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J 427
{Sutta: J iii 485|J 427|J 427} {Vaṇṇanā: atta. J 427|atta. J 427}
Die Erzählung von dem Geier
427
Gijjha-Jataka (Gijjhajātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

IX. Nava-Nipata (Neuntes Buch)

Ein Ort, mit Pfählen rings umsteckt

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen unfolgsamen Mönch. Dieser nämlich, ein Sohn aus guter Familie, war zwar in der zum Heile führenden Lehre Mönch geworden. Wenn ihn aber die auf sein Heil bedachten Lehrer und Unterweiser und diejenigen, die mit ihm reinen Wandel führten, mit folgenden Worten ermahnten: „So musst du herzugehen und so wieder fortgehen, so musst du hinschauen, so wieder wegschauen, so den Arm krümmen und so ausstrecken, so dein Untergewand tragen und so dein Obergewand, so die Almosenschale fassen, nur soviel nehmen, als du zur Nahrung bedarfst, und mit Überlegung dein Mahl verzehren; deine Sinne musst du sorgfältig behüten, musst beim Essen das rechte Maß kennen und beim Wachen voll Aufmerksamkeit sein; so sind deine Obliegenheiten gegen die Ankommenden und so gegen die Gehenden: diese vierzehn Khandhaka-Pflichten [1] und die achtzig großen Pflichten musst du alle erfüllen und auch diese dreizehn Ratschläge [2] mit großem Eifer befolgen“, so war er unfolgsam und ungeduldig und nahm die Unterweisung nicht sehr günstig auf. Er antwortete: „Ich setze auch an euch nichts aus; warum redet ihr so zu mir? Ich werde schon selbst wissen, was mir nützlich oder schädlich ist“, und zeigte sich ihrem Zureden unzugänglich.

Als aber die Mönche von seinem Ungehorsam erfuhren, begannen sie in der Lehrhalle ein Gespräch über seine Untugend. Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, ließ er den Mönch zu sich rufen und fragte ihn: „Ist es wahr, dass du unfolgsam bist?“ Auf dessen bejahende Antwort sprach der Meister weiter: „Warum, o Mönch, tust du, nachdem du in dieser so zum Heile führenden Lehre Mönch geworden bist, nicht nach den Worten derer, die dein Bestes wollen? Auch früher schon befolgtest du nicht das Wort der Weisen und wurdest deshalb durch den Hauch des Veramba-Windes [3] in Staub zermalmt.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

[§B]

Ehedem nahm der Bodhisattva auf dem Geiersberge [Gijjhapabbata] in der Familie der Geier seine Wiedergeburt. Sein Sohn aber, Supatta mit Namen [4], war der König der Geier; er war von vielen tausend Geiern umgeben und besaß große Stärke. Er ernährte seine Eltern. Infolge seiner Stärke aber flog er zu weit in die Höhe und sein Vater ermahnte ihn oft: „Mein Sohn, einen Raum von solcher Ausdehnung darfst du nicht überschreiten und darüber hinausfliegen.“ Der Sohn gab seine Zustimmung zu erkennen; trotzdem aber ließ er eines Tages, als er bei Regen mit den Geiern in die Höhe flog, die übrigen hinter sich, entfernte sich zu weit von der Erde und geriet in die Region der Veramba-Winde, wo er zu Staub zermalmt wurde.

Um diese Begebenheit zu schildern, sprach der Meister, während er der völlig Erleuchtete [5] war, folgende Strophen:

[§1] Ein Ort, mit Pfählen rings umsteckt, vor Alters war am Geiersberge; dort lebten eines Geiers Eltern, die er im Alter treu ernährte. [§2] Er brachte ihnen Schlangenfett [6] gar oft herbei, die Flügel schwingend; doch zu dem Sohne sprach der Vater, der wusste, dass er flog gar hoch, dass er mit seinen starken Flügeln durch seine Kraft gar weithin flog: [§3] „Sobald die rings umflossne Erde, die von dem Ozean umgeben, du nur noch so erkennst, mein Sohn, als wäre sie ein rundes Rad, dann wende deinen Flug, mein Sohn, und geh nicht weiter in die Höhe.“ [§4] Aber mit Kraft flog in die Höhe der stark beschwingte Vogelkönig; er blickte mit gekrümmtem Halse hinab auf Berge und auf Wälder. [§5] Die Erd' erblickte jetzt der Geier, wie er's gehört von seinem Vater, gleich einem völlig runden Rade, rings von dem Ozean umgeben. („Dann wende deinen Flug, mein Sohn, und geh nicht weiter in die Höhe.“ [7]) [§6] Doch über dies ging er hinaus und flog noch weiter in die Höhe; da aber fasst' den starken Vogel der Sturm wie mit'ner scharfen Spitze. [§7] Nicht konnte der zu weit Gegangne hinab zur Erde wieder flüchten; so stürzt' der Vogel ins Verderben, in den Veramba-Sturm geraten. [§8] Dadurch geriet ihm Weib und Kinder und auch die andern Anverwandten in großes Unglück, weil der Vogel sich nicht an die Ermahnung hielt [8]. [§9] So geht es jetzt noch. Wer durch Worte der Alten sich nicht lässt belehren, wie in der Fabel tat der Geier, der stolze, der zu hoch geflogen, der stürzt gewisslich ins Verderben, weil er der Alten Wort nicht hörte.
[§A2]

Der Meister schloss mit folgenden Worten: „Darum sei du, o Mönch, nicht dem Geier ähnlich; tue nach den Worten derer, die auf dein Wohl bedacht sind.“ Nachdem aber jener so von dem Meister ermahnt worden war, wurde er von da an folgsam.

[§C]

Nachdem der Meister diese Unterweisung beendigt hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Der damalige unfolgsame Geier war der jetzige unfolgsame Mönch, der Vater des Geiers aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem Geier

Anmerkungen:

1.
So heißen die im Vorstehenden aufgeführten Regeln, weil sie in dem Teil des Vinaya-Pitaka enthalten sind, der Khandhakam heißt.
2.
Darunter sind die Vorschriften verstanden, deren Befolgung nicht verlangt wird, aber verdienstlich ist. Vgl. Jātaka 14 Anm. 2.
3.
Vgl. oben Jātaka 381 Anm. 1. [Benannt nach einem See dieses Namens.] Überhaupt ähnelt das dort übersetzte Jātaka 381 sehr dem vorliegenden.

4.
Auf Deutsch: „Der Wohlbeschwingte“.
5.
Sämtliche Strophen werden also nicht bei der Begebenheit selbst gesprochen, sondern erst bei der Erzählung.
6.
Nach der Lesart „ajagaram“ statt „ajakaram“ (= „Ziegenfett“).
7.
Diese zwei Verse sind, wie auch Fausböll meint, hier ohne Zweck aus der vorletzten Strophe wiederholt.
8.
Diese und die nächste Strophe stimmen fast wörtlich mit den beiden letzten Strophen des Jātaka 381 überein.
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