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J 356
{Sutta: J iii 173|J 356|J 356} {Vaṇṇanā: atta. J 356|atta. J 356}
Die Erzählung von Karandiya
356
Karandiya-Jataka (Koraṇḍiyajātakaṃ)
übersetzt aus dem Pali ins Deutsche:
Julius Dutoit

Allein im Walde

[§A]

Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf den Heerführer der Lehre [0a]. Der Thera nämlich gab, so oft er böse Tierjäger oder Fischfänger herbeikommen sah, Vorschriften, indem er sagte: „Beobachtet diese Gebote!“ Aus Ehrfurcht vor dem Thera getrauten sie sich nicht, der Rede des Thera zu widersprechen, sondern sie nahmen die Gebote an. Doch beobachteten sie diese Gebote nicht, sondern gingen wieder ihrer Beschäftigung nach. — Da sprach der Thera zu seinen Gefährten: „Freund, jene Leute nehmen von mir die Gebote an, halten sie aber nicht.“ Jene erwiderten: „Herr, Ihr gebt ihnen gegen ihren Willen die Gebote. Da sie sich nicht getrauen, Eurer Rede zu widersprechen, so nehmen sie dieselben an. Gebt von jetzt an solchen Leuten nicht mehr die Gebote!“ Darüber war der Thera betrübt.

Als die Mönche diese Begebenheit vernahmen, begannen sie in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, der Thera Sāriputta gibt die Gebote allen, die er sieht.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon gab er allen, die er sah, auch ohne dass sie es wünschten, Gebote.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

[§B]

Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva in einer Brahmanenfamilie seine Wiedergeburt. Nachdem er herangewachsen war, wurde er der erste Schüler eines weitberühmten Lehrers zu Takkasilā. — Damals gab dieser Lehrer allen Fischern u. dgl., die er sah, auch wenn sie nicht darum baten, Vorschriften, indem er sagte: „Nehmt die Gebote an, nehmt die Gebote an“; wenn sie die Gebote aber auch angenommen hatten, so hielten sie dieselben doch nicht. Da sagten ihm seine Schüler: „Herr, ihr gebt sie diesen Leuten gegen ihren Willen; darum übertreten sie dieselben. Gebet von heute an nur noch denen die Gebote, die darum bitten, nicht denen, die nicht darum bitten.“ Jener machte sich Vorwürfe; trotzdem aber gab er wieder allen, die er sah, die Gebote.

Eines Tages nun kamen Leute aus einem Dorfe und luden den Lehrer ein, die Brahmanengaben in Empfang zu nehmen. Darauf rief dieser den jungen Brahmanen Karandiya [1] herbei und sagte zu ihm: „Mein Sohn, ich gehe nicht hin. Gehe du mit diesen fünfhundert jungen Brahmanen dorthin, nimm die Brahmanengaben in Empfang und bringe uns den Teil, der für uns bestimmt ist.“ Mit diesen Worten schickte er ihn fort.

Jener ging hin; bei der Rückkehr aber, als er unterwegs eine Berghöhle sah, dachte er: „Unser Lehrer gibt allen, die er sieht, auch ungebeten die Gebote. Ich werde bewirken, dass er von jetzt ab sie nur denen gibt, die darum bitten.“ Während die übrigen jungen Brahmanen ruhig schliefen, stand er auf, hob einen großen Stein auf und warf ihn in die Höhle. So tat er in einem fort.

Da erhoben sich die jungen Brahmanen und sagten: „Lehrer [2], was tust du?“ Jener sagte gar nichts. Darauf gingen sie rasch hin und teilten es ihrem Meister mit. Dieser kam herbei und sprach, jenen anredend, folgende erste Strophe:

[§1] „Allein im Walde in die Bergeshöhle wirfst immer du den Stein gestreckten Armes. Du scheinst dich immer wieder anzustrengen; was willst du denn damit, Karandiya?“

Als jener diese Worte vernahm, sprach er, um seinen Lehrer zu belehren, folgende zweite Strophe:

[§2] „Ich möchte diese meerumgrenzte Erde gleich machen wie die Fläche einer Hand, indem ich Sand und Felsen rings verstreue; darum werf ich die Steine in die Höhle.“

Als dies der Brahmane hörte, sprach er folgende dritte Strophe:

[§3] „Nicht ist ein einzelner im Stand, die Erde zu ebnen wie die Fläche einer Hand. Ich glaub, die Höhle hier wird schon genügen, Karandiya, bis an dein Lebensende.“

Als dies der junge Brahmane hörte, sprach er folgende vierte Strophe:

[§4] „Wenn diese Erde, wo die Menschen wohnen, ein einzelner nicht eben machen kann, so wirst auch du, Brahmane, diese Menschen, die so Verschiednes glauben, nicht bekehren.“

Als dies der Lehrer vernahm, sprach er etwas Passendes. Da er nämlich durch Karandiya gemerkt hatte, dass er gefehlt habe [3], und sich vornahm, nicht mehr so zu handeln, sprach er folgende fünfte Strophe:

[§5] „Mit kurzen Worten hast du meine Sache, Karandiya, so wie es recht, geschildert. So wenig wie ein einz'ger Mensch die Erde ganz gleich kann machen, ebenso die Menschen.“

So pries der Lehrer den jungen Brahmanen. Nachdem dieser aber seinen Lehrer belehrt hatte, führte er ihn nach Hause.

[§C]

Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war der Brahmane Sāriputta, der junge Brahmane Karandiya aber war ich.“

Ende der Erzählung von Karandiya

Anmerkungen:

0a.
Ein Ehrentitel des Sāriputta.
1.
Dies ist der Name des Bodhisattva in diesem Jātaka.
2.
Der Bodhisattva als der älteste Schüler ist der Stellvertreter des Meisters und erhält daher auch diesen Titel.
3.
Die Konstruktion des Satzes ist mir nicht ganz klar. Was soll „Karandiko“ auf den Lehrer bezogen heißen? Etwa der Lehrer des Karandiya? Oder sollte es für „Karandito“ stehen, was allenfalls „von Karandiya“ heißen könnte? Francis lässt das Wort ganz aus in der Übersetzung.
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