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J 318
{Sutta: J iii 063|J 318|J 318} {Vaṇṇanā: atta. J 318|atta. J 318}
Die Erzählung von der Kanavera-Blume
318
Kanavera-Jataka (Kaṇaverajātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

Die Sama, die zur Frühlingszeit

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die Verlockung durch die frühere Frau.

[§D]

Die Begebenheit wird im Indriya-Jātaka erzählt werden [1].

Nachdem aber der Meister zu dem Mönche gesagt hatte: „Auch früher wurde dir um ihretwillen mit einem Schwerte das Haupt gespalten“, erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

[§B]

Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, wurde der Bodhisattva in einem Dorfe im Lande Kasi im Hause eines Hausvaters unter dem Diebes-Nakkhatta geboren. Als er herangewachsen war, betrieb er die Räuberei und erwarb dadurch seinen Lebensunterhalt. Er war in der Welt weit berühmt als ein Held mit Elefantenstärke; niemand konnte ihn fangen.

Eines Tages durchbrach er im Hause des Großkaufmanns die Mauer und nahm viel Geld fort. Die Stadtbewohner gingen zum Könige hin und sprachen: „O Fürst, ein großer Räuber plündert die Stadt; lasse ihn festnehmen!“ Der König beauftragte den Stadtwächter, ihn festzunehmen. Zur Nachtzeit stellte dieser allenthalben Leute in Abteilungen verbunden auf, ließ jenen samt seinem Gelde ergreifen und teilte dies dem Könige mit. Der König befahl dem Stadtwächter, er solle jenem das Haupt abschlagen. Darauf ließ ihm der Stadtwächter mit starken Fesseln die Arme auf den Rücken binden, hängte um seinen Hals einen Kranz von roten Kanavera-Blumen, streute Mauerstaub auf sein Haupt und ließ ihn in allen Stadtvierteln mit Peitschen schlagen. So führte er ihn unter lautem Trommelschlag nach dem Richtplatze. „In dieser Stadt ist ein Räuber gefangen worden, der von Plünderung lebt“, diese Kunde brachte die ganze Stadt in Aufregung.

Damals befand sich zu Benares eine Dirne namens Sama, die tausend Geldstücke zu nehmen pflegte; sie war eine Konkubine des Königs und war umgeben von fünfhundert Dirnen. Diese öffnete gerade in ihrem Söller das Fenster und sah, wie jener daher geführt wurde. Er war aber sehr schön und lieblich; er strahlte in äußerster Schönheit und hatte das Aussehen eines Gottes, wodurch er weit vor allen anderen hervorragte. Als jene nun ihn des Weges daherführen sah, wurde ihr Herz an ihn gefesselt und sie erwog: „Durch welches Mittel könnte ich wohl diesen Mann zu meinem Gatten machen?“ Da fiel ihr ein: „Dies ist das Mittel“; und sie schickte durch die Hand einer ihrer Dienerinnen dem Stadtwächter tausend Geldstücke mit folgender Botschaft: „Dieser Räuber ist Samas Bruder; außer Sama hat er keine Hilfe. Nehmt Ihr diese tausend Geldstücke und lasst ihn los.“ Jene tat also.

Der Stadtwächter aber sprach: „Dies ist ein bekannter Räuber; ich kann ihn so nicht freilassen. Wenn ich aber einen anderen Mann erhalte, kann ich den ersten in einem bedeckten Wagen sich niedersetzen lassen und ihn dir so übersenden.“ Die Dienerin ging zu ihrer Herrin und meldete dies. — Damals aber war ein Großkaufmannssohn in Sama verliebt und brachte ihr täglich tausend Geldstücke. Auch an diesem Tage hatte er zur Zeit des Sonnenuntergangs tausend mitgenommen und war in ihr Haus gekommen. Sama nahm den Beutel mit den tausend Geldstücken, stellte ihn auf ihren Schoß und blieb weinend sitzen. Als jener fragte: „Was hast du?“, sprach sie: „Herr, dieser Räuber ist mein Bruder. Da er dachte, ich [2] betreibe ein niedriges Gewerbe, kam er nicht zu mir. Als ich zum Stadtwächter schickte, sandte dieser mir die Botschaft, wenn er tausend erhalte, werde er ihn loslassen. Jetzt finde ich aber keinen, der mit diesen tausend Geldstücken zum Stadtwächter gehen möchte.“ Weil nun der Großkaufmannssohn in sie verliebt war, sagte er: „Ich will hingehen.“ Sie erwiderte: „Nimm also das Geld, das du selbst gebracht hast, und gehe zu ihm hin.“ Er nahm das Geld und ging in das Haus des Stadtwächters.

Dieser versteckte den Großkaufmannssohn an einem verborgenen Orte; den Räuber aber verbrachte er in einen verdeckten Wagen und schickte ihn an Sama.

Dann dachte er: „Jener Räuber ist im Lande bekannt. Es muss zuerst dunkel werden; dann werde ich diesen, sobald sich die Menschen entfernt haben, töten lassen.“ Und indem er einen Vorwand vorschützte, wartete er noch kurze Zeit. Als dann die Leute sich entfernt hatten, führte er den Großkaufmannssohn unter starker Bedeckung nach dem Richtplatze, ließ ihm mit dem Schwerte das Haupt abschlagen und seinen Körper an einen zugespitzten Stab stecken; dann kehrte er in die Stadt zurück.

Von da an nahm Sama von niemand anderem mehr Geld an, sondern sie erfreute sich beständig nur an ihrem Geliebten. Da dachte dieser: „Wenn sie sich in einen anderen verliebt, wird sie mich töten lassen und sich mit jenem vergnügen. Sie ist eine Verräterin ihres ehemaligen Freundes; ich darf hier nicht bleiben, sondern muss rasch entfliehen.“ Als er aber gehen wollte, dachte er: „Mit leeren Händen will ich nicht gehen, sondern ich will ein Bündel mit ihrem Schmuck mitnehmen.“ Darum sprach er eines Tages zu ihr: „Liebe, wir bleiben immer zu Hause wie ein Hahn, der in seinen Käfig eingeschlossen ist. Wir wollen an einem Tage uns im Parke ergehen!“ Jene gab mit dem Worte: „Gut“, ihre Zustimmung. Sie ließ feste und flüssige Speise u. dgl. zurechtmachen, nahm mit all ihrem Schmuck geziert in einem verdeckten Wagen mit ihm Platz und fuhr nach dem Parke.

Während er sich dort mit ihr erging, dachte er: „Jetzt muss ich entfliehen.“ Als ob er sich in Lust mit ihr vergnügen wollte, ging er mit ihr in ein Kanavera-Gebüsch hinein, presste sie, wie wenn er sie umarmen wollte, zusammen, machte sie bewusstlos und ließ sie zu Boden sinken. Er machte alle ihre Schmucksachen von ihr los, band sie in ihr Obergewand zusammen und legte das Bündel auf seine Schulter; dann sprang er über den Parkzaun und lief davon.

Als jene wieder zu Besinnung gekommen war, stand sie auf, ging zu ihren Dienerinnen hin und fragte: „Wo ist der Sohn des Edlen?“ „Wir wissen es nicht, Edle“, war die Antwort. Da dachte sie: „Er wird gemeint haben, ich sei tot, und aus Furcht davongelaufen sein.“ Betrübt kehrte sie in ihr Haus zurück. Sie sagte: „Erst wenn ich meinen lieben Gatten wieder sehe, werde ich mich wieder auf mein geschmücktes Lager legen“, und legte sich auf den Boden. Von da an zog sie kein schönes Gewand mehr an, sie nahm keine zwei Mahlzeiten mehr ein und bediente sich nicht mehr der Parfüms und Kränze.

Da sie dachte: „Durch irgend ein Mittel muss ich den Sohn des Edlen ausfindig machen und wieder zu mir kommen lassen“, rief sie Tänzer zu sich her. Als diese fragten: „Was sollen wir tun, Edle?“, sagte sie: „Es gibt keinen Ort, an den ihr nicht kommt. Gehet in Dörfer, Märkte und in die königlichen Städte; haltet dort eine Versammlung und singet inmitten der Versammlung zuerst dieses Lied!“ Nachdem sie so die Tänzer belehrt und ihnen die erste Strophe [3] gesagt hatte, fügte sie hinzu: „Wenn ihr dieses Lied singt und der Sohn des Edlen in der Versammlung anwesend ist, so wird er mit euch reden. Dann sagt ihm, ich sei gesund, und kommt mit ihm zurück; wenn er nicht kommen will, so schickt mir Botschaft.“ Darauf gab sie den Tänzern ihren Lohn und entließ sie.

Die Leute verließen Benares und hielten allenthalben ihre Versammlungen. Dabei kamen sie auch in ein Grenzdorf. Der Räuber aber, der entflohen war, wohnte dort. Während sie nun dort ihre Versammlung hielten, sangen sie folgendes erstes Lied:

[§1] „Die Sama, die zur Frühlingszeit du in den leuchtend roten Blumen mit deinem Arme an dich presstest, die meldet dir, sie sei gesund.“

Als dies der Räuber hörte, ging er zu dem Tänzer hin und sprach: „Du sagst, Sama lebe; ich aber glaube dies nicht.“ Und indem er mit ihm redete, sprach er folgende zweite Strophe:

[§2] „Holla, ich könnte doch nicht glauben, dass einen Berg der Wind mitreißt! Wenn einen Berg der Wind mitreißt und noch dazu die ganze Erde, so kann auch die gestorb'ne Sama ihre Gesundheit selbst mir melden.“

Als der Tänzer seine Worte vernahm, sprach er folgende dritte Strophe:

[§3] „Sie ist ja eben nicht gestorben und sie begehrt auch keinen andern. Einmal nur isst des Tages Sama und stets verlangt sie nur nach dir.“

Da dies der Räuber hörte, sagte er: „Mag sie leben; mich verlangt nicht nach ihr.“ Und er sprach folgende vierte Strophe:

[§4] „Mich Ungewohnten mit dem lang Gewohnten, den Schwanken mit dem Festen tauschte Sama. Mit mir auch könnt' sie einen andern tauschen; noch weiter werd' ich mich von ihr entfernen.“

Darauf gingen die Tänzer fort und erzählten Sama, was jener getan. Diese machte sich Vorwürfe wegen ihres Tuns und lebte wieder nach ihrer alten Gewohnheit.

[§C]

Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten (am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber gelangte der unzufriedene Mönch zur Frucht der Bekehrung): „Damals war der Großkaufmannssohn dieser Mönch, Sama war die frühere Frau, der Räuber aber war ich.“

Ende der Erzählung von der Kanavera-Blume

Anmerkungen:

1.
Jātaka 423.
2.
Es kann auch heißen: „er betreibe ...“
3.
Das Lied, das vorgetragen werden soll, ist die erste Strophe des Jātaka. Ihr Inhalt ist daraus zu erklären, dass Sama meint, ihr Geliebter sei aus Furcht entflohen.
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