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J 83
{Sutta: J i 365|J 083|J 083} {Vaṇṇanā: atta. J 083|atta. J 083}
Die Erzählung von dem Unglücksvogel
083
Kalakanni-Jataka (Kālakaṇṇijātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

Freund wird fürwahr man uns nach sieben Schritten

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen Freund des Anāthapindika. Dieser hatte nämlich mit Anāthapindika zusammen im Sand gespielt und bei demselben Lehrer mit ihm die Künste erlernt. Er hieß Kalakanni (= „Unglücksvogel“). Als nun die Zeit verging, kam er ins Elend; und da er nichts mehr zum Leben hatte, begab er sich zu dem Großkaufmann. Dieser beruhigte ihn, gab ihm Geld und ließ ihn sein Vermögen wieder herstellen. Er wurde ein Gehilfe des Großkaufmanns und tat alle Arbeiten. Wenn er aber zum Großkaufmann kam, sagte man zu ihm: „Bleib stehen, Unglücksvogel; setze dich nieder, Unglücksvogel; iss, Unglücksvogel!“

Eines Tages aber besuchten den Großkaufmann seine Freunde und Genossen und sprachen folgendermaßen: „O Großkaufmann, tue doch dies nicht bei dir. Auch ein Dämon würde davonlaufen, wenn er immer hören müsste: ‘Bleib stehen, Unglücksvogel; setze dich nieder, Unglücksvogel; iss, Unglücksvogel.’ Dieser ist doch nicht deinesgleichen, er ist arm und vom Elend heimgesucht; was geht er dich an?“ Anāthapindika erwiderte: „Der Name ist nur Gewohnheitssache; die Weisen nehmen ihn nicht zum Maßstab. Nach dem schönen Klang darf man nicht gehen; ich kann nicht lediglich um des Namens willen meinen Freund, mit dem ich im Sande gespielt, im Stiche lassen.“ So gab er ihrem Worte nicht nach.

Eines Tages nun musste er in ein Dorf gehen, das ihm unterstellt war, und ließ den Unglücksvogel als Wächter des Hauses zurück. Da dachten Räuber: „Der Großkaufmann ist nach dem Dorfe gegangen; wir wollen sein Haus ausplündern.“ Und mit mancherlei Waffen in den Händen kamen sie bei Nacht herbei und umstellten das Haus. Jener aber vermutete, dass Räuber kommen würden, und setzte sich nieder, ohne zu schlafen. Als er merkte, dass die Räuber gekommen seien, rief er, um die Leute aufzuwecken: „Blase du die Muschel, schlage du die Trommel [1]“, und machte so das ganze Haus zu einem Lärm, als ob er eine große Versammlung abhielte. Da dachten die Räuber: „Wir waren falsch berichtet, dass das Haus leer sei; der Großkaufmann ist ja da“; und sie warfen ihre Steine, Hämmer u. dgl. weg und liefen davon.

Als aber die Leute am andern Tage die überall herumliegenden Steine, Hämmer u. dgl. sahen, gerieten sie in Aufregung und riefen: „Wenn heute dieser so mit Einsicht erfüllte Richter des Hauses nicht gewesen wäre, wären die Räuber nach Belieben in das Haus eingedrungen und hätten es ausgeplündert; durch diesen zuverlässigen Freund ist dem Großkaufmann ein Vorteil erwachsen.“ Und nachdem sie ihn so gelobt, teilten sie dem Großkaufmann, als er aus dem ihm unterstellten Dorfe zurückkehrte, die ganze Begebenheit mit. Da sprach zu ihnen der Großkaufmann: „Ihr wolltet mich veranlassen, einen solchen Freund, der so das Haus bewachte, fortzuschicken. Wenn ich ihn nach eurem Worte fortgeschickt hätte, wäre heute mein Vermögen nichts mehr. Der Name ist nicht maßgebend, wohl aber ein tüchtiger Verstand.“

Und nachdem er jenem noch mehr Sold gegeben, dachte er: „Dies ist jetzt eine wertvolle Geschichte für mich“, ging zum Meister hin und erzählte ihm die Begebenheit von Anfang an. Darauf sprach der Meister: „Nicht nur jetzt, o Hausvater, hat ‘Unglücksvogel’ als Freund das Vermögen des Hauses seines Freundes behütet, sondern auch schon früher behütete er es.“ Und nach diesen Worten erzählte er auf seine Bitte folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

[§B]

Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, war der Bodhisattva ein hochgeehrter Großkaufmann. Er hatte einen Freund namens „Unglücksvogel“, alles wie in der Erzählung aus der Gegenwart [2]. Als dann der Bodhisattva aus dem ihm unterstellten Dorfe zurückkehrte und die Geschichte vernahm, sagte er: „Wenn ich nach eurem Worte einen solchen Freund fortgeschickt hätte, wäre heute mein Vermögen nichts mehr.“ Und darauf sprach er folgende Strophe:

[§1] „Freund wird fürwahr man uns nach sieben Schritten, ein Kamerad wird man uns dann nach zwölfen, nach halbem Monat oder ganzem wie verwandt und weiterhin wird er ein zweites Ich uns. Wie könnt' ich da um eigner Freude [3] willen den langbewährten ‘Unglücksvogel’ lassen!“
[§C]

Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beendigt hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war der Unglücksvogel Ananda, der Großkaufmann von Benares aber war ich.“

Ende der Erzählung von Kalakanni [0a]

Anmerkungen:

0a.
Bei Dutoit heißt das Jātaka „Die Erzählung von dem Unglücksvogel“. „Kalakanni“ bedeutet  jedoch nicht nur „Unglücksvogel“, sondern ist hier der – auch in der Strophe erwähnte - Eigenname des Helden in diesem Jātaka. Daher ziehe ich es vor, diesen Namen unübersetzt zu lassen.
1.
Auch ich nehme Fausbölls Emendation des überlieferten „alalingam“ in „alingam“ an.
2.
Dies ist die regelmäßige Bezeichnung für die Einleitungen zu den Jātakas.
3.
Denn auch Anāthapindika gefiel natürlich der Name nicht.
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