hatte, als er seine Tochter, die Kosala-Fürstin, an den König Bimbisara vermählte, ihr ein Dorf im Reiche Kasi, dessen Einkünfte hunderttausend betrugen, zur Bestreitung ihrer Ausgaben für Bäder und Parfüms gegeben [2]. Als aber Ajatasattu seinen Vater ermordet hatte, starb die Kosala-Fürstin, vom Gram überwältigt. Da dachte der König Pasenadi: „Ajatasattu hat seinen Vater getötet; meine Schwester ist aus Kummer um ihren Gatten gestorben. Dem Räuber, der seinen Vater getötet, werde ich das Kasi-Dorf nicht überlassen.“ Und er gab es Ajatasattu nicht.

Wegen dieses Dorfes nun war von Zeit zu Zeit Krieg zwischen den beiden. Ajatasattu war jung und kräftig, Pasenadi aber hochbetagt; darum unterlag er immer wieder und die Leute des Königs von Kosala wurden immer mehr besiegt. Darauf fragte der König seine Minister: „Wir werden immer wieder besiegt; was ist da zu tun?“ Diese antworteten: „Herr, die Edlen [3] sind der Weissagung kundig; man muss die Mönche im Jetavana-Kloster hören.“ Der König schickte daher Späher aus mit dem Auftrage, sie sollten zur rechten Zeit hören, was die Mönche untereinander sprächen. Von da an taten die Späher also.

Zu der Zeit aber wohnten zwei alte Mönche am Ende des Klosters in einer Laubhütte, der Thera Utta und der Thera Dhanuggaha-Tissa. Von ihnen hatte der Thera Dhanuggaha-Tissa während der ersten und der mittleren Nachtwache geschlafen. In der dritten Nachtwache wachte er auf, machte Feuerbrände klein und zündete Feuer an. Während er so dasaß, sagte er: „Herr Thera Utta!“ „Was, Herr Thera Tissa“, versetzte der andere. „Schläfst du nicht?“ „Was sollen wir tun, wenn wir nicht schlafen?“ „Stehe auf und setze dich hierher!“ Er stand auf und setzte sich nieder.

Darauf sprach jener zu dem Thera Utta: „Dieser törichte Dickbauch-Kosala-König lässt selbst eine Schüssel Reisbrei faul werden; von einem Kriegsplan versteht er nichts. Er wird immer besiegt und muss Gebiet abtreten.“ „Was soll man aber tun?“ In diesem Augenblick aber hörten die Späher deren Rede und blieben stehen.

Jetzt setzte der Thera Dhanuggaha-Tissa folgendermaßen den Kriegsplan auseinander: „Herr, in der Schlacht gibt es drei Schlachtordnungen, die Lotos-Schlachtordnung, die Rad-Schlachtordnung und die Wagen-Schlachtordnung [4]. Wenn einer den Ajatasattu besiegen will, so soll er im Innern des Gebirges auf zwei Bergwällen Leute aufstellen und vorn eine nur schwache Heeresmacht zeigen. Wenn er dann merkt, dass der Feind in das Gebirge eingedrungen ist, soll er ihm den Weg, den er gezogen, abschneiden, vorn und hinten aus den beiden Bergwällen einen Ausfall machen und das Schlachtgeschrei ausstoßen. Dann kann er den Feind rasch packen wie einen Fisch, der aufs Land fällt, oder wie einen jungen Frosch, den man in der Faust hält.“

Die Späher teilten diese Worte dem Könige mit. Als dies der König vernommen, ließ er die Kampfpauke schlagen, bildete eine Wagen-Schlachtordnung und ließ Ajatasattu lebend gefangen nehmen. Seine Tochter, die Prinzessin Vajira [Diamantprinzessin], gab er seinem Neffen, gab ihr jenes Dorf in Kasi zur Bestreitung der Ausgaben für Bäder und Parfüms und ließ sie ziehen.

Diese Begebenheit aber wurde unter der Mönchsgemeinde bekannt. Eines Tages begannen die Mönche in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, der König von Kosala hat mit dem Schlachtplan des Dhanuggaha-Tissa den Ajatasattu besiegt.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon war Dhanuggaha-Tissa in Schlachtplänen erfahren.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

[§B]

Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, hatte der Bodhisattva in einem Walde als eine Baumgottheit seine Wiedergeburt genommen. Damals hatten sich in der Nähe von Benares Zimmerleute in einem Dorfe niedergelassen. — Ein Zimmermann ging einmal, um Holz zu holen, in den Wald. Hier sah er einen jungen Eber, der in eine Grube gefallen war; er brachte ihn in sein Haus und zog ihn auf. Als dieser herangewachsen war, war er groß von Körper, hatte krumme Hauer und war von tugendhaftem Wandel. Weil er aber von dem Zimmermann aufgezogen war, nannte man ihn nur den Zimmermannseber [5]. Wenn der Zimmermann einen Baum fällte, drehte er mit seinem Rüssel den Baum herum, nahm Äxte und Beile, Meisel und Hämmer in das Maul und brachte sie herbei und hielt das Ende der schwarzen Schnur [6].

Der Zimmermann aber fürchtete, es könnte jemand den Eber aufessen; daher brachte er ihn in den Wald und ließ ihn dort los. Als der Eber in den Wald eindrang und sich nach einem ruhigen Orte umschaute, an dem er bequem wohnen könnte, sah er in einem Gebirge eine große Berghöhle, versehen mit Stängeln, Wurzeln und Früchten, eine bequeme Wohnstätte. Einige hundert Eber sahen ihn hier und gingen zu ihm hin. Er sprach zu ihnen: „Ich gehe hier umher und schaue nach euch aus und ich habe euch jetzt gesehen. Dieser Ort ist entzückend; auch ich will jetzt hier wohnen.“ Die anderen erwiderten: „Es ist wahr, dieser Ort ist entzückend; eine Gefahr ist aber hier vorhanden.“ „Auch ich habe dies gemerkt, als ich euch sah“, versetzte der Eber. „Während ihr an einem so reich mit Futter ausgestatteten Orte wohnt, habt ihr kein Fleisch und Blut im Körper. Wovor habt ihr aber hier Furcht?“ „Ein Tiger kommt in der Frühe hierher und schleppt jeden, den er sieht, mit sich fort.“ „Schleppt er beständig mit fort oder nur manchmal?“ „Er schleppt beständig fort.“ „Wie viele Tiger sind es aber?“ „Nur ein einziger.“ „Ihr, die ihr so viele seid, werdet des einen nicht Herr?“ „Nein, wir werden seiner nicht Herr.“

Darauf sagte der Eber: „Ich werde ihn erlegen; tut ihr nur nach meinen Worten. Wo stellt sich der Tiger auf?“ „Auf diesem Berge“, war die Antwort. — Während der Nacht ließ er jetzt die Eber umhergehen; er selbst machte einen Kampfplan und sagte: „Der Kampf geht auf dreierlei Art vor sich, nach der Lotos-Schlachtordnung, der Rad-Schlachtordnung oder der Wagen-Schlachtordnung.“ Und er entwarf den Plan nach der Lotos-Schlachtordnung. Er kannte nämlich eine Erderhöhung; darum dachte er: „Von diesem Orte aus muss man den Kampf leiten.“ Die jungen Schweine und ihre Mütter stellte er in die Mitte, rings um sie herum die Sauen, die nicht Mütter waren, um diese herum die jungen Eber, um diese die jugendlichen Eber, um diese die Eber, deren Zähne schon lang waren, und um diese alle kampffähigen, starken Eber, immer je zehn und zwanzig Stück. So stellte er sie hier auf und machte dadurch einen dichten Heerhaufen.

Darauf ließ er vor seinem Standort ein kreisrundes Loch graben und hinter ihm eine einem Worfelkorb [7] ähnliche Vertiefung, die nach und nach tiefer wurde und einer Berghöhle glich. Während er nun mit sechzig oder siebzig Kampfebern allenthalben die Aufgaben verteilte, indem er dazu sagte: „Fürchtet euch nicht“, ging die Sonne auf.

Der Tiger erhob sich, da er merkte, dass es Zeit war, ging weg und stellte sich den Ebern gegenüber. Auf einer Bergfläche blieb er stellen, riss die Augen auf und schaute die Eber an. Der Zimmermannseber gab jetzt den Ebern einen Wink, sie sollten den Tiger ebenfalls anschauen. Sie taten so. Darauf öffnete der Tiger sein Maul und schnaubte; die Eber aber taten dasselbe. Der Tiger gab Urin von sich, die Eber machten es gerade so. Was immer er daher tat, das machten die Eber nach.

Da dachte der Tiger: „Wenn ich sonst die Eber anschaute, laufen die Eber davon und vermochten nicht einmal, dies recht zu tun. Heute aber laufen sie nicht davon, sondern sie trotzen mir und tun genau dasselbe, was ich tue. Sie haben auch einen Anführer, der auf einer Erderhöhung steht. Heute gibt es für mich keinen Sieg über sie.“ Und er kehrte um und begab sich nach seinem Aufenthaltsort zurück.

Es war aber dort ein falscher Asket, der das von jenem gebrachte Fleisch verzehrte. Als dieser den Tiger mit leeren Händen zurückkehren sah, sprach er, ihn anredend, folgende erste Strophe:

[§1] „Den allerstärksten Eber hast in dieser Gegend du früher stets besiegt und überwältigt. Jetzt kehrst allein du wieder gramverzehrt; hast du denn heute keine Kraft, o Tiger?“

Als dies der Tiger hörte, sprach er folgende zweite Strophe:

[§2] „Sonst liefen auseinander sie nach jeder Richtung, von Furcht geschüttelt, eine Zuflucht suchend. Jetzt bleiben sie vereint, zusammen schreiend; auf diese Art kann ich sie schwer besiegen.“

Der falsche Asket aber machte ihm wieder Mut, indem er sagte: „Fürchte dich nicht! Gehe hin; und wenn du ein Gebrüll ausstößt und springst, werden alle voll Furcht auseinanderstieben und davonlaufen.“

Als jener dem Tiger Mut machte, wurde dieser wieder kühn, ging hin und stellte sich auf die Bergfläche. Der Zimmermannseber stand zwischen den beiden Gruben. Jetzt sagten die Eber: „Herr, der große Räuber ist wiedergekommen.“ „Fürchtet euch nicht“, versetzte jener, „jetzt werde ich ihn fangen.“

Der Tiger stieß ein Gebrüll aus und stürzte sich auf den Zimmermannseber. Der Eber aber drehte sich, als der Tiger gerade über ihm schwebte, rasch um und ließ sich in die vorn gegrabene Vertiefung fallen. Der Tiger konnte seinen Schwung nicht aufhalten, schoss über sein Ziel hinaus und stürzte in die rückwärts gegrabene, mit der worfelkorbähnlichen Öffnung versehene Vertiefung, dort wo die Öffnung sehr eng war. Hier lag er wie eine unförmliche Masse. Jetzt stieg der Eber aus seiner Grube heraus, lief blitzschnell herbei und stieß dem Tiger seine Hauer in die Lenden. Bis an die Nieren schlitzte er ihn auf; er zerwühlte sein fünfmal süßes Fleisch mit seinen Hauern, stieß ihn noch in seinen Kopf, und indem er rief: „Da nehmt euren Feind“, hob er ihn empor und warf ihn aus der Grube heraus. Die zuerst Gekommenen von den Ebern bekamen das Tigerfleisch; die später Gekommenen aber fragten: „Wie schmeckt denn Tigerfleisch?“ und schnüffelten beständig am Maule der anderen.

Die Eber waren aber noch nicht zufrieden. Als der Zimmermannseber ihre Winke bemerkte, fragte er: „Wie, seid ihr noch nicht zufrieden?“ Sie antworteten: „Herr, was ist es, dass wir diesen Tiger getötet haben? Es gibt einen falschen Jatila, der im Stande ist, zehn andere Tiger herbeizuholen.“ „Wer ist denn dies?“ „Ein böser Asket.“ Darauf sagte der Zimmermannseber: „Ich habe einen Tiger getötet: was kann mir der Asket anhaben? Wir wollen ihn fangen.“ Und er machte sich mit der Menge der Eber auf.

Als der Tiger lange ausblieb, hatte der falsche Asket gedacht: „Wie, haben vielleicht die Eber den Tiger erlegt?“, und war ihm entgegen gegangen. Da sah er die Eber daherkommen. Mit seinen Gerätschaften lief er davon; als jene ihn aber verfolgten, warf er seine Gerätschaften weg und stieg rasch auf einen Udumbara-Baum. Die Eber riefen: „Jetzt haben wir verloren; der Asket ist davongelaufen und auf einen Baum gestiegen.“ „Was ist es für ein Baum?“ „Ein Udumbara-Baum [8].“ Darauf befahl ihr Anführer: „Die Sauen sollen Wasser herbeiholen, die jungen Eber sollen graben, die Eber mit langen Zähnen sollen die Wurzeln herausreißen, die übrigen sollen sich um den Baum stellen und ihn bewachen.“ Als sie so taten, traf er eine gerade herausragende dicke Wurzel des Udumbara-Baumes mit einem Schlage wie mit einer Axt und brachte dadurch den Udumbara-Baum zu Fall. Die Eber, die rings um den Baum standen, warfen den falschen Asketen auf den Boden, zerrissen ihn in Stücke und fraßen ihn bis auf die Knochen.

Darauf ließen sie den Zimmermannseber sich auf den Stamm des Udumbara-Baumes setzen, holten in der Muschel, die zu den Gerätschaften des falschen Asketen gehörte, Wasser, beträufelten ihn damit und weihten ihn so zu ihrem Könige. Auch eine junge Sau weihten sie und machten sie zu seiner ersten Gemahlin. Seitdem lässt man bis zum heutigen Tag die Könige auf einem Stuhl von feinem Udumbara-Holz Platz nehmen und beträufelt ihn aus drei Muscheln.

Als aber die in diesem Walde wohnende Gottheit diese wunderbare Begebenheit wahrnahm, zeigte sie sich den Ebern in einer Öffnung des Baumstammes und sprach folgende dritte Strophe:

[§3] „Verehrung sei den Scharen, die zusammenkamen! Selbst sah ich ein noch nie geschehnes Freundeswerk, wie diese Eber überwältigten den Tiger, in Eintracht durch der Zähne Kraft sich selbst befreiten.“
[§C]

Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war Dhanuggaha-Tissa der Zimmermannseber; die Baumgottheit aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem Zimmermannseber

Anmerkungen:

1.
Auf Deutsch: „Tissa, der Bogenschütze“. Der Name ist wohl wegen seiner Kenntnis des Kriegswesens so gewählt.
2.
Vgl. dazu die Vorgeschichte zum 239. Jātaka.
3.
Damit sind die Mönche im Jetavana gemeint.
4.
Dies sind die schon bei Manu erwähnten drei Arten der Schlachtordnung in Indien (vgl. Sacred Books of the East, Vol. 25, S. 246). Die Wagenschlachtordnung ist keilförmig, die beiden andern sind kreisförmig.
5.
Auf Pali: „vaddakisukara“, klein geschrieben, d.h. als Bezeichnung und nicht als Eigenname.
6.
Vgl. damit die Schilderung des Elefanten im 156. Jātaka.
7.
Rouse gibt an, die Körbe zum Worfeln der Spreu hätten auf drei Seiten Erhöhungen, von denen sich zwei nach der Öffnung hin abflachen.
8.
Der indische Feigenbaum, Ficus glomerata.
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